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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2018: 4:3 für den SSW - Koalition kann weitermachen (Landtag)


Der Landtag Schleswig-Holstein
Parlamentszeitung Nr. 08 - Oktober 2013

Landesverfassungsgericht:
4:3 für den SSW - Koalition kann weitermachen



Das Verfassungsgericht in Schleswig hat den Sonderstatus des SSW im schleswig-holsteinischen Wahlrecht bestätigt - mit deutlichen Worten, aber nur mit knapper Mehrheit.
Die Richter wiesen eine Beschwerde von Vertretern der Jungen Union gegen die Wertung der letzten Landtagswahl zurück. Damit bleibt auch die Parlamentsmehrheit der Regierungskoalition bestehen.
Auf den nächsten Seiten werfen wir einen Blick auf den Tag der Entscheidung, fassen das Urteil und die Reaktionen zusammen und beleuchten die Geschichte der dänischen Minderheitspartei


Im Umfeld des Landesverfassungsgerichts muss es jemanden geben, der spannende Filme liebt. Denn die Verkündung des Urteils zu den Einsprüchen gegen die letzte Landtagswahl und zum Sonderstatus des SSW wurde auf einen Freitag, den 13. gelegt - um zwölf Uhr mittags, High Noon.
Von Hollywood-artiger Spannung ist in Schleswig zunächst aber wenig zu spüren. Der Ort des Geschehens, das Gebäude des Oberverwaltungsgerichts, liegt in einem idyllischen Park, und bei strahlender September-Sonne plaudern Politiker, Juristen, Zuschauer und Medienvertreter im Freien miteinander.
Es geht um viel: Vertreter der Jungen Union fechten die Befreiung des SSW von der Fünf-Prozent-Hürde an, und damit steht auch die Mehrheit der rot-grün-blauen Regierungskoalition auf dem Spiel. Das Argument der Kläger: Der SSW sei keine Minderheitenvertretung mehr, sondern eine Partei wie alle anderen. Zudem steht die Sperrklausel insgesamt zur Disposition - die Piraten wollen sie abschaffen. Vor drei Jahren hatte das Verfassungsgericht schon einmal die politischen Verhältnisse durcheinander gewirbelt. Die Richter kippten das damalige Wahlgesetz und forderten vorzeitige Neuwahlen - Folge: das Ende von Schwarz-Gelb im Lande. Ähnliches erwartet ein Journalist einer überregionalen Zeitung auch dieses Mal: "In Schleswig-Holstein ist es schließlich immer unterhaltsam", bemerkt er mit einem Lächeln.
In Saal 6 des Schleswiger Gerichts weicht die entspannte Sommerstimmung einem gedämpften Flüsterton. Rund 100 Menschen füllen den Raum, darunter acht Kamerateams. Auch das dänische Fernsehen ist gekommen. Die sieben Richter betreten um 12:02 Uhr den Saal. Und schon nach wenigen Minuten spricht Gerichtspräsident Bernhard Flor die entscheidenden Sätze: "Der SSW ist eine Partei der dänischen Minderheit. Sowohl die Fünf-Prozent-Klausel als auch die Befreiung der Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Klausel sind verfassungsgemäß." Damit werden die drei SSW-Mandate im Landtag bestätigt, und die Nord-Ampel kann weiterarbeiten. Ein kurzes "Ja!" aus den Reihen der Koalitionäre schallt durch den Saal.

Was so eindeutig klingt, ist jedoch eine äußerst knappe Entscheidung. Das wird aus Flors weiteren Ausführungen deutlich. Zwar sind die Richter einstimmig der Auffassung, dass der SSW die Interessenvertretung der dänischen Minderheit ist. Und auch für den grundsätzlichen Erhalt der Sperrklausel gibt es ein klares 7:0. Aber: Ist es für die Wahrung der Minderheitsinteressen notwendig, den SSW komplett von der Fünf-Prozent-Hürde zu befreien? Diese Regelung hat der Partei nach dem Urnengang im Mai 2012 drei Mandate eingebracht, bei einem Stimmenanteil von 4,6 Prozent. Oder reicht nicht ein einziges "Grundmandat", solange die Partei unter fünf Prozent bleibt? Diese Variante hatte die FDP ins Spiel gebracht.
Bei diesem Punkt gibt es ein denkbar knappes 4:3 für den SSW. Gerichtspräsident Flor begründet das Votum mit dem in der Landesverfassung verankerten Schutz der dänischen Minderheit. Richter Klaus Brock trägt anschließend die Argumente der Gegenseite vor und geht auf Gegenkurs zur Mehrheitsmeinung. Brock hält die vollständige Befreiung des SSW für einen zu großen Eingriff in die "Erfolgswertgleichheit" der Wählerstimmen und für eine "Überprivilegierung". Flor und Brock liegen in ihrer Beurteilung weit auseinander, Beobachter sprechen von einem "tiefen Riss" durch das Landesverfassungsgericht. Welche Folgen es gehabt hätte, wenn Brock und seine Mitstreiter sich durchgesetzt hätten, bleibt offen. Im Vorwege war über eine Neuverteilung der Sitze bis hin zu vorzeitigen Neuwahlen spekuliert worden.

Um 12:44 Uhr ziehen sich die Richter zurück, und in der nach wie vor strahlenden Schleswiger Sonne treten die Betroffenen vor die Mikrofone. Lars Harms, Vorsitzender des SSW im Landtag, ist sichtbar guter Laune, kommentiert das Urteil aber zurückhaltend: "Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das Gericht das gesagt hat, was ohnehin schon immer meine Überzeugung war." Seine Landtagskollegin Jette Waldinger-Thiering spottet: "Ich bin beruhigt, dass es mich tatsächlich gibt" - eine Anspielung auf die mündliche Verhandlung im Juni, als Vertreter der Jungen Union die Existenz einer dänischen Minderheit im Lande grundsätzlich angezweifelt hatten. Die Kläger aus den Reihen der CDU-Nachwuchsorganisation geben sich dagegen "enttäuscht" und kritisieren das Gericht. Die Richter hätten versäumt, klare Voraussetzungen zu benennen, was eine Partei der dänischen Minderheit denn nun genau ausmache, heißt es. Ihr Anwalt, der ehemalige Abgeordnete Trutz Graf Kerssenbrock, zeigt sich kämpferisch und schließt weitere juristische Schritte nicht aus: "Man muss in langen Fristen denken."
Auch nach Freitag, dem 13. könnte also ein weiteres Prinzip aus der Welt des Films in Schleswig-Holstein gelten: Fortsetzung folgt.

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Quelle:
Der Landtag Schleswig-Holstein, Nr. 08 im Oktober 2013, S. 4-5
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Düsterbrooker Weg 70, 24105 Kiel
Tobias Rischer, Referatsleiter
Telefon: 0431/988-11 16
E-Mail: tobias.rischer@landtag-ltsh.de
Internet: www.sh-landtag.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2013