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SICHERHEIT/406: Rede Sigmar Gabriel bei den Achten Petersberger Gesprächen


SPD-Pressemitteilung 66/12 vom 10. März 2012

Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel bei den 8. Petersberger Gesprächen

"Weiterentwicklung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa"


am Samstag, dem 10. März 2012 auf dem Petersberg in Bonn

- Es gilt das gesprochene Wort -


Eine historische Chance zum Handeln

Vielen Dank für die Einladung zu den 8. Petersberger Gesprächen zur Sicherheit.

Ich wurde gebeten heute zu Ihnen über die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa zu sprechen.

Das Ziel, die Streitkräfte europäischer Länder zusammen zu führen - das Ziel einer europäischen Armee - ist nicht neu.

Vor dem Eindruck des Koreakrieges forderte der britische Premier Winston Churchill 1950 eine europäische Armee mit deutscher Beteiligung. Die Idee einer "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" scheiterte aber schließlich am Vorbehalt des französischen Parlaments. Sie allen kennen die geschichtlichen Einzelheiten.

Wahrscheinlich waren wir dem Ziel einer gemeinsamen europäischen - zumindest westeuropäischen - Armee nie näher gewesen als zu jener Zeit.

Weder zur Zeit der Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg, noch in den chaotisch wirkenden Umbruchsjahren nach dem Fall der Mauer bot sich eine zweite Möglichkeit, die so konkret und zum Greifen nahe war. Aus heutiger Sicht hat Europa damals eine historische Chance für einen zukunftsweisenden politischen Schritt vertan.

Es wäre spannend gewesen, zu sehen, wie die Petersberger Gespräche heute aussehen würden. Welche Leitfragen wir hier diskutieren würden und in welcher Sprache?

Europa bot sich mit dem Fall der Mauer eine zweite historische Chance und dieses Mal wurde das politische Momentum des Handelns mutig aufgegriffen.

Damals wurde der Kalte Krieg von Menschen gewonnen, die nach Freiheit und Demokratie strebten. Weder Panzerdivisionen, noch nukleare Waffen konnten das aufhalten.

Die Länder Mittel- und Osteuropas traten einer gemeinsamen Europäischen Union bei und überwanden die politische und gesellschaftliche Spaltung des Kontinents.

Als logische Konsequenz streckte die westliche Verteidigungsallianz die Hand nach Osten aus und wuchs um jene Länder an, denen man kurz vorher noch feindlich gegenüber stand.

In der Europäischen Union wurden mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 wahrlich historische Weichen für Europa und auch für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik gestellt.

Heute ist die Euphorie verflogen. Die historischen Ereignisse von damals verlieren zunehmend an Strahlkraft. Wenn wir heute über die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik reden, blicken wir mit einer gewissen Enttäuschung, vielleicht auch mit etwas Resignation, auf die Entwicklungen der letzten Jahre zurück.

Europa insgesamt ist ins Gerede gekommen. Manche Beobachter sehen unseren Kontinent bereits in einer tiefen Krise. Und seit Jahren hadern die Menschen mit den europäischen Institutionen, die zu weit weg sind und deren Sinn und Funktion sie nicht mehr verstehen. Die Debatten um den Euro und Griechenland verunsichern zudem viele Menschen in Europa und lassen sie am Ziel eines vereinten Europas zweifeln. Ein Trend zu einer verstärkten Renationalisierung wird sichtbar und spürbar. Der Fall Libyen macht den fehlenden politischen Willen und die Schwierigkeiten deutlich, aktuelle Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa - die GASP -, für die sich meine Partei immer stark gemacht hat und deren Grundgedanken wir in Berlin und Brüssel von Beginn an vorangetrieben haben, ist faktisch in eine Starre verfallen. Das ist die Lage!

Wir müssen uns aus dieser politischen Lethargie befreien. In diesem Europa steckt nach wie vor ein gigantisches Potenzial. Ich sage das nicht nur, weil ich ein überzeugter Europäer bin und auch davon überzeugt bin, dass der einzige sinnvolle Weg aus der Krise ein Mehr an Europa bedeutet - und nicht ein Weniger.

Ich sage das auch, weil Deutschland und Europa es sich nicht länger leisten können, die Hände in den Schoß zu legen. Vielleicht stehen wir wieder vor einer historischen Chance zum Handeln - dieses Mal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Führen wir uns die Lage doch mal vor Augen!

Zum Einen: Europa ist nicht mehr der Nabel der Welt. Die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse verschieben sich nach Osten. US-Präsident Barack Obama hat dies bei der Vorstellung der neuen amerikanischen Verteidigungsstrategie Anfang des Jahres deutlich zum Ausdruck gebracht: Er sei "der erste pazifische Präsident und will den Führungsanspruch der pazifischen Nation [USA] in diesem außerordentlich wichtigen Teil der Welt stärken und aufrechterhalten."

Blass und verklungen wirken die Worte von Präsident John F. Kennedy, der uns damals die Bedeutung der transatlantischen Verbundenheit mit den Worten unterstrich "Ich bin ein Berliner."

Was der strategische Schwenk Washingtons konkret bedeutet, wissen sie im Detail sicherlich besser als ich: Die USA kürzen ihren Verteidigungshaushalt um eine halbe Billion US-Dollar. In Europa und Deutschland werden Truppen abgezogen. Zwei schwere Brigaden verlassen die Stützpunkte Baumholder und Grafenwöhr. Gleichzeitig wird die militärische Präsenz der USA in Australien ausgebaut.

Ist das bedauerlich? - Ja.
Ist das nachvollziehbar? - Auch ja.
Die wichtige Frage ist doch, welche Schlüsse wir daraus ziehen.

Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein. 2050 werden weder Deutschland oder Frankreich und schon gar nicht kleinere Länder wie Belgien eine nennenswerte politische und wirtschaftliche Rolle spielen können - im Vergleich zu den USA, China und vielleicht auch Indien oder Brasilien.

Die politische Integration der Mitgliedsländer und das Zusammenwachsen der Bevölkerungen mit dem Fernziel der europäischen Föderation ist das einzige erfolgversprechende Zukunftsmodell für Europa.

Nur Europa als Ganzes hat eine Chance im globalen Wettbewerb von Ideen, Werten und Willensbildungsprozessen sowie nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen in der ökonomischen Wertschöpfungskette - und zwar genau in der Reihenfolge. Nur Europa als Ganzes kann genügend Gewicht in die globale Waagschale werfen.

Das gilt insbesondere für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar wird Europa weiterhin ein wichtiger Partner der USA bleiben, aber Amerika wird sein Engagement auf dem alten Kontinent und in den gemeinsamen Institutionen deutlich zurückfahren. Die Zeiten, dass Washington gewarnt hat, Europa dürfe nicht zur militärischen Konkurrenz der NATO werden, sind lange vorbei. Heute wird von uns erwartet, dass wir mehr tun.

Mehr leisten können wir allerdings nur, wenn wir das als eine europäische Aufgabe wahrnehmen, der wir uns gemeinsam stellen.

Das Geld ist knapp. Die Folgen der Finanzkrise erfordern umfassende Einsparungen - auch im Verteidigungsetat. Die Streitkräfte aller europäischen Länder müssen deutliche Kürzungen hinnehmen. Großbritannien verkleinert den Verteidigungshaushalt um fast ein Viertel. Dass der allgemeine Spardruck in Europa auch andere Absurditäten im Verteidigungsetat hervorbringt, darauf hat Mike Groschek kürzlich hingewiesen. Im krisengebeutelten Griechenland werden die Renten und Sozialleistungen dramatisch gekürzt. Der Verteidigungsetat bleibt überproportional hoch. Auch wenn dahinter langfristige Entscheidungen für Rüstungsimporte Griechenlands stehen: dass diese Entscheidungen von den Staats- und Regierungschefs nicht zur Disposition gestellt werden statt dessen aber Kleinstrenten und Mindesteinkommen gekürzt werden, ist nicht zu verstehen.

Bezeichnend ist auch, dass Italien wie auch Frankreich im Sommer 2011 Schiffsverbände aus dem laufenden Libyen-Einsatz zurückbeordern mussten. Der Grund: kein Geld mehr für den Betrieb bzw. Materialverschleiß ohne die Möglichkeit Ersatz zu stellen.

Auch wenn ich Ihnen als SPD-Vorsitzender gerne versprechen würde, dass nach der Wahl 2013 wesentlich mehr Geld für Beschaffung, Betrieb und Personal der Bundeswehr zur Verfügung stünde, würden Sie mir das wahrscheinlich eh nicht glauben.

Die beiden genannten Beispiele sind durchaus besorgniserregend. Wir unterhalten schließlich Streitkräfte nicht zum Selbstzweck. Sie dienen dem ureigenen Zweck der Verteidigung Deutschlands und seiner Bündnispartner und leisten, wo immer möglich, einen Beitrag zur Wahrung von Frieden und Stabilität in der Welt. Natürlich ist es daher die Verantwortung der Politik, sicherzustellen, dass die Streitkräfte auch die entsprechenden Mitteln erhalten, um ihren Auftrag erfüllen zu können. So einfach das gesagt ist, so schwierig zeigt sich zunehmend die Umsetzung. Das Beispiel Großbritannien macht deutlich, dass nicht nur kleinere und mittlere Staaten in Europa betroffen sind. Die Grenzen nationaler Möglichkeiten beim Vorhalten militärischer Fähigkeiten und Ressourcen sind deutlich überschritten. Diese Entwicklung kommt nicht überraschend. Die Folgen der Finanzkrise machen sie aber schlagartig sichtbar.

Aus meiner Sicht ist der einzige realistische Ausweg die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Darauf will ich später noch genauer eingehen.

Mein letzter Punkt bezieht sich auf den bemerkenswerten Umstand, dass der allgemeine Reformdruck zahlreiche Militärhauptquartiere zur gleichen Zeit erreicht hat. Streitkräfte dies- und jenseits des Atlantiks befinden sich im Umbau. In den größten NATO-Staaten werden die Armeen Reformen unterzogen - in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in Deutschland und anderen Ländern. Es ist kein Geheimnis, dass bei der Umsetzung der Reformen meist Schmalhans Küchenchef ist. Attribute wie Einsparungen, Kürzungen und Personalabbau prägen den Reformprozess.

Dabei entsteht der Eindruck, dass strategische Überlegungen nur noch eine untergeordnete Rolle bei der militärischen Neuausrichtung spielen. Der finanzielle Imperativ scheint allgegenwärtig. Ein Eindruck, der besonders dann entstehen kann, wenn zum Beispiel Verteidigungspolitische Richtlinien, welche eigentlich der Ausgangspunkt für eine Reform sein sollten, hastig nachgereicht werden. Ich betrachte dies mit besonderer Sorge, da die Gefahr besteht, dass dringend benötigte militärische Fähigkeiten einem kurzsichtigen Spardiktat zum Opfer fallen. Im Übrigen wird es dadurch ungemein schwieriger, die betroffenen Soldatinnen und Soldaten von der Sinnhaftigkeit einer solchen Reform zu überzeugen.

Aus meiner Sicht laufen wir gerade Gefahr eine einmalige Chance zu vertun, beides hinzubekommen - eine solide Neuausrichtung europäischer Streitkräfte auf der Basis strategischer Überlegungen und gleichzeitig die notwendigen Sparvorgaben erfüllen.

Das ist zu schaffen, doch vermisse ich den politischen Willen bei vielen Verantwortlichen in den europäischen Hauptstädten. Das was ich sehe ist nationale Ausplanung statt europäischer Abstimmung. Ich sehe nationale Reformvorhaben statt europäischer Zusammenarbeit.

Wenn wir das Zeitfenster für eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit heute nicht nutzen, ist es mehr als fraglich ob die politisch Verantwortlichen in Europa eine erneute Reform ihrer nationalen Streitkräfte in absehbarer Zeit angehen könnten oder wollten. So eine Reform ist anstrengend, kostet viel Geld und bürdet allen Betroffenen eine große persönliche wie auch berufliche Belastung auf.

Wenn wir also unsere Bundeswehrreform in Deutschland planen, dann müssen wir von Anfang an Europa mitdenken. Wer weiß, wann wir wieder eine solche Chance bekommen, uns mit unseren Partnern in Europa am Anfang eines Umstrukturierungsprozesses abzustimmen?

Was sind die Gefahren des Scheiterns einer handlungsfähigen Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Lassen Sie mich hier in wenigen Worten vor den Gefahren des Scheiterns einer handlungsfähigen Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik warnen.

Ich bin davon überzeugt, dass die europäischen Staaten in Zukunft keine gestalterische Rolle in der internationalen Politik spielen werden, wenn es uns Europäern nicht gelingt, wie von unseren Partner zu Recht gefordert, Verantwortung zu übernehmen und unsere Ziele und Interessen eigenverantwortlich zu verfolgen.

Wir laufen Gefahr, zukünftig zu Getriebenen des Kalküls anderer, handlungsfähiger Akteure zu werden. Deren Ziele und Interessen müssen nicht mit unseren übereinstimmen und können diese sogar nachhaltig bedrohen. So könnte Europa zum Beispiel in seinem Zugang zu Ressourcen und in seiner Energiesicherheit von dem Wohlwollen anderer Mächte weit über das heutige Maß hinaus abhängig werden.

Ebenso könnte dies bedeuten, dass verstärkt andere Akteure das Ruder in den Institution der internationalen Politik übernehmen und diesen ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken, während Europa Gefahr läuft zunehmend im Abseits zu stehen.

Dies gilt es zu verhindern. Es ist an uns, die historische Chance zur konsequenten Vertiefung der europäischen Integration mutig zu ergreifen. Für uns Sozialdemokraten ist dies ein wesentlicher Bestandteil unseres Verständnisses der eigenen politischen Verantwortung.

Für einen "Neuimpuls" in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik

Im Juli letzten Jahres hatte ich die Möglichkeit eine Rede vor Studierenden und Professoren der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr zu halten.

Ich habe versucht, einen "Neuimpuls" für die europäische Sicherheit und Verteidigung zu skizzieren und da ich kein originärer Verteidigungspolitiker bin, war ich sehr auf die Reaktionen gespannt. Als dann auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung meinen Ausführungen etwas abgewinnen konnte, zeigte es mir, dass ich irgendwie den Kern getroffen haben musste.

Wie ich gerade ausgeführt habe, denke ich, ist es höchste Zeit die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus ihrer Starre zu holen.

Was gilt es daher jetzt zu tun? Aus meiner Sicht sind dies vor allem zwei Dinge: Erstens, die Fortführung und den Ausbau bereits bestehender Projekte und Initiativen. Und zweitens, ein starker, glaubwürdiger politischer Impuls.

Bevor ich auf diese zwei Punkte eingehe, möchte ich noch einige Vorbemerkungen dazu machen, welche Staaten hierbei besonders gefordert sein werden.

Vorreitergruppe

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Wiederbelebung der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" alle 27 Mitgliedsstaaten gleichzeitig mit einbezieht. Nach aller politischen Lebenserfahrung ist es allerdings völlig unrealistisch.

Eine solide und kohärente Motivation aller Beteiligten sehe ich am ehesten bei einer kleinen Vorreitergruppe gewährleistet. Klar zum Ausdruck kommen muss der gemeinsame politische Wille, das Projekt einer europäischen Integration der Sicherheit und Verteidigung entscheidend sichtbar voranzubringen. Solche Vorreitergruppen gab es in der EU immer wieder, zum Beispiel beim Schengen-Abkommen.

In Hamburg habe ich damals die Formel des "Weimarer Dreiecks plus 1" gewählt und sie scheint mir noch immer die erfolgversprechendste Vorreitergruppe für eine stärkere Vertiefung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sein.

Deutschland und Frankreich sind ein sehr erfolgreiches und leistungsstarkes Gespann der europäischen Integration. Dies gilt es auch im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich zu nutzen. Im Februar dieses Jahres haben sich beide Regierungen in einer gemeinsamen Erklärung "Für eine stärkere europäische Sicherheit und Verteidigung" ausgesprochen. Das ist ein erster hoffnungsvoller Schritt, auch wenn es bei den konkreten Punkten noch viel Luft nach oben gibt.

Mit Polen verbindet uns viel. Darüber hinaus ist Polen nicht nur wichtig, weil wir in der EU der 27 ein mitteleuropäisches Land in einer solchen Führungsgruppe brauchen. Wir brauchen unsere Nachbarn auch, weil sie zeigen, wie sich eine neu gewonnene Souveränität, feste transatlantische Bindung und europäische Integration vereinbaren lassen.

Das "Plus" lasse ich nach wie vor offen, denn es ist klar, dass es in dieser Vorreitergruppe auf den politischen Willen ankommt, mehr europäische Integration zu wagen.

Wie muss dieses Mehr an europäischer Integration nun praktisch ausgestaltet werden? Wie bereits erwähnt, geht es zunächst darum, bestehende Projekte und Initiativen fortzuführen und auszubauen.

Bestehende Projekte und Initiativen fortführen und ausbauen

"Pooling & Sharing", die Spezialisierung militärischer Fähigkeiten unter Partnern, gemeinsame Ausbildung und die bessere Abstimmung von Rüstungsprojekten sind gute Ansätze, die es konsequent auszubauen und weiter voranzutreiben gilt. Hier gibt es noch viel Potenzial. Die von Deutschland und Schweden auf den Weg gebrachte so genannte Gent-Initiative setzt genau an dieser Stelle an.

Was wir brauchen, sind ebenso intelligente wie auch mutige Projekte und Initiativen.

Das von Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden bestückte Europäische Lufttransportkommando ist eine Initiative mit deutlichen Synergien bei strategischen Fähigkeiten. Es könnte Vorbild für weitere Projekte sein.

Wir sollten aber auch eine seriöse Diskussion über Spezialisierung von militärischen Fähigkeiten zulassen. Viele unserer EU-Partner haben sehr pragmatische und vernünftige Vorstellungen, in was sie gut sind und was sie verstärkt leisten können. Im Gegenzug würden sie auf andere Fähigkeiten verzichten wollen.

Die deutsch-französische Brigade, das Eurokorps, das deutsch-niederländische Korps und das multilaterale Korps Nordost sind weitere Beispiele bereits bestehender wegweisender Projekte militärischer Zusammenarbeit.

Die Integration bleibt meist auf Stäbe und unterstützende Einheiten beschränkt. Hier müssen wir ansetzen und die Verzahnung der Strukturen weiterentwickeln.

Diese Projekte und Initiativen wirken über die rein sachliche Zusammenarbeit hinaus. Sie fördern zusätzlich das gegenseitige Vertrauen zwischen den Partnern hinsichtlich ihres Kooperationswillens und ihrer Verlässlichkeit.

In der Vergangenheit stellten multilaterale Kooperationen im militärischen und im Rüstungsbereich einen Wert an sich dar. Das ist wörtlich zu nehmen, denn wir haben uns diese Kooperationen etwas kosten lassen. Sie waren Bekundung eines politischen Willens zur europäischen Integration.

Das ist heute zu wenig - beziehungsweise von der Ausgabenseite her gedacht zu viel. In Anbetracht der starken Einschnitte in europäische Verteidigungsbudgets von acht bis dreißig Prozent, je nach Land, muss der Effizienz-Gedanke eine weit stärkere Rolle einnehmen. Und damit ist er zugleich ein starkes ökonomisches Argument für eine Europäisierung unserer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Einen glaubwürdigen politischen Impuls geben

Wenn es aber darum geht, die von mir eingangs erwähnte drohende Marginalisierung der europäischen Staaten auf der internationalen Bühne zu verhindern, reichen die soeben geschilderten Maßnahmen bei weitem nicht aus.

Hier ist zuallererst die Politik gefordert, einen glaubwürdigen politischen Impuls hin zu einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu geben. Das ist die Herausforderung der Stunde, der sich die Politiker in allen europäischen Hauptstädten gemeinsam stellen müssen, auch in Berlin.

Für Deutschland bedeutet dies zunächst verloren gegangenes Vertrauen in unsere Bündnissolidarität zurückzugewinnen. Törichte Alleingänge, wie in der Libyenkrise, dürfen wir uns in Zukunft nicht leisten.

Wenn wir uns im Jahr 2050 in einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederfinden wollen, müssen wir bereit sein, unsere sicherheits- und verteidigungspolitischen Ziele abzustimmen. Auch wenn es schwer fällt, müssen wir bereit sein, wie schon zuvor in anderen Politikbereich, auch im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich Schritt für Schritt Souveränität abzugeben.

Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit, zusammen mit den anderen demokratischen Parteien des deutschen Bundestages ein starkes Signal an unsere europäischen Partner auszusenden:

"Deutschland ist bereit, auch unter Änderung seines Grundgesetzes, für die Realisierung einer handlungsfähigen gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit verbunden des Fernziels einer Europäischen Armee einzutreten."

In welcher Form dies geschehen kann, muss Gegenstand einer breit geführten Debatte sein. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass wir dieses Ziel als Verpflichtung in das Grundgesetz aufnehmen.

Ich bin davon überzeugt, dass ein solches Signal eine europaweite Debatte anstoßen würde, die besonders die Euroskeptiker zwingt, der Bevölkerung glaubwürdig zu erklären, warum sie einen solchen Weg nicht beschreiten und mit welchen Mitteln sie einer zukünftigen Marginalisierung ihres Landes entgegenwirken wollen.

Vielleicht trägt die heutige Veranstaltung dazu bei, solch ein Signal in Europa anzustoßen.

Ich bin mir sicher, dass die 8. Petersberger Gespräche zumindest einen wichtigen Beitrag für die deutsche Debatte zur europäischen Sicherheitspolitik leisten kann. Dafür danke ich Oberst Ulrich Kirsch und Mike Groschek.

Danke für die Aufmerksamkeit.


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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 66/12 vom 10. März 2012
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2012