Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1064: Syrer lehnen Konfessionalismus und ausländische Intervention ab (AIK)


Antiimperialistische Koordination - 28. Oktober 2011

Syrer lehnen Konfessionalismus und ausländische Intervention ab

Interview mit Dr. Khaled Khoja
von Mustafa Ilhan und Wilhelm Langthaler


Khaled Khoja ist ein syrischer Exilant in der Türkei und führender Aktivist der Opposition. Sich zur islamischen Strömung bekennend, beteiligte er sich an der Damaszener Erklärung 2005. Heute ist er Mitglied des Syrischen Nationalrates (SNC).


F: In welcher Beziehung stehen Sie zu den demokratischen Forderungen und ihrem wichtigsten Ausdruck, der verfassungsgebenden Versammlung?

A: Mohammad Bouzizi hat durch seine Selbstverbrennung in der gesamten arabischen Welt die Flamme der Freiheit entzündet und ein Tor der Hoffnung in den Köpfen der Massen geöffnet. Er hat der arabischen Jugend den Mut gegeben für die Freiheit und die Würde zu kämpfen, von der die arabische Welt seit Jahrzehnten träumt. Seitdem haben tausende gewaltlose syrische Bürger jeden Kompromiss zurückweisend in Syrien ihr Leben geopfert, gegen die Todesmaschine des syrischen Regimes, für ein demokratisches Syrien und ein pluralistisches System, basierend auf Bürgerrechten.

Die Oppositionsparteien unter dem Schirm des Syrischen Nationalrates (SNC) sollten in ihren Forderungen nicht mit den Forderungen der Bewegung auf den Straßen divergieren, sondern müssen das Echo dieser Stimmen bilden, bis das syrische Volk alle seine Rechte erhält.

F: In welcher Beziehung stehen Sie zu den säkularen Kräften und jenen der radikalen Linken auf der einen Seite und den Kräften der Muslimbruderschaft oder den radikaleren Salafiten?

A: Keine der genannten Kräfte war auf eine solche Krise vorbereitet, aber die Bewegung auf der Straße hat die traditionelle Opposition gezwungen ihre Bemühungen zu bündeln. Es brauchte 6 Monate alle relevanten Parteien an einen runden Tisch zu bekommen und eine Road-Map zu diskutieren, die Syrien vor der Diktatur schützt und diesen historischen Wendepunkt anzuführen. Die Muslimische Bruderschaft ist in der Zeit ihres 30 jährigen Exils sehr viel pragmatischer und weniger ideologisch in ihren Annäherungen geworden; das gilt genauso für die Kräfte der radikalen Linken. Salafiten sind in der Opposition zur Zeit nicht in Erscheinung getreten. Weil die Genannten im Untergrund arbeiten, ist es schwierig ihre Stärke zu vergleichen, jedoch ist es offensichtlich, dass die Bewegung auf der Straße, welche durch die syrische Jugend angeführt, wird keine organische Verbindung zu irgend einer der traditionellen Oppositionskräften hat. Gleichzeitig verfügen die wichtigsten Kräfte der Auslandsopposition über Verbindungen nach innen und auch Unterstützung von innerhalb Syriens.

F: Was denken Sie über einen islamischen Staat und die Scharia?

A: Zuerst möchte ich auf einige Missverständnisse hinweisen die mit dem Begriff Islam in Verbindung gebracht werden. Das Wort "Scharia" wurde sowohl durch Orientalisten als auch durch radikale islamische Kräfte bewusst zu einem Angstbegriff entwickelt. Aber der Begriff meint einfach "Weg" oder "Gesetz". Nach dem Islam gibt es nur eine Religion aber verschiedene Gesetze, so dass alle Propheten von Abraham bis Mohammad für die gleiche Religion gewirkt haben, aber verschieden Scharias praktiziert wurden. Der Begriff "Islam" bedeutet "Unterwerfung" auf der Grundlage von: a) Erkenntnis, b) Vorstellung, c) Zuneigung. Während das Ziel des Islam der Schutz a) des Seins, b) der Religion, c) des Verstands, d) der Generation, e) der Vermögen. Jeder Staat oder jedes System das diese 5 Ziele vollständig umsetzen kann, ist vereinbar mit den islamischen Prinzipien.

F: Welche Bedingungen müssen erfüllt werden, um die Revolution zum Sieg zu führen?

A: Die syrische Revolution wird ihren friedlichen Ausdruck behalten und auf ihren legitimen Forderungen bestehen. In letzter Zeit ist es häufig zu Desertionen von Soldaten oder den Sicherheitskräften gekommen. Diese Überläufer schützen die unschuldigen Menschen mit dem Risiko dabei selbst getötet zu werden. Dieses Phänomen ist positiv, aber jede Auseinandersetzung innerhalb der syrischen Armee wird zu einer Bedrohung der Einheit Syriens und das ist unakzeptabel.

Die syrische Revolution hat in den letzten 7 Monaten geduldig jede Blase der schwarzen Propaganda des Regimes aufgestochen. Das Regime hat versucht die Massen zu provozieren, um sie in einen konfessionellen Krieg zu treiben oder sie so zu verzweifeln, dass sie nach einer ausländischen Intervention rufen. Aber das Selbstvertrauen der Bewegung auf der Straße konnte alle diese Spiele des Regimes überstehen.

In dieser Weise und der weiteren Stärkung dieses Bewusstseins werden wir sicherlich die Revolution zu einem siegreichen Abschluss führen können.

F: Was denken Sie über die Rolle der Türkei? Hat die Türkei die Absicht zu intervenieren? Kann man von so was wie einem "Neoosmanismus" sprechen

A: Die Türkei hat eine besondere Beziehung zu dem Regime von Assad. Ergogan hat Assad auf der internationalen Arena unterstützt und Assad viele Male vor Untersuchungen speziell nach der Ermordung des Premierministers Rafiq Hariri geschützt. Die Türkei hat die Forderungen des syrischen Volkes von Anfang an unterstützt und von Assad lange Zeit gefordert auf die Forderungen seines Volkes zu reagieren. Aber Assad hat all diese Forderungen ignoriert und das Volk, das Demokratie forderte, als Terroristen, Salafiten, amerikanische Kollaborateure oder gar als Krankheitskeime bezeichnet und angefangen sie zu ermorden. Diese Umstände brachten die Türkei näher an die Opposition und führten dazu, dass Erdogan Sanktionen gegen das syrische Regime forderte.

Neoosmanismus ist nicht der richtige Ausdruck, um zu erklären in welcher Weise die Türkei sich in einer sich schnell verändernden Welt zu repositionieren versucht. Die Türkei versucht ihre Rolle als eine Brücke zwischen West und Ost zu verändern, um ein ernstzunehmender Akteur in der Region zu werden. Wie Auenminister Davutoglu sagte: Die Bogensehne stark in Richtung Osten anziehen lässt den Pfeil umso schneller in Richtung Westen fliegen.

F: Was denken Sie über Forderungen nach einer ausländischen militärischen Intervention und über die libyschen Erfahrungen?

A: Anders als die Revolutionäre in Libyen hat die syrische Bewegung auf den Straßen nie eine solche gefordert. Vor kurzem gab es Forderungen an die internationale Gemeinschaft sie zu schützen und das ist ein großer Unterschied zwischen militärischer Intervention und der internationale Schutz im Rahmen des internationalen Rechts.

F: Und Sanktionen?

A: Sanktionen wie solche die finanzielle Bereiche umfassen oder ein Waffenembargo beinhalten, also solche die verhindern, das friedliche und unschuldige Demonstranten ermordet werden sind erwünscht. Aber alle Sanktionen , die geeignet sind den syrischen Staat als ganzes zu schwächen, werden durch das Volk nicht willkommen geheißen.

F: Welche Rechte wollen Sie den Kurden garantieren

A: In einem demokratischen Syrien hat niemand das Recht irgend jemandem etwas zu garantieren, bis nicht alle Bürger gleich vor dem Recht sind. Das neue Syrien wird ein Mosaik bilden, das die gesamte Gesellschaft in all ihren Aspekten widerspiegelt.

F: Was denken Sie über Hizb-Allah und wie werden sich die Beziehungen in der Zukunft nach der Zeit von Assad zu dieser gestalten?

A: Man kann die Geschichte verdrehen, mit der Geographie kann man dies nicht tun. Die guten Beziehungen mit unseren Nachbarn werden bestehen bleiben. Die Diktatur zu unterstützen wie dies die Hizb-Allah getan hat, ist nicht die richtige Annäherung. Wir hoffen, das diejenigen, die die Assad-Dikatur unterstützt haben, verstehen werden, dass die Diktaturen verschwinden aber die Nation bleibt.

F: Welche Rolle spielt Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten?

A: Am Anfang der Proteste hat Saudi-Arabien seine Unterstützung für Assad erklärt, aber später als Bashar al Assad mit den Massakern in vielen Städten begann, stoppten sie ihre Unterstützung. Auf der anderen Seite hatte die syrische Revolution zu Beginn keine Unterstützung, aber sie bekam Schritt für Schritt Solidarität und Sympathien aus den anderen Golfstaaten.


URL des Beitrags: http://www.antiimperialista.org/de/node/7131


*


Quelle:
Antiimperialistische Koordination
Kontakt: Wilhelm Langthaler
Telefon: +43-(0)650-4134677
E-Mail: aik@antiimperialista.org
Internet: www.antiimperialista.org/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011