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AFRIKA/1274: Kenia - Anti-Terrorkampf trifft Migranten und Flüchtlinge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. April 2014

Kenia: Anti-Terrorkampf trifft Migranten und Flüchtlinge - Verfolgung radialer Kleriker gefordert

von Noor Ali



Nairobi, 30. April (IPS) - Sheikh Ahmed vom Kenianischen Rat der Imame und Prediger hat der Regierung des ostafrikanischen Landes vorgeworfen, die seit sechs Jahren geäußerten Warnungen islamischer Kleriker vor einer Radikalisierung und Rekrutierung junger Leute durch 'Al-Shabaab'-nahe Imame in den Wind geschlagen zu haben.

Nairobi habe entsprechende Hinweise bedauerlicherweise als Ausdruck eines internen Streits zwischen muslimischen Klerikern abgetan, anstatt die Gewaltprediger festzunehmen, die junge Leute offen dazu aufriefen, die Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften zu bekämpfen und deren Gebetshäuser anzugreifen.

"Inzwischen hat eine Gruppe von Extremisten die Leitung unserer Moscheen an sich gerissen", erklärte Ahmed. "In Mombasa unterstützt uns die Polizei derzeit bei dem Versuch, zwei Moscheen zurückzubekommen, die von radikalen und gewaltbereiten Kräften besetzt worden sind."

Am 23. April starben bei einem Selbstmordattentat auf eine Polizeistation in der Hauptstadt Nairobi vier Personen, darunter zwei Sicherheitskräfte. Der jüngste Vorfall ist Teil einer Serie, die Kenia derzeit heimsucht. Der bisher schlimmste Vorfall ereignete sich im September vergangenen Jahres, als Kämpfer der Extremistengruppe Al-Shabaab im 'Westgate'-Einkaufszentrum von Nairobi 67 Menschen töteten.

Das Attentat vom 23. April wird als Vergeltungsschlag für die Razzien und Übergriffe gewertet, denen illegale Einwanderer und Flüchtlinge in jüngster Zeit ausgesetzt sind. Den von dem Anschlag Betroffenen wird vorgeworfen, mit der Al-Shabaab zu kooperieren.


Teufel mit Beelzebub ausgetrieben

Nach Ansicht des Konfliktberaters Nuur Sheikh werden die Polizeioperationen den Hass auf Kenia nur noch verstärken und mehr junge Leute veranlassen, sich den Al-Qaeda-nahen Extremisten anzuschließen. "Diese Operationsstrategie ist kontraproduktiv. Sie spielt der Al-Shabaab in die Hände und verprellt eine Gemeinschaft, die den Kampf gegen den Terrorismus unterstützen würde", so der Experte im IPS-Interview.

Die Spannungen zwischen Kenia und Somalia haben nach der Festnahme eines somalischen Diplomaten am 25. April weiter zugenommen. So kritisierte der somalische Ministerpräsident Abdiweli Sheikh Ahmed die Festnahme "gesetzestreuer Somalier" und berief den Botschafter des Landes aus Kenia ab.

Berichten zufolge hat die kenianische Polizei mehr als 4.000 Somalis festgenommen und 200 illegal eingewanderte Mitglieder der Volksgruppe deportiert. Am 9. April wurden die ersten 82 Somalis ohne Papiere ausgewiesen. Etwa zwei Wochen später erfolgte die Abschiebung von 91 weiteren Somalis.

Der Geschäftsführer des Muslimischen Menschenrechtsforums, Al-Amin Kimathi, bezeichnete die Einsätze als diskriminierend. Zudem würden diejenigen bestraft, die bereits unter den Terroranschlägen der Al-Shabaab gelitten hätten, die ihre Lebensgrundlagen zerstört, Angst verbreitet und dafür gesorgt hätten, dass somalische und muslimische Gemeinschaften dämonisiert würden.

Der Polizeisprecher Masood Mwinyi wies die Anschuldigungen gegen die Sicherheitskräfte zurück. "Es ist falsch und irreführend zu behaupten, dass wir lediglich gegen eine Gemeinschaft oder eine religiöse Gruppe vorgehen. Wir haben auch Pakistaner, Chinesen, Inder und andere illegal eingewanderte Ausländer aus den Nachbarstaaten im Visier."

Ahmed Mohamed, Generalsekretär der Geschäftswelt im nairobischen Stadtteil Eastleigh, erklärte gegenüber IPS, dass mehr als 75 Prozent der größeren Unternehmen, ob sie nun Textilien und Elektroartikel verkauften, Geldtransaktionen durchführten oder Restaurants und Hotels betrieben, geschlossen worden seien. Die Polizeieinsätze konzentrierten sich bisher auf Eastleigh, einem vorwiegend von Somalis bewohnten Viertel.


Äthiopische Somalis in Lebensgefahr

Ein Vertreter der Äthiopischen Vereinigung der Ogaden-Flüchtlinge erklärte unter der Bedingung der Wahrung seiner Anonymität, dass 14 äthiopische Somalis deportiert worden seien. Sie alle hätten darum gebeten, nach Somalia und nicht nach Äthiopien ausgewiesen zu werden.

Seit dem Sturz des äthiopischen Diktators Mengistu Haile Mariam 1991 kämpfen Intellektuelle der Nationalen Ogaden-Befreiungsfront für einen unabhängigen Staat, und bis heute halten die Spannungen zwischen den Somalis im Ogaden und der Regierung in Addis Abeba an. "Wir müssen von den Abschiebungen ausgenommen werden, denn jeder von uns, der nach Äthiopien zurückkehrt, wird getötet. Doch ist es ebenso falsch und schrecklich, wenn unsere Leute in ein anderes Land abgeschoben werden", sagte der Sprecher der Ogaden-Flüchtlinge im Interview mit IPS.

Ein Äthiopier, dem nach einer Vielzahl von Festnahmen und Drohungen die Flucht aus seinem Land gelungen war, erklärte, dass er nie wieder in sein Land oder in ein somalisches Flüchtlingslager zurückkehren wolle. "Wir haben viel Leid erfahren, wir wurden von der Polizei drangsaliert. In den somalischen Camps sind wir ebenso wenig sicher und in ständiger Gefahr, weil es in Somalia äthiopische Soldaten gibt, die für den Tod unschuldiger Somalis verantwortlich sind", erklärte er.

Kenias Nationale Menschenrechtskommission hat der Regierung in Nairobi vorgeworfen, mit ihren Polizeieinsätzen gegen die Verfassung und internationale Menschenrechtsstandards zu verstoßen. So kritisierte die Kommissarin Suzanne Chivusia in einer Mitteilung, dass hunderte Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen mit einem begrenzten Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Sanitäranlagen festgehalten worden seien.

Mwinyi rief Zivilisten, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Polizeigewalt geworden seien, auf, die Übergriffe bei der Polizei anzuzeigen. "Wir stehen bereit, um Beschwerden entgegenzunehmen und jeden Beamten zu bestrafen, der sich bei den Einsätzen etwas zuschulden kommen ließ", fügte er hinzu.

Der Vorsitzende der unabhängigen Polizeikontrollbehörde, Macharia Njeru, erklärte in einer Mitteilung, dass man bereits damit begonnen habe, Vorwürfen über illegale Festnahmen, ethnisches Profiling und Isolationshaft nachzugehen.

Der Vorsitzende der Organisation der Muslime in Kenia, Fazul Mohamed, erklärte gegenüber IPS, dass seine Organisation sich dem Problem ideologisch annähern werde, um einer gewaltverherrlichenden Auslegung des Korans durch diejenigen Kleriker vorzubeugen, die mit den Terroristen kooperierten. Seine Organisation habe bereits ein Team aus Geistlichen, Gelehrten, Politikern und Experten für diese Aufgabe zusammengestellt. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/04/kenyas-nationwide-clampdown-islamic-extremism-counterproductive/

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IPS-Tagesdienst vom 30. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2014