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AFRIKA/1338: Sharpeville erinnern (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2015

Sharpeville erinnern
Das Sharpeville-Massaker an friedlichen Demonstranten 1960 gilt als Wendepunkt in der südafrikanischen Geschichte. Dennoch ist die Erinnerung daran politisch umstritten.

von Selloane Phethane und Marjorie Jobson


Auch 55 Jahre nach der exzessiven Polizeigewalt ist das Sharpeville-Massaker ein Inbegriff des Grauens. Die rücksichtslose Attacke der Polizisten des Apartheidregimes am 21. März 1960 hat sich in das Denken und Erinnern eingebrannt. Heute ist dieser Tag ein offizieller Gedenktag: der nationale Tag der Menschenrechte. Damals wurden in Sharpeville, einem Township südlich von Johannesburg, mindestens 69 friedliche Demonstranten erschossen und über 180 vom Kugelhagel schwer verletzt. Im ganzen Land folgten Proteste, die das immer repressivere Apartheidregime blutig niederschlug. Zahlreiche Todesopfer, Verhaftungswellen und das Verbot politischer Organisationen erschütterten den Widerstand.

Im Vorfeld der diesjährigen Gedenkzeremonien fanden Treffen zwischen der Organisation der Apartheid-Überlebenden, Khulumani Support Group, Repräsentanten der South African Heritage Resources Agency (SAHRA) und Gemeindevertretern statt. Das lokale Khulumani-Komitee war über den alarmierenden Zustand zahlreicher Grabsteine besorgt, die an die Erschossenen 1960 erinnerten. Hierbei ging es nicht nur um das Aufbereiten für die Gedenkzeremonie, vielmehr um den bedenklichen Verfall etlicher Steine und die finanziellen Mittel zur notwendigen Restaurierung. Die Verantwortung für nationale Gedenkstätten lag eigentlich bei der SAHRA, die aber ein mangelndes Budget beklagte.

Das Finanzproblem bestand schon länger. Vor Jahren hatte die SAHRA Restaurierungsarbeiten angeordnet, doch offenbar hatte das beauftragte Unternehmen nur teilweise Granitsteine gesetzt und für die meisten Grabmale Betonmischungen verwendet, die leicht brüchig wurden. Seit langem war die lokale Bevölkerung darüber aufgebracht, denn viele Familien der Erschossenen konnten selbst keinen Granitstein bezahlen.


Politische Konflikte

Die Auseinandersetzungen eskalierten am Gedenktag 2012, als Präsident Jacob Zuma die offizielle Gedenkfeier nicht wie in allen Jahren zuvor in Sharpeville abhielt, sondern in Kliptown. Dabei ging es um einen politischen Streit über die Bedeutung des Massakers. Denn nicht der African National Congress, sondern der Pan Africanist Congress (PAC) hatte 1960 die Proteste organisiert. Er hatte sich zuvor unter Robert Sobukwe vom African National Congress abgespalten. Trotz offizieller Verbote behielt der PAC viele Unterstützer in Sharpeville, dort war das Apartheidregime für weitere politisch motivierte Morde verantwortlich.

Die Konflikte zwischen PAC und ANC sowie zwischen verschiedenen ANC-Fraktionen eskalierten während der politischen Wende ab 1990, als junge Untergrundkämpfer zurückkamen. Manche meinen, dass solche Streitigkeiten auch eine Ursache für den schlechten Zustand der Gräber sind. 2014 nutzten arbeitslose Jugendliche sogar den offiziellen Gedenktag, um Khulumani-Mitglieder anzugreifen und ihnen zu unterstellen, nicht genug getan zu haben.

Faktisch hatten sich ältere Aktivistinnen aber um die Erneuerung der Steine gekümmert. Sie forderten auch, Überlebende und Familienmitglieder der Opfer bei der Darstellung im Museum am Gedenkort einzubeziehen. Längst stellte sich die Frage, wo deren persönliche Gegenstände geblieben waren, die dem Museum für Ausstellungszwecke zur Verfügung gestellt wurden.


Gedenkzeremonien

Vor all diesen Hintergründen organisierte das lokale Khulumani-Komitee Ende März 2015 die Gedenkzeremonien: Überlebende erzählten von den schrecklichen Ereignissen vor 55 Jahren. Sie nannten das Imbaola, die Wissensweitergabe über die Geschichte an die Jugend. Am nächsten Tag gab es eine Lichterzeremonie am Sharpeville-Monument, wo an jedes Opfer namentlich erinnert wird. Am darauf folgenden Tag legten deren Familienangehörige, überlebende Aktivistinnen und Aktivisten und Vertreter aller Organisationen Kränze auf die Gräber, anwesende Regierungsvertreter dankten ihnen persönlich. Mitglieder lokaler Gruppen des PAC und des ANC - einschließlich ihrer Jugendorganisationen - riefen zu Frieden und Entwicklung auf. Ein Tag später rundeten Musikgruppen die Gedenkfeier ab.


Die Autorinnen sind Khulumani-Vertreterinnen auf lokaler und nationaler Ebene.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2015, S. 19
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2015

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