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AFRIKA/713: Südafrika übt sich in Demokratie (Südwind)


Südwind Nr. 3 - März 2009
Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung

Südafrika übt sich in Demokratie

Von Almuth Schellpeper


Nach 15 Jahren demokratischer Führung kämpft das Land am Kap mit großen sozialen Herausforderungen. Der Wahlkampf ist in vollem Gange, die Konkurrenz für den ANC stark wie noch nie.


Im April wählt die Bevölkerung Südafrikas eine neue Regierung. Die jetzige Regierungspartei African National Congress (ANC) führt das Land seit den ersten demokratischen Wahlen 1994. Doch hat der ANC es unter Präsident Thabo Mbeki und dem jetzigen Interimspräsidenten Kgalema Motlanthe nicht geschafft, soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Korruption, Kriminalität, Wohnungsnot und ungleiche Bildungschancen in den Griff zu bekommen. Ein Viertel der schwarzen Bevölkerung ist laut offiziellen Angaben arbeitslos, in den Townships liegt die Arbeitslosenrate sogar bei rund 60 Prozent. Viele leben unter schwierigen Bedingungen in Blechhütten und warten auf richtige Häuser. Jedes Jahr sind mindestens zwei Millionen Menschen in Südafrika von Gewalt und Kriminalität betroffen. Die HIV/Aids-Rate ist eine der höchsten weltweit.

Der Wahlkampf in Südafrika ist in vollem Gange. Zum ersten Mal seit 1994 ist die Monopolstellung des ANC in Frage gestellt. Viele SüdafrikanerInnen sind mit der alten Anti-Apartheid-Partei unzufrieden und werfen ihr Selbstgefälligkeit und Korruption vor. Der amtierende ANC-Präsident Jacob Zuma, gleichzeitig Präsidentschaftskandidat des ANC, ist wegen Korruption, Betrug und Geldwäsche angeklagt, weigert sich jedoch, zurückzutreten. Die Oppositionsparteien erwarten verstärkten Zulauf. Im Dezember 2008 hat sich die neue Partei Congress of the People (COPE) gegründet (siehe SWM 12/08, S. 19). COPE besteht aus vielen ehemaligen ANC-Mitgliedern, die die Regierungspartei verlassen haben, nachdem interne Machtkämpfe den Präsidenten Thabo Mbeki im September letzten Jahres dazu zwangen, den Vorsitz an Jacob Zuma abzutreten.

Neben Mbekis Rücktritt schrieb noch ein anderes Ereignis negative Schlagzeilen: Im Mai 2008 brach eine Welle von Übergriffen auf EinwanderInnen aus. Landesweit wurden mehr als 60 Menschen getötet und fast 40.000 aus ihren Wohnvierteln vertrieben. Betroffen waren u.a. MigrantInnen aus Simbabwe, der Demokratischen Republik Kongo, Burundi, Ruanda, Mosambik, Somalia, Sudan. Die Gewalt brach in Alexandra, einem Township in der Nähe von Johannesburg, aus und verbreitete sich bis nach KwaZulu-Natal und in die Provinz Western Cape. Die Vertriebenen fanden schließlich Schutz in speziell für sie eingerichteten Flüchtlingslagern. Die Regierung sprach von einer humanitären Krise.

Assina Hassan aus Burundi lebte vier Jahre lang in Südafrika. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie einen Friseursalon in Philippi, einem Township bei Kapstadt. Als man sie im Mai 2008 bedrohte und ihren kleinen Laden plünderte, flüchtete sie mit Mann und den Kindern zur nächsten Polizeistation. Von dort aus wurden sie ins Flüchtlingslager gebracht. Jetzt geht Assina mit ihrer Familie zurück nach Burundi. "Ich bin hier nicht mehr glücklich", erzählt sie. "Wir haben uns entschieden, nach Hause zu gehen, weil wir hier nicht mehr leben können, weil wir Angst haben."


UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinen Nationen, unterstützte die südafrikanische Regierung und half u.a. dabei, die Vertriebenen in ihre Heimatländer zurückzufliegen. Nicht ohne Schwierigkeiten, wie Oliver Beer, UNHCR-Sprecher in Kapstadt, berichtet: "Einige Flüchtlinge wollten in ein Heimatland zurückkehren, in das sie nach unseren Informationen nicht zurückkehren konnten. Zum Beispiel gab es viele SomalierInnen, die nach Mogadischu wollten. UNHCR kann die Rücksendung in ein Land, in dem Lebensgefahr für die Betroffenen herrscht, nicht unterstützen, denn unser oberstes Ziel ist es, das Leben der Flüchtlinge zu schützen."

Einer der Somalier, die entweder zurück nach Hause oder in ein drittes Land geschickt werden wollen, ist Denzel Abdulkadir. Dem 28-Jährigen gehörte ein kleiner Laden im Township Kayelitsha, in dem er Chips, Kaugummis und Gemüse verkaufte. Als die fremdenfeindlichen Übergriffe ausbrachen, wurde Denzels Laden geplündert. Er fürchtete um sein Leben und rannte davon. "Bis jetzt leben wir in diesen Zelten. Wir wissen nicht, wo wir sonst bleiben sollen. Wir haben alles verloren. Wir wollen nicht zurück in unsere Viertel, weil wir immer noch in Gefahr sind. Wenn wir zurückgehen, werden sie versuchen, uns umzubringen. Wir brauchen einen Ort, an dem wir in Frieden leben können", sagt Denzel.

Er lebt zusammen mit etwa 80 anderen Flüchtlingen weiterhin in Youngsfield, einem Zeltlager bei Kapstadt. Offiziell sind die Lager seit Oktober 2008 geschlossen. Die Stadt hat den Strom abgeschaltet und bereitet einen Räumungsbefehl vor. Den Vertriebenen bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, wenn diese sicher genug sind, oder in ein Stadtviertel ihrer Wahl zu ziehen.


Der Hass AusländerInnen gegenüber ist vielerorts noch spürbar. Rashid Omar, Imam einer Moschee in Kapstadt, erzählt, dass Fremde auch weiterhin eingeschüchtert und willkürlich angegriffen werden. Er glaubt, dass dies zum Teil mit den Veränderungen in der südafrikanischen Gesellschaft nach dem Ende der Apartheid zu tun hat: "Eines der größten Probleme in Südafrika ist, dass wir unsere Transformation überbewertet haben. Nach 1994 dachten wir, wir hätten die Welt verändert. Doch unter der Oberfläche brodelt Frustration. Ich glaube, dass die strukturellen Bedingungen in unserer Gesellschaft reif für eine Explosion sind. Im Mai gab es einen Auslöser. Beim nächsten Auslöser explodiert es wieder. Das ist beängstigend."

Da viele Jugendliche an der Gewalt im Mai 2008 beteiligt waren, könnte eine Veränderung u.a. vom Bildungssektor kommen. ExpertInnen schlagen vor, interkulturelle Workshops speziell für SchülerInnen anzubieten. Religiöse FührerInnen könnten ebenfalls für Veränderung sorgen. Ingrid Anderson, evangelische Pfarrerin in Pietermaritzburg, ist der Meinung, dass die Apartheid die Menschen immer noch beeinflusse und die südafrikanische Gesellschaft stark geschädigt sei. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sei sehr heilsam gewesen. Allerdings habe sie sich nur auf wenige Menschen konzentriert. Millionen von SüdafrikanerInnen seien nicht miteinbezogen worden, betont Anderson. "Wenn wir als Nation beginnen unsere Verletzungen zu heilen, können wir anfangen zu akzeptieren, dass wir verschieden sind und zusammenwachsen", ist die Pfarrerin überzeugt.


Eine geschädigte Gesellschaft braucht Orientierung. Eine neue Regierung hat die Chance, einen neuen Anfang zu wagen und dringend notwendige Veränderungen herbeizuführen. Die Regierungspartei ANC kann immer noch auf viele UnterstützerInnen zählen. Sie verspricht den WählerInnen u.a. den Polizeidienst zu verbessern, die Gehälter von LehrerInnen und PolizistInnen anzuheben, an 60 Prozent aller öffentlichen Schulen in Zukunft kein Schulgeld zu verlangen, die Ausgaben für HIV/Aids-Medikamente zu erhöhen und das öffentliche Gesundheitssystem zu verbessern.

In der Bevölkerung ist ein Bedürfnis nach neuen politischen Ideen entstanden. Der frisch gegründete Congress of the People hat nach eigenen Angaben bereits über 450.000 Mitglieder gewonnen. Neben dem früheren Verteidigungsminister Mosiuoa Lekota gehört auch Mbhazima Shilowa, Ex-Premier der Provinz Gauteng, dazu. Die Partei plant Präsidenten, Bürgermeister und Premiers in Zukunft direkt wählen zu lassen, so Phillip Dexter, Pressesprecher von COPE. Außerdem müssen die öffentlichen Dienstleistungen verbessert werden und BewerberInnen sollten nach Qualifikation, nicht nach politischer Ausrichtung eingestellt werden. COPE will Jobs im Sektor erneuerbare Energien und Anreize für Investoren schaffen. Um Kriminalität und Korruption zu bekämpfen, soll eine spezielle Einheit aufgebaut werden, die sich auf die Ermittlung bei Mord und Raubüberfällen konzentriert.


Die sozialdemokratische Partei Independent Democrats (ID) existiert seit 2003 und hat vier Sitze im nationalen Parlament. Parteiführerin ist Patricia De Lille, die sich einen Namen im Kampf gegen Korruption und HIV/Aids erworben hat. Nelson Mandela hat sie einst als seine "Lieblings-Oppositionspolitikerin" bezeichnet. Sie ist seit mehr als 20 Jahren in der Politik aktiv und war während der Apartheid eine führende Gewerkschafterin. De Lille war die erste, die auf den Waffendeal von 1999 im Umfang von fast fünf Milliarden US-Dollar aufmerksam machte, der zu einem der größten Regierungsskandale wurde. Damals kaufte die Regierung Waffen von verschiedenen europäischen Ländern. Der Verdacht kam auf, dass Bestechungsgelder gezahlt wurden, um den Deal zu ermöglichen. Doch bis heute hat die Regierung es abgelehnt, Nachforschungen anzustellen.


Die bisher stärkste Oppositionspartei im Land ist die Democratic Alliance (DA), die im Parlament mit 47 von insgesamt 400 Sitzen vertreten ist. Helen Zille, Vorsitzende der Partei, begann ihre Karriere als politische Korrespondentin bei der liberalen Zeitung Rand Daily Mail in den 1980er Jahren. Seit 2006 ist sie Bürgermeisterin von Kapstadt und wurde mit dem World Mayor Preis 2008 international zur Bürgermeisterin des Jahres gekürt. Sollte die DA an die Regierung kommen, will Zille ein neues Ministerium für Energie und Klimawandel schaffen und die Kriminalität mit mehr und besser ausgebildeten PolizistInnen eindämmen. Früher galt die DA als weiße Partei der englischsprechenden Bevölkerung, doch Zille hat sie zu einer südafrikanischen Partei gemacht. Heute kandidieren Schwarze auf guten Listenplätzen und machen einen bedeutenden Teil der Mitglieder aus.

Während sich Südafrika auf die Wahlen vorbereitet, geht das Nachbarland Simbabwe wirtschaftlich und politisch weiter in die Knie. Daran wird auch die neue Einheitsregierung von Robert Mugabe und Oppositionsführer Morgan Tsvangirai nicht so rasch etwas ändern. Tausende SimbabwerInnen sind in den letzten Jahren nach Südafrika geflohen, laut Angaben der südafrikanischen Regierung halten sich etwa zwei Millionen im Land auf. Die Zuwanderung wird auch in Zukunft anhalten. Die Regierung wird sich mit einer verbesserten Einwanderungspolitik auseinandersetzen und dem latenten Rassismus Einhalt bieten müssen. Vor allen Dingen hoffen die Menschen in Südafrika auf konkrete Lösungen für drängende Probleme wie Armut und Kriminalität. Die Partei, die das Land am Kap in Zukunft regiert, wird einen langen Atem und kompetente Leute an der Spitze brauchen.


Almuth Schellpeper ist Print- und Hörfunk-Journalistin und Dozentin für Journalisten-Fortbildungen. Sie lebt in Kapstadt.


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Quelle:
Südwind - Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung
30. Jahrgang, Nr. 3/2009 - März 2009, Seite 12-15
Herausgeber: Südwind-Entwicklungspolitik (ehem. ÖIE)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009