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AFRIKA/867: Äthiopien - Wenn der Bücherkarren kommt - Private Leseinitiative für Landkinder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2010

ÄTHIOPIEN:
Wenn der Bücherkarren kommt - Private Leseinitiative für Landkinder

Von Adeyabeba Bekele und Rosebell Kagumire


Addis Abeba, 27. September (IPS) - Für die Kinder in Mek'ele in der nordäthiopischen Region Tigray ist es immer ein Fest, wenn der bunt geschmückte Eselskarren in ihrem Viertel Halt macht. Sie wissen, dass sich hinter den leuchtend gelb gestrichenen Bretterwänden eine Bibliothek verbirgt mit Büchern, die sie ausleihen oder in denen sie gleich vor Ort schmökern können.

Bücher sind Luxus in dem ostafrikanischen Land, in dem nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) 55 Prozent der Kinder nicht zur Schule gehen, weil ihre Eltern zu arm sind. 61 Prozent der 15- bis 24jährigen äthiopischen Mädchen und Frauen und 39 Prozent ihrer männlichen Altersgenossen können weder lesen noch schreiben. Den dürftig ausgestatteten Landschulen fehlen die Mittel für eigene Büchereien.

Der Begründer der Leseinitiative, der Äthiopier Yohannes Gebregiorgis, kennt den Bildungsnotstand in seinem Land, auch wenn er selbst zur Schule gehen durfte. Der heute 59-Jährige wuchs im südlichen Negele Norena auf. Mit 31 Jahren ging er in die USA. Dort ließ er sich zum Bibliothekar ausbilden und arbeitete jahrelang an der Stadtbibliothek von San Francisco.

"Ich habe oft an die Kinder in meinem Land gedacht", berichtet er. "Sie spielen im Sommer mit Bällen aus Lumpen und kicken mit Blechdosen, während die Kinder in den USA lange Listen von Büchern zusammenstellen, die sie gerade lesen."

Damit auch äthiopische Kinder ans Bücherlesen kommen, gründete Gebregiorgis die Stiftung und Bildungsinitiative 'Äthiopische Bücher für Kinder' (EBCFE), inzwischen als das Projekt 'Äthiopien liest' bekannt. Die erste seiner Wanderbüchereien drehte 2005 in der zentraläthiopischen Stadt Awassa ihre Runden. Heute ist landesweit ein halbes Dutzend Bücherkarren unterwegs. Weitere elf stationäre Büchereien hat die Stiftung vor allem in Schulen eingerichtet.

"Nicht nur die Kinder, die ganze Stadt war begeistert von unserer ersten Wanderbücherei und dem mit bunten Fähnchen geschmückten Esel, der sie zog", erinnert sich der Sponsor. "Es war für uns alle ein unvergesslicher Tag."

Zum Inventar der Bücherkarren gehören neben neuen und gebrauchten Büchern auch 40 Hocker. Unter den jungen Besuchern sind sogar kleine Kinder, die noch nicht lesen können, sich aber die Bilder in den Büchern aufmerksam anschauen. Manchmal lesen der Leiter der Wanderbibliothek und seine zwei Gehilfe etwas vor.


'Hero Award' für den äthiopischen Lese-Initiator

Inzwischen hat die Stiftung tausende Bücher nach Äthiopien geschickt. Gebregiorgis steckte auch Einnahmen aus dem Verkauf eines eigenen Buchs in das Projekt. Sein zweites, 2002 erschienenes Buch 'Tirhas loves Asehnda', wurde bei der Eröffnung des ersten Bücherwagens an alle Besucher verschenkt. Für seine Lese-Initiative erhielt Gebregiorgis 2008 den 'Hero Award' des US-amerikanischen Fernsehsenders CNN.

Die US-amerikanische Bibliothekarin Janet Lee, die ihm beim Start des Bücherwagen-Projektes half, betonte gegenüber IPS: "Es ist wichtig, dass Kinder jeden Alters Zugang zu Büchern haben. Sie helfen ihnen beim Lesenlernen und erweitern ihre Kenntnisse über ihre jeweiligen Interessengebiete."

"Das Lesenlernen der Kinder sollte sich zunächst auf die Muttersprache beschränken. Dann können weitere, in ihrer Umgebung gebräuchliche Sprachen folgen", erklärte die Expertin. "Der Erwerb von Fremdsprachen verbessert auch die beruflichen Chancen", betonte Lee. Sie kam mit gestifteten Büchern nach Mek'ele und hatte zudem einen für eine Jugendbücherei bestimmten Computer im Gepäck.

"Ich lese gern, und hier gibt es so viele schöne Bücher", freute sich der Zwölfjährige Regat über das Leseangebot des Bücherkarrens. "Am liebsten lese ich Amharisch, doch Bücher in Englisch oder Tigrinya mag ich auch."

In Mek'ele ist der Esel mit dem Bücherwagen werktags von 9.00 bis 16.00 Uhr unterwegs. Manchmal hält er an einem vorher bekannt gegebenen Ort, manchmal auf dem Schulgelände. Etliche Familien haben sich Leserkarten ausstellen lassen, mit sich ihre Kinder Lektüre für zuhause ausleihen können. Auch manche Lehrer leihen Bücher aus, um sie auf eigene Verantwortung an ihre Schüler weiterzugeben.

Experten begrüßen private Bildungsinitiativen wie das Projekt 'Äthiopien liest', zumal das Land im weltweiten Vergleich zu den zehn Staaten gehört, in denen Kinder besonders schlechte Chancen haben, eine Schule besuchen zu können. Sieben dieser bildungspolitischen Schlusslichter befinden sich auf dem afrikanischen Kontinent: Es sind neben Äthiopien Burkina Faso, Eritrea, die Komoren, Liberia, Mosambik, Simbabwe, Tschad und die Zentralafrikanische Republik.


Staaten sollen mehr in Bildung investieren

"In afrikanischen Ländern fehlt häufig der politische Wille dafür zu sorgen, dass alle Kinder die Grundschule besuchen", kritisiert die 'Global Campaign for Education' (GCE), eine Koalition, in der Organisationen aus 100 Ländern zusammenarbeiten. Sie präsentierte den Teilnehmern der jüngsten UN-Millenniumskonferenz in New York ihren aktuellen Bericht mit dem Titel 'Back too School? The worst places in the world to be a school child in 2010'.

Mit internationaler Hilfe allein lasse sich das Bildungsdefizit vieler Entwicklungsländer nicht beseitigen, erklärten Sprecher der GCE. Die Länder müssten dazu einen eigenen Beitrag leisten und jährlich 20 Prozent ihres Staatshaushalts in Bildung investieren, falls ihnen daran gelegen sei, bis 2015 das Millenniumsentwicklungsziel (MDG) der Grundschulbildung für alle zu erreichen. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.unicef..org
http://www.ethiopiareads.org/
http://www.campaignforeducation.org
http://www.ipsnews.net/africa/nota.asp?idnews=52904
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52927

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2010