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AFRIKA/916: Sozialer Schutz für die Armen - Wandel der EU-Entwicklungsstrategie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2010

AFRIKA: Sozialer Schutz für die Armen - Wandel der EU-Entwicklungsstrategie

Von Jaya Ramachandran


Brüssel, 10. Dezember (IPS) - Im Rahmen einer Neuausrichtung ihrer Entwicklungspolitik will die Europäische Union bei der Bekämpfung der Armut in Afrika künftig in soziale Schutzmaßnahmen investieren. Zinsgünstige Kredite, technische Hilfe und Zuschüsse allein konnten die große Not vieler Afrikaner nicht lindern.

Laut dem kürzlich in Brüssel vorgestellten Europäischen Entwicklungsbericht (ERD) könnte eine Kombination aus konventioneller Entwicklungshilfe und sozialen Schutzmaßnahmen den afrikanischen Ländern südlich der Sahara dabei helfen, sich besser gegen wirtschaftliche Krisen zu wappnen und ihr Wachstum zu steigern. Empfohlen werden unter anderem Sozialversicherungen und Mechanismen zum Schutz gegen Lebensrisiken.

Sozialschutz sei mehr als ein bloßes "Sicherheitsnetz", heißt es in dem Bericht. Es handele sich um einen Teil einer umfassenden Strategie, mit deren Hilfe arme Menschen einen Ausweg aus der Armut finden sollten. Die ERD-Initiative wird von der Europäischen Kommission und sieben EU-Mitgliedsländern - Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, Schweden und Spanien - unterstützt.

Die Statistiken zeigen, dass Handeln dringend erforderlich ist. In Schwarzafrika ist der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen, die täglich umgerechnet weniger als 1,25 US-Dollar zur Verfügung haben, zwischen 1990 und 2005 zwar von 58 auf 51 Prozent gesunken. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums ist jedoch im gleichen Zeitraum die Zahl der Armen von 296 auf 388 Millionen gestiegen. Die Weltbank schätzt außerdem, dass die Nahrungskrise 2006 weitere 30 Millionen Afrikaner ins Elend stürzte.


Finanzkrisen gefährden UN-Millenniumsziele

Auch die kürzlichen globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen haben spürbare Auswirkungen auf Subsahara-Afrika gehabt. Die Wachstumsraten gingen von durchschnittlich fünf Prozent in den Jahren 2000 bis 2008 auf 2,5 Prozent in 2009 zurück. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds gehen deshalb davon aus, dass bis 2015, dem Stichjahr für die Erreichung der UN-Millenniumsziele, 20 Millionen Afrikaner weniger als vorgesehen einen Weg aus der Armut finden.

"Sozialschutz wird in Europa oft als selbstverständlich betrachtet. In der Tat hat er eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Armut gespielt", sagte der EU-Kommissar für Entwicklung, Andis Piebalgs, bei der Vorstellung des Berichts mit dem Titel 'Social Protection for inclusive Development - A new Perspective in EU Cooperation in Africa'. "Ein ähnlicher Erfolg könnte auch in Afrika erreicht werden, wenn die Prioritäten und Besonderheiten des Kontinents berücksichtigt werden."

Piebalgs Äußerungen erhalten dadurch Gewicht, dass die Europäische Kommission den weltweit höchsten Anteil offizieller Entwicklungshilfe - etwa 49 Milliarden Euro jährlich - bereitstellt. In der EU-Entwicklungsagenda sei der soziale Schutz allerdings noch nicht umfassend verankert, heißt es in dem Report. Dabei sei das europäische Sozialmodell durchaus vereinbar mit den Zielen bei der internationalen Neuverteilung von Geldern, die die Sozialsysteme in den Partnerländern stärken sollten.

Dennoch hat die Europäische Union bisher kein umfassendes Rahmenwerk geschaffen, um sozialen Schutz als integralen Bestandteil ihrer Entwicklungshilfe voranzutreiben. Darauf dringen jedoch Akteure wie die Europäische Arbeitsgruppe für Sozialschutz in der Entwicklungszusammenarbeit, die damit argumentieren, dass die EU damit ihrem Engagement für eine soziale Dimension der Globalisierung eine größere Glaubwürdigkeit geben könnte.

Ein erster Schritt in dieser Richtung wurde allerdings bereits mit der Veröffentlichung des 'Grünen Papiers zur Entwicklung' im November dieses Jahres erreicht. Die Europäische Kommission gab damit den Startschuss für eine öffentliche Konsultation, die den Weg zu einer für 2011 angekündigten modernisierten EU-Entwicklungspolitik ebnen soll.


Katalysator für inklusive Entwicklung

Die Hauptautorin des Berichts, die Wirtschaftsprofessorin Giorgia Giovanetti von der Universität Florenz, zeigte sich zuversichtlich, dass der Sozialschutz bald Teil der EU-Entwicklungsstrategien sein wird. "Mehrere afrikanische Staaten setzen schon solche Programme um", erklärte sie. Das Thema stehe immer häufiger auf der politischen Agenda der Regierenden. "Einige EU-Geberländer unterstützten bereits den Sozialschutz, den sie als Menschenrecht und als Katalysator für inklusive Entwicklung betrachten."

Der aktuelle Europäische Entwicklungsbericht komme zu dem Schluss, dass man nicht häppchenweise vorgehen könne, sagte Giovanetti, die sich als Gastprofessorin am Europäischen Hochschulinstitut in Fiesole mit der Erstellung des Berichts befasste. "Sozialschutz muss ein zentraler und koordinierter Bestandteil der Entwicklungspolitik afrikanischer Staaten, der EU und ihrer Mitgliedsländer sowie anderer Geber werden", forderte sie. "Unsere Analyse hat gezeigt, dass dies realisierbar und finanzierbar ist."

Die Zeit für eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik scheint in der Tat reif zu sein. Die Staaten im Afrika südlich der Sahara stehen vor großen Herausforderungen und sind etwa Schwankungen auf den internationalen Nahrungsmittelmärkten und den Folgen des Klimawandels schutzlos ausgeliefert. Diese Risiken gefährden die Fortschritte, die bereits bei der Armutsbekämpfung und der Erreichung anderer UN-Millenniumsziele verzeichnet worden sind. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://erd.eui.eu/
http://www.un.org/millenniumgoals/
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2010-12-09%2015:04:24&key2=1


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2010