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AFRIKA/985: Südafrika - Von der Straße in die Uniform (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2011

Von der Straße in die Uniform


Von Nikolai Link


In den Townships von Tshwane, dem früheren Pretoria, werden arbeitslose Jugendliche zu Community Peace Workern ausgebildet. Ein Rezept im südafrikanischen Kampf gegen Gewalt und Kriminalität?


Atteridgeville, PDP Station: Morgenapell. Joseph Mthimkhulu steht vor seinen Leuten, grüßt, rekapituliert die Dienstpläne für den Tag. Schultern zurück, Brust raus, feste Stimme, die Sätze knapp, fast militärisch, ein paar motivierende Schlußbemerkungen, auf gehts. Die Freiwilligen, in sonnengelben Uniformhemden, Khakihosen und Wüstenstiefeln, schwärmen aus in die Straßen von Atteridgeville, einer Township am Rand der südafrikanischen Hauptstadt Tshwane (früher Pretoria), um für Sicherheit und Lebensqualität zu sorgen. In den nächsten Stunden werden sie Schulkinder auf die andere Seite der Durchgangsstraße bringen, sie werden Rentner zum Geldautomaten begleiten und Verbrechensopfer zu ihrer Aussage bei der Polizei. Sie werden sich in den Schulen und auf den Straßen umhören, wo Probleme und Konflikte drohen, wer sich mit wem zerstritten hat, und warum. Sie werden über die Gefahr von Drogen und über HIV-Infektionsrisiken aufklären, und sie werden Streife laufen, in ihren Uniformen, als "Augen und Ohren der Polizei", wie Mthimkulu sagt. Auch in den Parks und auf den Brachflächen, in deren Ecken jene treffen, die Stadtplaner mit Sorge und Polizisten mit Misstrauen beäugen: Junge Männer ohne Ausbildung und Job, mit zuviel Frust und zuwenig Perspektiven.

Diese Parks und Brachflächen kennen einige der Freiwilligen gut - nicht nur, weil sie regelmäßig hier patroullieren und ohnehin alle aus der näheren Umgebung kommen: Früher haben auch sie hier die Zeit totgeschlagen. Früher, bevor sie ins Peace and Development Programme (PDP) aufgenommen wurden, einem Gemeinschaftsprojekt der Gemeinde- und Verkehrspolizei Tshwane Metropolitan Police Service (TMPS) und der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz), das nicht nur für mehr Sicherheit sorgen, sondern auch die Jugendarbeitslosigkeit senken soll.

Zum Programm des einjährigen Freiwilligeneinsatzes als Community Peace Worker (CPW) gehört daher eine umfassende Ausbildung. Nicht nur Selbstverteidigung und die Codes des Polizeifunks stehen auf dem Stundenplan, sondern auch Seminare zu Mediation und Konfliktmanagement, Gesundheitsberatung und Aids-Prävention und auch Grundsätzliches wie Computerkurse, Führerscheine und Bewerbungstrainings. Pfunde, mit denen sich wuchern lässt: Knapp 90 Prozent der Freiwilligen sind nicht nur während ihrer Teilnahme am PDP weg von der Straße, sondern holen sich hier ihren Schwung für den Sprung aus der Arbeitslosigkeit. Viele von ihnen kommen beim TMPS oder der Bundespolizei (South African Police Service, SAPS) unter. Auch Joseph Mthimkhulu, TMPS-Beauftragter fürs Outreach Center Atteridgeville, hat als freiwilliger Community Peace Worker angefangen.

Soshanguve, PDP Station: Magdeline Mathonsi hat Stationsdienst, und der Mann vor ihr gehört nicht zu ihren einfachen Klienten. Er schimpft und tobt, lässt sich nur mühsam beruhigen, um sein Anliegen vorzubringen: Es geht um die Bezahlung eines Fenstergitters. Das habe eine Nachbarin bei ihm bestellt, er habe das Material gekauft, zusammengeschweißt, eingebaut und laufe seither seinem Geld hinterher. Mehrfach sei er vertröstet worden, immer hieß es "morgen", "nächste Woche", "zum Monatsanfang". Schließlich, der Mann redet sich wieder in Rage, habe sich herausgestellt, dass die Nachbarin gar kein Geld habe. "Ich soll dann halt das Gitter wieder mitnehmen, hat sie gesagt", schimpft er. "Das ist doch Unsinn. Erstens ist es fest eingebaut, zweitens kann ich nichts damit anfangen. Das war eine Auftragsarbeit. Ich habe Kosten gehabt, ich habe gearbeitet, ich will kein Gitter, ich will mein Geld."

Mathonsi protokolliert sein Anliegen, erfragt den Namen der Nachbarin, füllt ein Formular aus, mit zwei Durchschlägen. Stempel, Unterschrift, jetzt ist es ihr Fall. Sie wird die Nachbarin besuchen, und sich deren Version anhören, wird um Verständnis werben, wird versuchen, die Kontrahenten an einen Tisch zu bekommen und zu vermitteln. Sie wird ihre eigene Autorität einsetzen, die ihrer Uniform, ihr Ansehen in der Nachbarschaft, und wenn gar nichts mehr geht, wird sie auf ihren kurzen Draht zur Polizei hinweisen. Am Ende, sagt sie, läuft es wohl auf eine Ratenzahlungsvereinbarung hinaus, dokumentiert und überwacht von ihr, mit eigenem Quittungsstempel für jede Rate.

Fälle wie dieser sind das Brot-und-Butter-Geschäft des PDP: Vier von fünf Konflikten, die den Community Peace Workern zur Schlichtung vorgelegt werden, drehen sich um Schulden. Unbezahlte Handwerkerrechnungen, kleine Darlehen, aber auch größere Unregelmäßigkeiten und Unterschlagungen, etwa in den Sparklubs, zu denen sich viele Gemeindemitglieder für größere Anschaffungen zusammenschließen. Für Gerichtsverfahren und Anzeigen sind die Beträge oft zu gering, für die Schuldner und Gläubiger allerdings nicht selten existenziell - und der Bedarf zu dringend für langwierige Klagewege. Gegen Monatsende, wenn das Geld knapp wird, herrscht bei den Community Peace Workern Hochkonjunktur.

Auch die Montage sind arbeitsreich, aber da geht es eher um die Sünden des Wochenendes: Prügelnde Ehemänner, Nachbarschaftsfehden, Kneipenschlägereien. Dabei sind die Vermittlungsmöglichkeiten begrenzter. "Fälle, die mit Gewalt zu tun haben", sagt Mathonsi, "geben wir direkt an die Polizei ab. Aber wir ermutigen die Opfer zur Anzeige, begleiten sie auf die Wache, helfen, die Aussage zu formulieren."

Hatfield, gtz-Büro: Joachim Fritz, Vertreter der gtz in Tshwane, ist stolz auf sein Projekt - und er kann eine lange Liste von Gründen dafür aufzählen: Die Anzahl der Community Peace Worker steigt beständig, die der Bewerber ist geradezu explodiert: Wollten im Jahr 2007 noch 592 Jugendliche den Freiwilligendienst antreten, waren es mit steigender Bekanntheit 2009 schon über 15.000. Die weitaus meisten der zur Vermittlung vorgebrachten Konflikte werden zur Zufriedenheit beider Seiten gelöst (für das Jahr 2010 zeichnet sich ein Wert von 86 Prozent ab) und die Konflikthäufigkeit nimmt insgesamt ab - was Fritz als Zeichen für eine Stabilisierung der Townships betrachtet. Das Mutterprojekt im Kapstädter Township Khayelitsha ist vollständig ins städtische Gewaltpräventionsprogramm übernommen worden, die Projekte in den Townships von Tshwane sind langfristig gesichert und sollen ausgebaut werden, die Behörden der Hafenstadt Port Elizabeth berät Fritz bei der Einrichtung eines ähnlichen Projekts. Kein Zweifel, die Zahlen sind gut. "Aber auf guten Zahlen darf man sich nicht ausruhen", findet Fritz, und redet von der Zukunft, von Sicherheit und Gewaltprävention, die als Querschnittsthemen jeden angingen, viel zu lange aber nur als Polizeiangelegenheit und Problem zwielichtiger Viertel angesehen worden seien.

"Langfristig wollen wir weg von den Hotspots", erklärt Fritz. "Wenn man Prävention ernstnimmt, kann man dem Problem nicht immer nur hinterherlaufen." Schon bei der Planung neuer Stadtviertel sähe er künftig gern auch Gewaltpräventionsgedanken mit einbezogen, die Wünsche und Vorschläge der Menschen vor Ort beachtet. "Ein Ansatz kann nicht für alle Viertel und Gegenden passen", findet er. "Die Gemeinden und Communities müssen sich mit ihren spezifischen Bedürfnissen lauter zu Wort melden, und sie müssen auf offenere Ohren stoßen."

Hammanskraal, PDP Station: Am frühen Nachmittag kommen die Community Peace Worker von ihren Schülerlotseneinsätzen zurück - einer Tätigkeit, die illustriert, was Fritz mit intelligenter Flächennutzung beschreibt: Wie in vielen Townships drängen sich in Hammanskraal die Wohnhäuser zwischen verhältnismäßig stark befahrenen Überlandstraßen, die Schulen indessen sind auf der anderen Straßenseite. Für die Hammanskraaler Community Peace Worker beginnt der Tag damit, die Schülermassen sicher über die Straße zu bringen, und er endet mit der Absicherung ihres Heimweges. Die danach eigentlich noch vorgesehenen Fußpatrouillen durch die Township, mit denen Präsenz demonstriert und für die Vermittlungsdienste geworben werden soll, sind kürzlich gestrichen würden: Für die unbewaffneten Community Peace Worker sind bestimmte Ecken mittlerweile zu gefährlich.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2011, S. 11 - 12
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2011