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ASIEN/616: Die Krise ist nicht geschlechtsneutral (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Von Natividad Y. Bernardino

Die Krise ist nicht geschlechtsneutral
Auswirkungen auf Arbeitsmigrantinnen in Asien


Feministinnen sehen die weltweite Krise nicht nur als Krise des Finanz- und Produktionssektors, sondern auch als Krise der sozialen Reproduktion. Die Untersuchung des reproduktiven Bereichs und seiner Verknüpfungen mit dem Produktions- und Finanzsektor kann den Rahmen für eine Analyse der Krise aus Gender-Perspektive darstellen, wie die Autorin im Folgenden beschreibt.
(1)


Man muss bei der Untersuchung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Krise nicht nur die Betroffenheit von Männern und Frauen in einem Bereich zählen, eine nutzbringende geschlechtsspezifische Analyse nimmt auch die ungleichen Verhältnisse innerhalb der verschiedenen Sektoren ökonomischer Aktivitäten wahr - also ob es sich um formelle oder informelle, bezahlte oder unbezahlte, private oder öffentliche, regulierte oder unregulierte Beschäftigungen handelt - und untersucht, wie diese Verhältnisse übertragen und verstärkt werden. Ein solcher Zugang kann zur Analyse der Auswirkungen der Krise auf Frauen herangezogen werden. Das ILO-Dokument "Asien in der globalen Wirtschaftskrise: Geschlechtsspezifische Folgen und Antworten"(2) präsentiert Arbeitslosigkeit als die sichtbarste und unmittelbarste Konsequenz der Krise für Frauen, besonders in arbeitsintensiven Exportbetrieben, wo die Quote weiblicher Arbeitskräfte hoch ist. Das Dokument blickt auf die Asienkrise von 1997 und stellt fest, dass Frauen die ersten sind, die ihre Jobs verlieren, da sie in informellen und vertraglich befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, während diejenigen, die feste Stellen haben, ihre Plätze einnehmen.


Haus- und Pflegearbeit - die globale Betreuungskette

Innerhalb der "global care chain" bieten Arbeitsmigrantinnen Dienstleistungen im Gesundheitssektor, in Privathaushalten, in der Unterhaltungs- und Tourismusbranche an. Es ist nicht überraschend, dass Frauen in diesen Bereichen dominieren, denn es spiegelt lediglich das Klischee der sorgenden Frau wider, das in unseren Gesellschaften vorherrscht. Die globale Reproduktionskette veranschaulicht die zunehmende Vermittlerrolle des Marktes bei der internationalen Bereitstellung von Reproduktionsdienstleistungen, die auf Arbeitsmigration beruht. Die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen in den Zielländern ergibt sich aus Faktoren wie einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen, höheren Einkommen und dem demographischen Wandel. Am anderen Ende der Kette ist der Überschuss an Arbeitskräften in den Entsendestaaten, wo Arbeitslosigkeit und Armut hoch sind. So entsteht ein Strom weiblicher Arbeitsmigration, die oft dem nackten Überleben dient. Im Zentrum der Kette agieren Rekrutierungsagenturen und Regierungsbeamten als Makler zwischen KäuferInnen und Anbieterinnen von Reproduktionsdienstleistungen. Im Haushalt der Arbeitsmigrantin wird ihre Abwesenheit durch die unbezahlte Reproduktionsarbeit einer weiblichen Verwandten und/oder durch bezahlte Reproduktionsarbeit einer Hausangestellten ersetzt.


Sinkende Rücküberweisungen - sinkender Lebensstandard

Abella und Ducanes (2009) argumentieren, dass es noch zu früh ist, um die volle Auswirkung der Krise auf asiatische Überseemigrantinnen genau einzuschätzen, obwohl sie sicher sind, dass sich die frühere Zunahme von Arbeitsmigration und Rücküberweisungen wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in den Zielländern nicht fortsetzen wird.(3) Migrantische Arbeitskräfte werden die ersten sein, die gefeuert werden, was an ihren prekären Arbeitsverträgen genauso liegt wie an der Politik einiger Regierungen in den Zielregionen. So haben z. B. Malaysia, Taiwan und Singapur Anreize für Unternehmen geschaffen, einheimischen Arbeitskräften den Vorrang zu geben. Diese protektionistische Tendenz zeigt sich auch darin, dass Arbeitserlaubnisse nicht mehr verlängert oder neu ausgestellt werden.

Während sich die Folgen der Krise für Arbeitsmigrantinnen in der globalen Betreuungskette erst noch zeigen werden, berichten Teilnehmerinnen des "East Asian Women's Workshop on Beijing+15: Implications of the Global Financial Crisis on Trade and Gender" vom 10. bis 12. April 2009 in Hongkong(4), dass einige Familien mit mittlerem Einkommen, die sich keine Vollzeithausangestellten mehr leisten können, Arbeitsmigrantinnen nach Hause schicken. Einige können nur noch Teilzeit arbeiten, während andere sich über reduziertes oder verspätetes Gehalt beklagen. Entlassene Arbeiterinnen, die sich weigern, nach Hause zurückzukehren, werden vermutlich die Zahl der undokumentierten Arbeitskräfte in die Höhe schnellen lassen und sind extremer Ausbeutung am stärksten ausgesetzt. Noch schlimmer trifft es neu angestellte Arbeitskräfte, deren Verträge vorzeitig beendet werden und die noch nicht genug verdient haben, um Schulden bei Rekrutierungsbüros oder informellen Geldverleihern in ihren Herkunftsorten zu bezahlen.

Abhängig davon, wie lange und tief die Rezession gehen wird und welche politischen Reaktionen die Regierungen durchsetzen, wird es zu größeren Unterbrechungen der globalen Reproduktionskette kommen. Der erwartete Rückgang der Rücküberweisungen wird sofortige makroökonomische Folgen für die davon abhängigen Herkunftsländer haben. Für die Philippinen beispielsweise sind Rücküberweisungen die Rettung der schwachen Wirtschaft und haben 2005 mit einem Anteil von 10% am BIP einen Höhepunkt erreicht. Die Verknappung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitskräfte in den Zielregionen, verknüpft mit der Bedrohung durch xenophobe Repressionen gegen undokumentierte Arbeitskräfte, kann eine massenhafte Rückkehr von MigrantInnen in ihre Herkunftsländer erzwingen. Für Länder wie die Philippinen, wo 10% der Bevölkerung im Ausland arbeitet und dies die einzige Hoffnung aufs Überleben für viele Philippinos schien, kann die Situation zu einem Desaster werden.


Die Regierenden in die Pflicht nehmen

Vielleicht ist es höchste Zeit für Länder wie die Philippinen, ihre Politik des Arbeitskräfteexports zu überdenken und sich von der Abhängigkeit von ausländischen Arbeitsmärkten und von Rücküberweisungen als einzige Quelle für Devisenreserven abzuwenden. In strategischem Sinne würde dies bedeuten, die heimische Wirtschaft zu stärken, und zwar ausgehend von einer soliden Industrialisierungs- und Entwicklungspolitik, die dazu fähig ist, vernünftige Jobs für die lokale Bevölkerung zu schaffen, gekoppelt mit Maßnahmen, die soziale Gerechtigkeit fördern und darauf zielen, eine gerechte Verteilung von Wohlstand in der Gesellschaft zu erreichen. Die Aufgabe der sozialen Reproduktion wird demzufolge von der gesamten Gesellschaft getragen, statt sie den Frauen aufzuerlegen. Das stellt in Summe einen großen Schritt dar, um grundlegende Gender-Gerechtigkeit herzustellen. Migration wird in dieser Hinsicht ein Recht auf Selbstverwirklichung und nicht eine "Option ohne Wahl", um zu überleben.

Kurzfristig sollten die Pläne zur Stimulierung der Wirtschaft ein Paket beinhalten, das Arbeitsmigrantinnen und ihren Familien soziale Sicherheit bietet. Es sollte Unterstützungen für zurückgekehrte Migrantinnen geben, Weiterbildungsmaßnahmen, rechtlichen Beistand und Pensionsfonds, auf die Migrantinnen nach Beendigung ihrer Verträge zugreifen können. Geschlechtsspezifische Daten zu den Konsequenzen der Krise sollten gesammelt und Überwachungsmechanismen sollten eingerichtet werden, um nicht nur die Zahl der entlassenen Arbeiterinnen, sondern auch das Ausmaß, in dem Firmen auf unfaire Praktiken wie Lohnkürzungen, verspätet ausgezahlte Löhne und Leistungen etc. zurückgreifen, festzustellen. Konjunkturprogramme, die momentan vor allem Arbeitsplätze für Männer schaffen, sollten Gender-Budgeting und Ausgaben für Sozialleistungen beinhalten, um die multiplen Belastungen von Frauen zu verringern und sicherzustellen, dass die Arbeitsmöglichkeiten in den Konjunkturprogrammen gender-gerecht sind.


Anmerkungen:

(1) Der Artikel basiert auf einer Präsentation am Forum "Gendered Impact of the Economic Crisis on Women Migrant Workers in Asia", welches zwischen 23. und 25. April 2009 in Bangkok stattfand.

(2) Amelita King Dejardin and Jessica Owens: Asia in the Global Economic Crisis: Impacts and Responses from a Gender Perspective. ILO Technical Note February 2009, Bangkok: ILO Regional Office for Asia and the Pacific; Geneva: ILO Policy Integration and Statistics Department (2009)

(3) Manolo Abella and Geoffrey Ducanes: The Effect of the Global Economic Crisis on Asian Migrant Workers and Governments' Responses. ILO Technical Note, Bangkok: ILO Regional Office for Asia and the Pacific (2009)

(4) Organisiert vom International Gender and Trade Network (IGTN) Asia.


Literatur:
Marina Fe Durano: Women in International Trade and Migration: Examining the Globalized Provision of Care Services. UNESCAP (Bangkok 2005).

Zur Autorin:
Natividad Y. Bernardino ist Asienkoordinatorin des "International Gender and Trade Netzwork" (IGTN), ein globales Netzwerk feministischer Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, die sich für geschlechtergerechte Analysen, Forschung, Capacity Building und Anwaltschaft im Rahmen von Handel und makroökonomischer politischer Themen engagieren. Sie lebt in Manila.


Übersetzung: Bettina Moser


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2010