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ASIEN/689: Taiwan - Streit über teilweise Legalisierung von Prostitution (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. November 2010

Taiwan: Streit über teilweise Legalisierung von Prostitution - Regierung unter Zeitdruck

Von Dennis Engbarth


Taipeh, 23. November (IPS) - In Taiwan haben die Pläne der Regierung, die Prostitution teilweise zu legalisieren, eine landesweite Kontroverse ausgelöst. Während einige Kritiker den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt sehen, befürchten andere, dass damit auch Menschenhandel und Kinderprostitution Vorschub geleistet wird.

Nach jahrelanger Debatte setzte das Verfassungsgericht der Kuomintang-Regierung Anfang November eine zeitliche Grenze, um über den künftigen Umgang mit der Prostitution zu entscheiden. In dem asiatischen Land mit rund 23 Millionen Einwohnern gibt es nach inoffiziellen Schätzungen etwa 80.000 Sexarbeiter und hunderttausende weitere Gelegenheitsprostituierte.

Das Gericht hatte festgestellt, dass ein Artikel im Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegen die Verfassung verstieß. Nach taiwanesischem Recht machten sich bisher ausschließlich Prostituierte, nicht aber deren Freier strafbar. Die Richter sahen dadurch den Grundsatz verletzt, dass jeder Bürger vor dem Gesetz gleich ist.

Bereits Mitte Oktober hatte Innenminister Jiang Yi-huah verkündet, dass Behördenvertreter und Experten bei Beratungen einen Konsens erzielt hatten. Strafen für einvernehmlichen Sex unter Erwachsenen sollten abgeschafft werden, sagte er.

Wie Jiang weiter berichtete, sprach sich bei den Beratungen eine Mehrheit dagegen aus, Prostitution auf "exklusive Zonen" zu beschränken. Die Stadtverwaltungen hätten aber Sorge zu tragen, dass dadurch die "Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nicht gestört" werde. Die Regierung erwägt demnach auch, "Kooperativen" von drei bis fünf Sexarbeitern zuzulassen.


Parlament soll im nächsten Jahr über Entwurf beraten

Laut dem Innenminister will die Regierung nach weiteren Beratungen noch in diesem Jahr einer Menschenrechtskommission auf Kabinettsebene ein Maßnahmenpaket vorlegen. Ein entsprechender Gesetzentwurf zur teilweisen Legalisierung der Prostitution soll Anfang 2011 ins Parlament eingebracht werden.

Eine reibungslose Verabschiedung des geplanten Gesetzes ist trotz der Zweidrittelmehrheit der Kuomintang (KMT) genannten Nationalistischen Chinesischen Partei keineswegs sicher. Parlamentarier, Frauenrechtler sowie zivilgesellschaftliche Organisationen zeigen sich in der Frage tief gespalten.

Die Allianz gegen die Ausbeutung von Frauen, der 14 Frauen- und Kinderrechtsgruppen angehören, verurteilte das Vorhaben der Regierung mit aller Schärfe. Die Pläne "legitimierten" das Sexgewerbe, kritisierte das Bündnis und verwies auf die Folgen einer Neuregelung in Hongkong, die Ein-Personen-Bordelle zulässt.

Beanstandet wurde außerdem, dass der ausgehandelte Kompromiss die Forderung des Verfassungsgerichts außer acht lässt, Prostituierten durch geeignete Maßnahmen bei der Eingliederung in andere Arbeitsbereiche zu helfen. Ein Sprecher der Allianz warnte die Regierung vor überstürztem Handeln.

Auch Ingrid Liao-Pi-jing, die Ostasien-Beauftragte der Kinderschutzorganisation ECPAT International, befürchtet, dass eine Teillegalisierung des Sexgewerbes die Einhaltung von Gesetzen gegen Kinderprostitution und Menschenhandel erschwere.

"Wie sollen Behörden, die über die Befolgung von Gesetzen wachen, künftig entscheiden können, welche sexuellen Handlungen auf freier Willensausübung beruhen?" fragte sie im Gespräch mit IPS. Außerdem werde es schwierig sein, herauszufinden, welche Prostituierten noch minderjährig seien.


"Sozialer Wirklichkeit pragmatisch ins Auge sehen"

Premierminister Wu Den-yih versicherte Anfang November, dass die Regierung keine Absicht habe, das Sexgewerbe zu "einem normalen Gewerbe" zu entwickeln. "Die Regierung muss aber der sozialen Wirklichkeit pragmatisch ins Auge sehen."

Diejenigen, die Prostitution weiterhin als Straftat geahndet sehen wollen, finden den Vorstoß des Innenministeriums zu radikal. Vorkämpfer für die Rechte von Prostituierten reicht der Gesetzentwurf dagegen noch nicht aus.

Die taiwanesische Gesellschaft sollte die Prostitution reglementieren und nicht versuchen, sie zu unterdrücken, sagte Chung Chun-chu, die Generalsekretärin des Kollektivs von Sexarbeitern und Unterstützern (COSWAS). "Wir hoffen, dass Prostitution vollständig legalisiert und eine normale Beschäftigung wird", erklärte sie. Wenn Huren ihre Kunden selbst suchen dürften, könnten sie sich aus der Kontrolle von Zuhältern befreien. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.ecpat.net/EI/index.asp
http://coswas.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53629


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2010