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ASIEN/722: Zentralasien - Volksaufstände nur eine Frage der Zeit, in naher Zukunft nicht erwartet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. März 2011

Zentralasien: Volksaufstände nur eine Frage der Zeit - In naher Zukunft nicht erwartet

Von Pavol Stracansky


Bischkek, 28. Februar (IPS) - Nach den Volksaufständen in Tunesien und Ägypten, die den Rücktritt von zwei Präsidenten und einem Regierungschef herbeiführten, stellt sich die Frage, ob auch die Tage der zentralasiatischen Diktaturen gezählt sind. Ja, meinen politische Beobachter aus der Region. Sie sind überzeugt, dass es auf kurz oder lang auch hier zu Umstürzen kommen wird.

Wie der Usbeke Alischer Ilchamow, ein ehemaliger politischer Gefangener und inzwischen Usbekistan-Experte der 'Open Society Foundation' in London, betont, gibt es durchaus Parallelen zwischen beiden Weltregionen. Jedoch mache eine Vielzahl von Faktoren eine baldige Erhebung der Bevölkerung gegen die verhassten Despoten unwahrscheinlich.

Usbekistan gilt als das Land Zentralasiens, das mit einer besonders brutalen und korrupten Diktatur geschlagen ist. Menschen werden aus religiösen und politischen Gründen gnadenlos verfolgt, und die staatlich sanktionierte Folter beinhaltet das Verbrühen von Menschen mit kochendem Wasser. In Turkmenistan wiederum ist die Lage minimal besser, während in Tadschikistan und Kasachstan die Machthaber zwar weniger grausam sind, aber ihre Länder unter strikter Kontrolle halten.

Trotz gewisser Ähnlichkeiten, was Unterdrückung und Korruption angeht, sind Analysten der Meinung, dass die Voraussetzungen bisher nicht gegeben sind, um in Zentralasien einen ähnlich erfolgreichen Aufstand zu proben wie in Ägypten. Dort spielten soziale Netzwerke und das Internet eine entscheidende Rolle, um die Menschen gegen den gemeinsamen Feind zu mobilisieren. Auch nahmen muslimische Gruppen, deren Anführer und politische Oppositionsgruppen in Ägypten einen deutlich höheren Stellenwert ein als in den Staaten Zentralasiens. Ausschlaggebend für den Erfolg der ägyptischen Revolution war zudem die Armee, die in der Bevölkerung Ansehen genießt.


"'Virtuelles Vakuum"

In zentralamerikanischen Ländern wurde jede noch so kleine Opposition im Keim erstickt. Und dass in Usbekistan die Sicherheitskräfte 2005 in der Stadt Andischan hunderte Demonstranten massakrierten, haben die Menschen bis heute nicht vergessen. Die als terroristisch verteufelten religiösen und insbesondere muslimischen Gruppen können sich mit Ägyptens einflussreicher Moslem-Bruderschaft nicht messen. Zudem stehen die zentralasiatischen Medien vollständig unter staatlicher Kontrolle, und nur wenigen Menschen überhaupt ist der Zugang zum Internet vergönnt.

"Usbekistan existiert in einem virtuellen Vakuum", meint dazu Schersod Asimow, ein Photograph aus der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke sind wenig verbreitet, und die Internetverbindungen schlecht. Auch sind ausländische Medien in dem zentralasiatischen Land äußerst dünn gesät.

"Die lokalen Medien sind unter fester staatlicher Kontrolle, eine politische Opposition, ob nun legal oder illegal, ist nicht vorhanden", berichtet Asimow. "Es gibt keine vereinigte und organisierte Opposition außerhalb des Landes, keine Sponsoren, die einen Aufstand unterstützen würden. Und dann dürfen wir auch nicht das Massaker von Andischan vergessen, das die Menschen bis heute in Angst und Schrecken hält."

Einige politische Beobachter fürchten gar, dass der Westen auf Volksaufstände in den zentralasiatischen Ländern weniger positiv reagieren könnte als auf die Entwicklungen in Nordafrika/Nahost. "Die USA haben, politisch und wirtschaftlich betrachtet, ein weitaus größeres Interesse an den zentraleuropäischen Ländern", meint Justinus Pimpe, Analyst des Osteuropäischen Studienzentrums in Vilnius. "Sie würden ihren Einfluss nutzen, um eine Rebellion oder einen Aufstand [zu] verhindern."

Zentralasien sei sowohl für den US-geführten Krieg gegen den internationalen Terrorismus als auch für die militärischen Operationen in Afghanistan essentiell wichtig, so Pimpe. Hinzu komme die Bedeutung der Region als Erdöl- und Erdgaslieferant.

Auch unterscheiden sich die Weltregionen Zentralasien und Nordafrika/Nahost dadurch, dass Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und der Anstieg der Nahrungsmittelpreise in den zentralasiatischen Ländern bisher nicht so sehr spürbar waren wie in anderen Teilen der Welt. In diesem Monat wurde Usbekistan von der unabhängigen 'Economist Intelligence Unit' als eines der zehn schnellstwachsenden Länder der Welt gelistet. Turkmenistan wiederum verfügt über das viertgrößte Gaslager der Welt, während Kasachstan immerhin noch mehr als drei Prozent der förderwürdigen Ölreserven vorweisen kann.


Krise kommt

Und dennoch schrillen bereits die ersten Alarmglocken. Denn die Weltbank berichtete unlängst, dass der Anstieg der globalen Nahrungsmittelpreise auch in Zentralasien zehntausende Menschen ins Elend gestürzt hat, die sich aus Frust erheben könnten. Hinzu kommt laut Weltbank, dass die Geldüberweisungen aus dem Ausland im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise sinken dürften. Sie hatten Millionen Familien in der Region geholfen.

Kirgisistan ist derzeit das einzige Land Zentralasiens, das in jüngster Zeit Revolutionen erlebt hat - zwei in den letzten sechs Jahren. Und Proteste und ethnische Spannungen sind in dem Land durchaus latent vorhanden. Sie dürften aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise und der Inflation weiter zunehmen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt für dieses Jahr vor einer Teuerungsrate von 20 Prozent. Für den Fall, dass die Regierung ihr Versprechen nicht einhält und die Gehälter im Gesundheitssektor nicht erhöht, wären somit Arbeitsunruhen programmiert.

Analysten zufolge hat auch die Migration dafür gesorgt, dass die Region in den letzten Jahren von Arbeitskämpfen verschont geblieben ist. Doch sollte der Zugang zum russischen Markt künftig schwerer werden, müsste mit einer "Explosion" von Aufständen innerhalb Zentralasiens gerechnet werden.


Druck sucht Ventil

Nach Ansicht [von] Experten haben die zentralasiatischen Regierungen die Entwicklungen in Nordafrika/Nahost fest im Blick, um zum gegebenen Anlass die Zügel noch fester anzuziehen. Dies jedoch könnte sich als verhängnisvoll erweisen.

Suchrobjon Ismoilow, Leiter der usbekischen Menschenrechtsorganisation 'Expert Working Group', geht davon aus, dass sich die autoritären Staaten der Region auf eine Mischung aus Unterdrückung, erhöhter staatlicher Kontrolle und kleiner kosmetischer sozialer Verbesserungen verlegen werden. Doch mit einer solchen Politik würden die Probleme nur noch mehr vergrößert. Selbst in Usbekistan, wo die Angst vor staatlicher Repression besonders groß ist, würden sich die Behörden genötigt sehen, sich mit fundamentalen Menschenrechten und Freiheiten, der Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption auseinanderzusetzen oder sich aber mit Massenprotesten wie in Ägypten konfrontiert sehen.

Wie Bahadir Namasow, Leiter der usbekischen Dissidentenbewegung 'Gefangene aus Gewissensgründen', gegenüber IPS erklärte, wird auch das brutale Regime seines Landes auf lange Sicht nicht überleben. "Die weltliche und religiöse Opposition wurde war komplett zerstört, und Proteste sind selten und unwirksam. Doch selbst wenn die Angst den Widerstand der Menschen lähmt, wird sich das Regime nicht ewig halten können." (Ende/IPS/kb/2011)


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IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2011