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ASIEN/731: China - Regierung opfert Rechtstaatlichkeit für politische Stabilität (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. April 2011

China:
Regierung opfert Rechtstaatlichkeit für politische Stabilität - Gefährliche Folgen

Von Michael Standaert


Hongkong, 12. April (IPS) - In China ist es bisher zu keiner 'Jasminrevolution' wie in Tunesien und Ägypten gekommen. Doch nach Ansicht von Experten legt die Regierung mit einer Politik, soziale Stabilität auf Kosten der Rechtstaatlichkeit zu gewährleisten, den Keim für Unruhen.

In den letzten Monaten ist die Regierung immer härter gegen Kritiker vorgegangen. Es kam zu Festnahmen und schweren Haftstrafen. Anwälte, Aktivisten und liberale Schriftsteller wurden aus Sorge, sie könnten zum Volksaufstand aufrufen, politisch unter Druck gesetzt. Am 3. April inhaftierten die Sicherheitskräfte den bekannten Künstler und Aktivisten Ai Weiwei am Internationalen Flughafen von Peking. Seither fehlt von ihm jede Spur. Seine Festnahme gilt vielen als Warnschuss, gewisse Grenzen der Kritik nicht zu überschreiten.

"Wenn die Behörden nicht davor zurückschrecken, Ai Weiwei festzunehmen, werden sie keine Hemmungen haben, gegen weniger bekannte Persönlichkeiten vorzugehen", meint Joshua Rosenzweig von der Dui-Hua-Stiftung, einer in Hongkong angesiedelten Menschenrechtsorganisation. "Das Ziel scheint zu sein, liberale Stimmen zum Verstummen zu bringen und die Grenzen der Kritik festzulegen. Stabilität ist oberste Priorität, der Ruf Chinas zweitrangig."

Wie der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Hong Lei, erklärte, wurde Ai wegen mutmaßlicher Wirtschaftsvergehen festgenommen. Die USA sollten damit aufhören, "als Prediger der Menschenrechte aufzutreten und sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen", sagte Hong in Reaktion auf den jüngsten Menschenrechtsjahresbericht der USA vom 8. April.

Nach Angaben der Hongkonger Organisation 'Chinese Human Rights Defenders' (CHRD), wurden bei den jüngsten Übergriffen der der Regierung 30 Menschen festgenommen, weitere 30 gelten als vermisst. Der Pro-Demokratie-Aktivist Liu Xianbin muss wegen Aufruf zur Auflehnung gegen die Staatsgewalt eine Haftstrafe von zehn Jahren absitzen. Auf ähnliche Haftstrafen dürfen sich nun auch andere Aktivisten gefasst machen.


Stabilität versus Instabilität

Rosenzweig zufolge sind die chinesischen Bürger zufrieden mit den Wirtschaftserfolgen des Landes. "Sie mögen mit vielen Entscheidungen, Regierungsvertretern oder staatlichen Verfahrensweisen unzufrieden sein, doch sind sie fest davon überzeugt - nicht zuletzt weil ihnen dies immer wieder eingeredet wurde - dass die Alternativen deutlich schlechter sein könnten.

Rufe nach einer Art der Revolution wie in Tunesien und Ägypten sind in China weitgehend ausgeblieben. Das hat nicht nur mit der staatlichen Medienkontrolle zu tun, sondern auch mit der fehlenden Bereitschaft der wachsenden Mittelschicht, sich an Revolten zu beteiligen.

Zheng Jianwei, ein Anwalt für Arbeits- und Eigentumsrecht, erklärte auf einem Symposium in der Hongkonger Universität am zweiten Aprilwochenende, dass sich Chinas Gerichte, Polizei und Gerichtsbarkeit im Namen der sozialen Stabilität vom Volk entfernten. Peking warf er vor, das Rechtssystem des Landes so zu entwerten, dass die Menschen, die sich um ihr Recht betrogen sähen, gar keine andere Wahl hätten, als für ihren Zorn neue Ventile zu suchen. Dies könnte zu Instabilität führen.

Zheng betonte, dass Chinas Rechtssprechung eigentlich dafür da sei, die Menschenrechte, Eigentums- und Bürgerrechte zu schützen. Doch immer wenn politisch sensible oder regierungskritische Punkte in Spiel kämen, gebe es Probleme. So würden Fälle, in die die Regierung verwickelt ist, einfach fallen gelassen, berichtet die Menschenrechtsaktivistin Wu Hongwei.

Zheng und Wu können eine Vielzahl von Problemen nennen, die immer dann in zivil-, verwaltungs- und strafrechtlichen Verfahren zu Tage treten, wenn sensible Fragen zu Besitz, Glauben, Arbeits- und Menschenrechten zur Sprache kommen. Dann wird Anwälten oftmals der Kontakt zu ihren Mandanten untersagt. Oder aber Richter werden unter Druck gesetzt, um zugunsten der Interessen lokaler Unternehmer oder der Regierung zu entscheiden.

Auch werden Kläger genötigt, ihre Anwälte zu entlassen oder ihre Klagen fallen zu lassen, wenn sich diese gegen Regierungsvertreter richten. Außerdem kommt es vor, dass Richter Fälle abweisen, weil sie mit dem Ausgang des Verfahrens nicht zufrieden sein könnten.

Für viele Menschen gebe es keine effektiven Möglichkeiten, sich Recht zu verschaffen, stellte Wu fest. Das gilt besonders für Fälle, in denen es um Arbeits-, Landbesitz- oder religiöse Rechte gehe. "Wie aber können wir als Anwälte die Rechte der Menschen schützen, wenn unsere Rechte permanent eingeschränkt werden?"

"Das größte Problem mit der chinesischen Rechtsprechung ist, dass sie nicht eingehalten wird", meinte Zhang. Er wies darauf hin, dass viele Anwälte Karriereprobleme haben, weil sie sich die Regierung zu Feinden machten. Selbst die überkorrekten Anwälte würden von den Behörden zensiert oder unterdrückt.

Da in China regierungskritische Berichte unerwünscht sind, können die lokalen Medien nicht über solche 'sensible' Themen berichten. Dies führt dazu, dass nur wenige Chinesen überhaupt etwas von staatlichen Übergriffen auf Regimekritiker erfahren. Es sei denn, sie informieren sich bei den internationalen Medien. (Ende/IPS/kn/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2011