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ASIEN/739: Indien - Starke Frauen, zwei weitere Unionsstaaten in weiblicher Hand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Mai 2011

Indien: Starke Frauen - Zwei weitere Unionsstaaten in weiblicher Hand

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 17. Mai (IPS) - Bei den Wahlen in zwei von vier größeren indischen Bundesstaaten konnten sich Frauen durchsetzen. Mamata Banerjee wird neue Chefministerin von Westbengalen im Osten des Subkontinents. Jayaraman Jayalalithaa feierte in Tamil Nadu im Süden des Landes ihr fulminantes Comeback.

Zusammen mit zwei weiteren Frauen werden sie nun das Schicksal von 368 Millionen Menschen - das entspricht fast einem Drittel der 1,2 Millionen Inder - mitbestimmen. Banerjee wird 80,2 Millionen Menschen regieren, Jayalalithaa 72,14 Millionen Inder.

Im 200 Millionen Einwohner zählenden nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesch ist Mayawati von der Bahujan-Samaj-Partei Chefministerin, im ebenfalls im Norden gelegenen Bundesstaat Delhi mit 16,5 Millionen Einwohnern steht Sheila Dixit von der Kongresspartei an der Spitze.

"Banerjees Wahl ist besonders bemerkenswert, da sie ohne die Unterstützung eines männlichen Familienmitglieds oder eines Parteigenossen ausgekommen ist, um sich als Chefministerin durchzusetzen", kommentierte Ranjana Kumari von der Frauenlobbyorganisation 'Women's Power Connect' den Wahlsieg der 34-Jährigen.

Banerjee hatte nach Verlassen der nationalen Kongresspartei die regionale 'Trinamul'-(Graswurzel) Kongresspartei gegründet. Nun konnte sie der einflussreichen marxistisch-geführten Linkskoalition die Macht entreißen, die Westbengalen in den letzten 34 Jahren ununterbrochen regiert hatte.

Wie Kumari gegenüber IPS erklärte, hält der Sieg Banerjees die Botschaft bereit, dass sich der Mut zur Entschlossenheit neben männlicher Patronage politisch für Frauen auszahlt. Doch gilt das offenbar vor allem für politische Funktionen auf Provinzebene.


Frauenquote torpediert

Auf nationaler Ebene herrscht weitgehend Stillstand, den Frauenaktivisten auf die vergeblichen Bemühungen seit 1996 zurückführen, eine Frauenquote von 33 Prozent durchs Parlament zu bringen. Während das Oberhaus (Rajya Sabha) im März der 33-Prozent-Quote zugestimmt hat, sind die Mitglieder des Unterhauses Lok Sabha offenbar nicht bereit, Frauen 180 ihrer 545 Sitze abzutreten.

"Die männlichen Lok-Sabha-Mitglieder greifen seit zwei Jahrzehnten zu Verzögerungs- und anderen Taktiken, um die Einführung der Frauenquote zu verhindern", kritisierte Annie Raja, Generalsekretärin der Nationalen Vereinigung der indischen Frauen, die der Kommunistishen Partei nahe steht. Es werde höchste Zeit, dass Männer Frauen als gleichberechtigt anerkennen. "Nur dann werden wir Übel wie Mitgift- und Ehrenmorde sowie das Töten weiblicher Föten ausrotten können."

Obwohl Indien ein säkularer Staat ist, ist das Land vom Hinduismus und in geringerem Ausmaß vom Islam geprägt. Beide Religionen weisen Frauen in der indischen Gesellschaft auf den zweiten Platz. In der Politik sehen sie für Frauen gar keine Rolle vor. Dennoch haben es Inderinnen in der Politik ihres Landes traditionell in die höchsten politischen Ämter gebracht. Staatsoberhaupt ist derzeit Patibha Patel.

Indiens derzeit einflussreichste Politikerin ist Sonia Gandhi. Ihren Einfluss verdankt sie in erster Linie dem Umstand, in die Nehru-Gandhi-Dynastie eingeheiratet zu haben, die Indiens Schicksal bereits vor der Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 bestimmte. Ihre Schwiegermutter Indira Gandhi und ihr Mann Rajiv, der 1991 bei einem Attentat durch radikale srilankische Tamilen ums Leben kam, waren indischen Ministerpräsidenten.

Allerdings ist das Wiedererstarken der Kongresspartei, die durch regionale, kommunale und fundamentale politische Entwicklungen während Sonja Gandhis siebenjährigen, trauerbedingten Rückzugs aus der Politik geschwächt worden war, ihr Verdienst.

Auch Sushma Swaraj, die Oppositionsführerin in der Lok Sabha, war zunächst von ihrem politisch aktiven Mann Swaraj Kaushal unterstützt worden. Er half ihr, mit der patriarchalischen Haltung der rechtsgerichteten pro-hinduistischen Bharatiya-Janata-Partei umzugehen.


Politischer Instinkt und Manövrierfähigkeit

In der Regel sind es jedoch die Provinzen, in denen Frauen ihren politischen Mut unter Beweis stellen. Mayawati, Chefministerin des bevölkerungsreichsten indischen Unionsstaates Uttar Pradesch, regiert mit Hilfe einer informellen Koalition, der auch Brahmanen angehören, den Mitgliedern der höchsten indischen Kaste.

Mayawati war von Kanshi Ram, dem Gründer der Bahujan-Samaj-Partei, auf die politischen Fallstricke vorbereitet worden. Es gelang ihr spielend, die Entscheidungsträger in den Kasten und religiösen Gruppen auszumanövrieren und sich seit 1995 mit immer unwahrscheinlicheren Bündnissen an der Macht zu halten. Die BSP ist eine Interessenvertretung von Dalits, den Unberührbaren, die in der Kastenhierarchie an unterster Stelle stehen.

Jayalalithaa, die zum dritten Mal die fünfjährigen Regierungsgeschäfte von Tamil Nadu übernehmen wird, ist eine weitere Frau, die es versteht, sich auf dem Minenfeld der indischen Kasten sicher zu bewegen. Obwohl selbst Brahmanin, wurde sie in einem Bundesstaat zur Chefministerin gewählt, der für seine Jahrzehnte lange Brahmanen-feindliche Politik bekannt ist.

Die Politikerin führt die Partei 'All-India Anna-Dravida Munnetra Kazhagam' (AIADMK), die wie jede größere politische Kraft in Tamil Nadu die Interessen der ethnischen Draviden über die Interessen der Brahmanen und anderer hoch gestellter Kasten vertritt. Hauptziele der Partei sind soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung der tamilischen Kultur und Identität. Jayalalithaa wurde von dem Provinzpolitiker M.G. Ramachandran in die Politik eingeführt. Beide hatten zusammen in 25 Filmen mitgespielt. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2011