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ASIEN/741: Japan - Bürgervertrauen in Regierung schwindet, Ärger wächst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Mai 2011

Japan: Bürgervertrauen in Regierung schwindet - Ärger wächst

Von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 20. Mai (IPS) - Mehr als 100 stillende Mütter aus Fukushima und Umgebung haben sich für Untersuchungen angemeldet, um den Grad ihrer Verstrahlung feststellen zu lassen. Die Hilfe der japanischen Regierungen schlagen sie aus.

"Die Frauen werden sich in einem Laboratorium testen lassen, dass sie sich selbst ausgesucht haben", berichtet die Krankenschwester Saeko Uno, die sich der Gruppe 'Mütter für die Kontrolle ihrer strahlenbelasteten Milch' angeschlossen hat. "Das machen wir so, weil wir nicht sicher sein könnten, ob uns die Regierung die korrekten Werte durchgeben würde."

Uno lebte 50 Kilometer vom Unglücksmeiler entfernt. Manchmal habe sie die Nähe zu dem Atomreaktor beunruhigt, räumt sie ein. Dass man ihr und den anderen Anwohnern ein falsches Gefühl von Sicherheit vorgegaukelt habe, mache sie wütend. "Dafür gibt es keine Entschuldigung."

Wie Uno denken inzwischen viele Japaner, seit ihnen mitgeteilt wurde, dass die Reaktorschmelze in der Fukushima-Anlage bereits kurz nach dem Erdbeben vom 11. März eingesetzt hatte. Das Beben und der folgende Tsunami forderten 15.000 Todesopfer in 18 ostjapanischen Präfekturen.


Bürger schockiert

Für Japaner, die den Behörden aus alter Tradition großen Respekt entgegenbringen, sind die jüngsten Offenbarungen ein Schock. Die Erkenntnis, dass Informationen über das Ausmaß der Tragödie zurückgehalten wurden, hat sich inzwischen in Wut verkehrt.

Am 17. Mai, mehr als zwei Monate nach dem Erdbeben, gestand Japans höchster Regierungssprecher Yukio Edano, dass das Tokioter Elektrizitätsunternehmen TEPCO versäumt habe, die Regierung zeitnah zu informieren, dass das Kühlsystem des Reaktors am Tag des Erdbebens manuell abgestellt worden war.

"Fukushima hat nur noch mehr Menschen von dem überzeugt, was wir seit langem sagen", meint Hideyuki Kojima, ein ehemaliger Professor für Ingenieurswesen an der Osaka-Präfektur-Universität. "Die atomare Sicherheit genoss bei Unternehmen und Regierung keine Priorität. Nur eine Bürgerbewegung kann das ändern."

Kojima ist Sprecher des Netzwerks Mihama, einer Gruppe von Atomkraftgegnern, die sich für die Stilllegung der Mihama-Anlage im Westen Japans einsetzt. Der Reaktor wird von dem Elektrizitätsunternehmen Kansai betrieben, dem zweitgrößten Energiekonzern, der den Westen Japans mit Strom versorgt.

Eine jüngste Umfrage des japanischen Rundfunkunternehmens NHK ergab, dass fast 70 Prozent aller Japaner einen Ausstieg aus der Atomkraft und die Suche nach alternativen Energien begrüßen würden. Analysten zufolge geht der wachsende Widerstand weit über eine simple Atomstromdebatte hinaus und wird für das Land weit reichende Konsequenzen haben.

"Die unendliche Nukleartragödie hat dazu geführt, dass sich die Menschen nach dem Verlust ihres Vertrauens in die Regierung einer Gewissensprüfung unterziehen", erläutert der Jurist Osamu Mikiya. Seiner Meinung nach sollte die Regierung für das Versäumnis zur Verantwortung gezogen werden, die Nuklearanlagen und den Tsunami-Katastrophenschutz nicht adäquat genug überwacht zu haben.

Mikiya war Anwalt einer Gruppe von Arbeitern, die den Staat nach dem Strahlenunfall in der japanischen Wiederaufarbeitungsanlage Tokaimura in der östlich von Tokio gelegenen Präfektur Ibaraki verklagt hatte. Bei dem Unfall war es infolge einer Spaltung von Uran zu einer unkontrollierten Kettenreaktion gekommen, die große Mengen Energie freisetzte. Dadurch trat starke radioaktive Strahlung aus.

Um den Volkszorn zu bändigen, hat die Regierung jetzt einen Hilfsplan für die Opfer der radioaktiven Verstrahlung durch den Atom-GAU in Fukushima vorgestellt, der unter anderem Auflagen für TEPCO wie Einsparungen und Entschädigungszahlungen in Höhe von mehr als 49 Milliarden Dollar vorsieht.


Regierungspläne umstritten

Dass die Regierung den Opfern zu Hilfe kommen will, indem sie TEPCO hilft, die Entschädigungen zu stemmen, könnte ebenfalls zu einer dornigen Angelegenheit werden, da zu erwarten ist, dass die Bevölkerung den Einsatz von Steuergeldern für diesen Zweck nicht gutheißen wird.

Der Vorschlag, die Entschädigungszahlungen mittels höherer Strompreise zu finanzieren, stößt ebenso wenig auf Zuspruch. Nur 30 Prozent der Japaner können sich für diesen Plan erwärmen, ergab eine kürzliche Umfrage der Zeitung Asahi.

Yoshika Shiratori, ein langjähriger Gegner des Hamaoka-Atomkraftwerks in der Shizuoka-Präfektur, das auf Anweisung von Regierungschef Naoto Kan kürzlich geschlossen wurde, steht an der Spitze einer ersten Gruppe von Bürgern, die den Hamaoka-Betreiber, das Stromunternehmen Chuo, verklagt hat.

Der seit sieben Jahren andauernde Streitfall wird nun vor dem Tokioter Bezirksgericht verhandelt. Die Kläger verlangen, den erdbebengefährdeten Meiler unverzüglich und endgültig vom Netz zu nehmen. Im ersten Verfahren 2007 fiel das Urteil zugunsten des Stromriesen aus. Angestrengt hatte den Prozess das von Shiratori geleitete Netzwerk Hamaoka.

"Trotz der beispiellosen Entscheidung von Ministerpräsident Naoto Kan, die Hamaoka-Anlage abzustellen, läuft das Verfahren weiter", erläutert der 78-jährige Atomkraftgegner. "Wir brauchen noch die notwendige Entscheidung zugunsten eines endgültigen Stopps." (Ende/IPS/kb/2011)


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IPS-Tagesdienst vom 23. Mai 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011