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ASIEN/771: Usbekistan - Menschenrechtslage kritisch, Ende der US-Militärhilfe gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Oktober 2011

Usbekistan: Menschenrechtslage kritisch - Ende der US-Militärhilfe gefordert

Von Jim Lobe


Washington, 30. September (IPS) - Ein Bündnis aus 20 Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Verbraucherschutzgruppen hat an die US-Regierung von Präsident Barack Obama appelliert, die Militärhilfe für Usbekistan nicht zu verlängern und auf weitere Lieferungen von Rüstungsgütern zu verzichten.

In einem Brief an Außenministerin Hillary Clinton vom 27. September forderten Organisationen wie 'Amnesty International', 'Human Rights Watch' und die größte US-Gewerkschaft AFL-CIO einen kritischen Umgang mit dem zentralasiatischen Staat, auch wenn dieser als Versorgungsbasis für US-und NATO-Truppen in Afghanistan wichtig sei.

"Die jüngsten dramatischen Entwicklungen in Zentralasien und Nahost haben deutlich gemacht, dass Usbekistans Status als strategischer Partner der USA nicht die Bedenken über seine verheerende Menschenrechtsbilanz zerstreuen sollte", heißt es in dem am 28. September verbreiteten Schreiben.

Obama will den Rat offenbar nicht beherzigen. In einer Stellungnahme des Weißen Hauses vom gleichen Tag heißt es, der Präsident habe seinem usbekischen Amtskollegen Islam Karimow telefonisch zum 20. Unabhängigkeitstag seines Landes gratuliert. Obama versprach seinem Gesprächspartner bei dieser Gelegenheit, "weiterhin auf eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten" hinzuarbeiten.


Mehrere US-Verbündete während des 'Arabischen Frühlings' gestürzt

Die Menschenrechts- und Sozialverbände nehmen dagegen Bezug auf den 'Arabischen Frühling', der zum Sturz mehrerer Präsidenten geführt hat, die mit den USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus verbündet waren. Sie verweisen außerdem auf den Sturz des kirgisischen Staatschefs Kurmanbek Bakijew im vergangenen Jahr.

"Die Volksproteste gegen Korruption und Repression in Kirgisistan haben zur Absetzung einer Regierung geführt, mit der das US-Militär eine enge Partnerschaft eingegangen war", heißt es in dem Brief. Die Regierung des Landes habe damals einen ebenso stabilen Eindruck wie die von Usbekistan vermittelt.

Die Sprecherin des Außenministeriums in Washington, Emily Home, erklärte, dass beide Staaten "ein gemeinsames Interesse an regionaler Stabilität" hätten. Dies beinhalte "Übereinkünfte zur einer besseren Unterstützung unserer Truppen in Afghanistan". Die Menschenrechte gelten laut Home als "wichtiger Teil unseres Dialogs mit Usbekistan".

Präsident Karimow, der sein Land bereits vor dem Zerfall der Sowjetunion mit eiserner Faust regiert hatte, fiel bei Washington vorübergehend in Ungnade, als 2005 Hunderte zumeist unbewaffnete Demonstranten in der Stadt Andijan von Sicherheitskräften erschossen wurden.

Als die US-Regierung dagegen protestierte und eine unabhängige internationale Untersuchung der Vorfälle verlangte, verlor Washington den Zugang zu der Luftwaffenbasis Karshi-Khanabad, von wo aus seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 US-Truppen nach Afghanistan gebracht worden waren.

Vor dem Massaker hatte der US-Kongress wegen der schlechten Menschenrechtssituation bereits die Militärhilfe an Usbekistan gekürzt. 2004 trat ein Gesetz in Kraft, das die Ausbildung usbekischer Offiziere durch die USA stark beschränkte. Die Finanzierung von Waffentransporten wurde ganz gestrichen.

Gemäß dem Gesetz können diese Regelungen gelockert werden, wenn das US-Außenministerium der Regierung in Taschkent "substanziellen und kontinuierlichen Fortschritt" bei der Einhaltung der Menschenrechte bescheinigt. Weder Clinton, die Karimow im vergangenen Dezember traf, noch ihre Vorgänger haben dies bisher getan.


Usbekistan immer wichtiger im Kampf gegen Taliban

Die geopolitischen Entwicklungen haben die strategische Funktion Usbekistans im Kampf gegen die Taliban unterdessen weiter gestärkt. Das Land ist ein Dreh- und Angelpunkt im so genannten 'Nördlichen Verteilungsnetzwerk' (NDN), das Handelsabkommen zwischen NATO-Mitgliedern und Staaten der ehemaligen Sowjetunion zum Nachschubtransport in Richtung Afghanistan umfasst.

Die Bedeutung des Versorgungsnetzwerks hat in den vergangenen Jahren wegen der Spannungen zwischen den USA und Pakistan weiter zugenommen. Fast die Hälfte der Lieferungen für die NATO-Truppen wird inzwischen im Rahmen von NDN transportiert. Etwa 98 Prozent davon passieren Usbekistan, wie die regionale Agentur 'Eurasianet' kürzlich berichtete.

Das Pentagon ist auch wegen des geplanten Abzugs von 30.000 Soldaten aus Afghanistan im kommenden Jahr und des anvisierten Rückzugs aller NATO-Truppen bis 2014 daran interessiert, die Nachschublinie durch Usbekistan in beide Richtungen offen zu halten. Zurzeit wird mit Taschkent und anderen Regierungen in der Region über solche Transfer-Abkommen verhandelt.

Nach kürzlich auf der Internetplattform Wikileaks verbreiteten Informationen hat Karimow die Beteiligung seines Landes an NDN als Trumpf ausgespielt, um die USA zu einer nachgiebigeren Haltung in Menschenrechtsfragen zu bewegen.


US-Kongress könnte Restriktionen gegen Taschkent aufheben

In einem Telegramm vom Februar vergangenen Jahres drang Karimow in Washington auf "Legitimation und Anerkennung" durch einen Besuch Clintons in Taschkent sowie die Aufhebung der vom US-Kongress beschlossenen Restriktionen. Eine Abstimmung über die Sanktionen in einem Senatsausschuss machte vor kurzem den Weg für eine mögliche Aufhebung durch den US-Kongress frei.

Das geplante Gesetz würde das Außenministerium lediglich dazu verpflichten, alle sechs Monate ein Memorandum zur Menschenrechtslage in Usbekistan an das Parlament zu senden. Jährlich würde zudem ein vertraulicher Bericht über die gesamten US-Hilfen an Taschkent fällig, der glaubhaft machen muss, dass die Mittel nicht für korrupte Machenschaften zweckentfremdet würden.

Die Menschenrechts- und Sozialverbände warfen Clinton in ihrem Schreiben vor, dass der usbekischen Regierung US-Steuergelder für Militär und Polizei bereitgestellt würden, während die Behörden des Staates weiterhin unabhängige Aktivisten, Journalisten und die gesamte politische Opposition zum Schweigen brächten und Kinderarbeit massiv vorantrieben. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2011