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ASIEN/826: Wahlen Japan 2012 (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Wahlen in Japan 2012
Die Verdrossenheit mit den etablierten Parteien wächst

von Sven Saaler
Januar 2013



• In den Wahlen zum japanischen Unterhaus am 16.12.2012 hat die regierende Demokratische Partei Japans (DPJ) eine vernichtende Niederlage einstecken müssen. Die konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) hat nach drei Jahren die Macht zurückerobert und dominiert das Unterhaus, während im Oberhaus weiter keine stabile Mehrheit für die Regierung abzusehen ist.

• Nachdem die DPJ vor drei Jahren in einem erdrutschartigen Wahlsieg über 300 Sitze im Unterhaus errungen hatte, konnte die Partei nur mehr 57 Sitze verteidigen und gehört damit zu einer Gruppe von mehreren mittelgroßen Parteien - weit abgeschlagen hinter der LDP, die 293 Sitze gewann.

• Der Hauptgrund für den deutlichen Wahlausgang ist vor allem in der Enttäuschung über die drei Jahre DPJ-Regierung zu sehen. Die LDP vertritt unpopuläre Positionen wie das Wiederanschalten von Atomkraftwerken, war aber erfolgreich mit einer aggressiven Wahlkampfstrategie, die vor allem auf die Diskreditierung der DPJ abzielte.

• Der neue LDP-Vorsitzende und neue Premierminister Shinzo Abe stand von 2006 bis 2007 schon einmal an der Spitze der Regierung, musste aber nach genau einem Jahr aufgrund sinkender Popularitätswerte zurücktreten.


Die DPJ am Ende, die LDP zurück an der Macht

Meinungsumfragen hatten zwar bereits seit Monaten angedeutet, dass die regierende Demokratische Partei Japans (DPJ) bei einer Neuwahl die Macht verlieren würde, die Deutlichkeit des Ausgangs der Unterhauswahl am 16.12.2012 kam dann aber doch überraschend. Erst vor drei Jahren hatte die DPJ erstmals die seit 1955 fast ununterbrochen regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) in einem erdrutschartigen Wahlsieg von der Macht verdrängt. Damals hatte die DPJ in einer als »historisch« bezeichneten Wahl 308 von 480 Sitzen im Unterhaus errungen, die LDP lediglich 118. Allerdings war die DPJ-Fraktion in Folge innerparteilicher Spannungen und Abspaltungen bis November 2012 bereits auf 230 Abgeordnete geschrumpft. Bei der Wahl im Dezember konnte die DPJ dann nur noch 57 Sitze verteidigen. Acht Minister der Regierung von Premierminister Yoshihiko Noda wurden nicht wieder ins Parlament gewählt. Damit gehört die DPJ im Unterhaus nun zu einer Gruppe von mehreren mittelgroßen und in ihrer Bedeutung zweitrangiger Parteien - weit abgeschlagen hinter der LDP, die 296 Sitze gewann. Der DPJ-Vorsitzende, Yoshihiko Noda, hat bereits seinen Rücktritt erklärt. Am 22.12.2012 wird sein Nachfolger als Parteivorsitzender gewählt.

Hinter den beiden großen (bzw. vormals großen) Parteien konnte sich die »Japanische Restaurationspartei« (Nihon ishin no kai) des populistischen Bürgermeisters von Osaka, Toru Hashimoto, sowie des rechtsradikalen Shintaro Ishihara, vormals Gouverneur der Präfektur Tokyo, als drittgrößte Kraft etablieren und gewann bei ihren ersten Wahlen auf Anhieb 54 Sitze. Die linksliberal und grün orientierte »Zukunftspartei Japans« (Nihon mirai no tô), die sich erst wenige Wochen vor den Wahlen formiert hatte, enttäuschte und kam lediglich auf neun Sitze. Besser erging es der reformorientierten »Partei für Jedermann« (Minna no tô), die 18 Sitze gewann (bisher acht Sitze). Während die Kommunistische Partei Japans acht ihrer neun Sitze verteidigen konnte, kam die Sozialdemokratische Partei Japans nur auf zwei Sitze (bisher fünf) und befindet sich nun in einer existentiellen Krise.[1]

Dass die DPJ mit 57 Sitzen im Unterhaus nur mehr eine von mehreren Parteien der zweiten Reihe ist, und erneut - wie so lange in der japanischen Nachkriegsgeschichte - die LDP die einzige ernstzunehmende Kraft im japanischen Parlament darstellt, wird von Kommentatoren als zu klarer Wahlausgang bezeichnet. In den Medien wird die Frage gestellt, ob sich in diesem Wahlergebnis wirklich der Wille des Volkes ausdrückt. In der Tat hat die LDP, trotz der massiven Zugewinne an Sitzen, prozentual kaum zugelegt. 2009 hatte sie mit 39 Prozent der Stimmen 64 der 300 nach Mehrheitswahlrecht vergebenen Direktmandate gewonnen. Bei dieser Wahl gewann sie mit 43 Prozent der Stimmen, also einer nur moderaten Steigerung, 237 von 300 Sitzen. Von den 180 Sitzen, die nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden, gewann die LDP 2009 mit 27 Prozent 55 Sitze, 2012 jedoch mit ebenfalls 27 Prozent 57 Sitze. Der massive Zugewinn an Sitzen ist also in erster Linie den Erfolgen der Direktkandidaten zu verdanken, während die Unterstützung für die LDP insgesamt nur unwesentlich gestiegen ist.

Die Wahlen 2009 und 2012 im Vergleich
2009

Direktmandate
Stimmanteil in %
Direktmandate
Stimmanteil in %
Verhältniswahl
Stimmanteil in %
Verhältniswahl
Sitze
DPJ
LDP
Restauration
Zukunft
Komeito
Jedermann
KPJ
SDJP
47
39
-
-
1
1
4
2
221
64
-
-
0
2
0
3
42
27
-
-
11
4
7
4
87
55
-
-
21
3
9
4
2012

Direktmandate
Stimmanteil in %
Direktmandate
Stimmanteil in %
Verhältniswahl
Stimmanteil in %
Verhältniswahl
Sitze
DPJ
LDP
Restauration
Zukunft
Komeito
Jedermann
KPJ
SDJP
22
43
12
5
1
5
8
1
27
237
14
2
9
4
0
1
16
28
20
6
12
9
6
2
30
57
54
7
22
14
8
1


Die LDP profitierte bei der Wahl auch von der niedrigen Wahlbeteiligung, die mit 59 Prozent (2009 noch 69 Prozent[2]) den tiefsten Stand einer Wahl in Japans Nachkriegsgeschichte markierte. Dies deutet darauf hin, dass in erster Linie Desillusionierung mit der DPJ-Regierung und allgemeine Politikverdrossenheit für den Wahlausgang verantwortlich ist als die konkrete Hoffnung auf positive Veränderungen unter einem LDP-geführten Kabinett (so auch Ergebnisse einer Umfrage der Zeitung Asahi, in der 81% der Befragten antworteten, dass sie »Enttäuschung über die DPJ-Regierung« als Hauptgrund für den Wahlausgang sähen).

Weiterhin ist auch die große Zahl an Kandidaten, die für neugegründete Parteien wie die Restaurationspartei oder die Zukunftspartei antraten, für den Wahlausgang verantwortlich. In vielen Fällen verteilten sich die Stimmen des LDP-kritischen Lagers auf DPJ, Zukunftspartei und Restaurationspartei, sodass die Direktkandidaten der LDP den Sieg davontragen konnten.

Abgesehen von der Lage im neu gewählten Unterhaus ist jedoch auch noch die Situation im Oberhaus zu berücksichtigen. Die LDP verfügt angesichts ihres aktuellen Wahlsieges im Unterhaus zwar über eine klare Mehrheit, im Oberhaus jedoch ist sie, ebenso wie die bisherige DPJ-Regierung, auf die Kooperation mit anderen Parteien angewiesen. Die LDP verfügt im Oberhaus nur über 83 Sitze, ihr Koalitionspartner Komeito über weitere 19, die DPJ aber auch noch über 88 von 242 Sitzen - also keine Mehrheit für beide Lager. Zwar kann die LDP ihre überwältigende Mehrheit im Unterhaus nutzen, um das Oberhaus zu überstimmen und Gesetzgebung im Alleingang zu verabschieden. Diese Methode des Regierens wird allerdings stets sehr kritisch gesehen und würde die LDP schnell Sympathien kosten - und damit auch einen Erfolg in den nächsten Teilwahlen zum Oberhaus im Juli 2014 in Frage stellen.


Wahlkampfthemen

Auch bei einem Blick auf die Wahlkampfthemen kann man nur zu der Schlussfolgerung kommen, dass in erster Linie die bereits erwähnte Enttäuschung über die drei Jahre DPJ-Regierung für den überaus deutlichen Wahlausgang verantwortlich gemacht werden müssen. Die LDP vertrat im Wahlkampf eher unpopuläre Positionen, war aber erfolgreich mit einer aggressiven Strategie der Diskreditierung der DPJ. Die Wähler schien es nicht einmal abzuschrecken, dass der zentrale Wahlslogan der LDP - »Wir holen uns Japan zurück!« (Nihon o torimodosu) - die selbstherrliche message impliziert, dass Japan der LDP »gehöre«.

Der LDP gelang es im Wahlkampf auf ganzer Linie, die DPJ für die politischen Probleme der letzten Jahre verantwortlich zu machen, während die DPJ es auf keine Weise verstand, die Blockadepolitik der LDP zu thematisieren. Tatsächlich war es nämlich die LDP, die seit 2010, nachdem die DPJ die Mehrheit im Oberhaus verloren hatte, systematisch die Gesetzgebung blockierte und die DPJ mitunter sogar nötigte, vor 2010 erlassene Gesetze wieder zurückzunehmen. So hatte die DPJ z.B. die Einführung eines Kindergelds verabschiedet - und im Gegenzug die Streichung des Steuerfreibetrages für Kinder in Höhe von 380.000 Yen (ca. 3.800 Euro) beschlossen. Die LDP bezeichnete die Einführung des Kindergelds als Luxus, den Japan sich nicht leisten könne und zwang die DPJ nach 2010, das Kindergeld wieder abzuschaffen. Der Kinderfreibetrag wurde jedoch nicht wieder eingeführt, so dass Familien mit Kindern - auch in Japan ein seltener werdendes Phänomen - seit 2011 je nach Einkommen pro Kind bis zu 100.000 Yen (ca. 1.000 Euro) mehr Steuern bezahlen müssen. Bei einer Geburtenrate von unter 1,3 nicht unbedingt ein vielversprechender Politikansatz.

Besonders erstaunlich ist das aktuelle Wahlergebnis gerade auch vor dem Hintergrund der starken Ablehnung der Atomkraft seit den Unfällen im AKW Fukushima im März 2011. Laut Umfragen befürworten 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomkraft, 60 bis 70 Prozent sprechen sich auch gegen ein Wiederanschalten der derzeit stillgelegten Reaktoren aus. Der Vorsitzende der LDP und designierte Premierminister Shinzo Abe[3] kündigt jedoch, in erster Linie aus Rücksichtnahme auf die Interessen von Wirtschaft und Finanzindustrie, ein schnelles Wiedereinschalten der Reaktoren sowie einen "Ausstieg aus dem (von der DPJ eingeleiteten[4]) Atomausstieg" an. Wenige Tage vor der Wahl betonte Abe sogar, die Tatsache, dass ein (noch) größeres Unglück trotz Jahrtausend-Erdbeben und -Tsunami 2011 verhindert werden konnte, habe verdeutlicht, dass die japanischen Reaktoren »sicher« seien und daher in Kürze wieder in Betrieb genommen werden könnten bzw. sollten. Trotzdem gewannen sogar in der Präfektur Fukushima in vier von fünf Wahlbezirken LDP-Kandidaten die Direktmandate. Nur im Bezirk Fukushima 3 konnte sich mit Außenminister Kôichirô Genba ein Kandidat der DPJ (mit starker lokaler Verankerung) behaupten.

Ebenfalls erstaunlich ist die Zustimmung für die LDP angesichts der von Abe zur Wahl angekündigten Sozial- und Fiskalpolitik. Abe hat sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, die Staatsausgaben - trotz eines derzeit bereits hohen Schuldenstands in Höhe von 250 Prozent des japanischen Bruttoinlandproduktes - zu erhöhen und die Notenbank, die Bank of Japan, zu einer Lockerung der Geldpolitik zu bewegen, um so den Yen international zu schwächen und die lang andauernde Deflation zu überwinden. Zwei bis drei Prozent Inflation statt Deflation ist das konkrete Ziel Abes. Inflation, so hofft Abe, wird neues Wirtschaftswachstum bringen. Abgesehen von der Frage, wie neue Ausgaben in der Höhe, an die Abe denkt, finanziert werden sollen, sehen Kritiker aber auch die Gefahr wachsender relativer Armut. Seit Jahren sinken in Japan die Einkommen. Lag das durchschnittliche Einkommen einer japanischen Familie im Jahr 1996 noch bei 7,8 Millionen Yen (ca. 75.000 Euro), so waren es 2010 nur noch 6,9 Millionen Yen (ca. 66.000 Euro). Gerade die Mehrheit der jungen Generation findet keine Festanstellung mehr, sondern muss sich mit - schlecht bezahlten - Teilzeitjobs zufrieden geben. Erträglich war der Rückgang der Einkommen für viele nur aufgrund der Deflation, d.h. sinkender Preise. Seit 1999 befindet sich Japan, mit kürzeren Unterbrechungen, im Zustand der Deflation. Dies hat dazu geführt, dass das Preisniveau selbst in Großstädten wie Tokyo und Osaka inzwischen mit dem in europäischen Großstädten vergleichbar ist, während bis in die 1990er Jahre Tokyo und Osaka stets auf der Liste der »teuersten Städte der Welt« ganz oben standen. Abe hat aber nicht erklärt, wie er denn Inflation überhaupt erreichen will, nachdem dies andere Regierungen (unter anderem auch seine eigene Regierung in den Jahren 2006 bis 2007, als Abe bereits einmal Premierminister war) über Jahrzehnte hinweg nicht zu vollbringen imstande waren. Ebenso wenig hat er erklärt, wie er die Inflation bei drei Prozent halten und ein weiteres Ansteigen verhindern will. Das plötzliche Zerplatzen der sogenannten Seifenblasenwirtschaft Japans im Jahr 1989 hat gezeigt, wie schnell sich eine Kettenreaktion entwickeln kann, die von der Regierung nicht unter Kontrolle zu bringen ist und ggf. zu einer rapiden Entwertung von Besitzständen führen kann.

Die von Abe geplante Erhöhung der Staatsausgaben soll in erster Linie Unternehmen zugute kommen - öffentliche Aufträge sollen die Konjunktur ankurbeln helfen. Bei Ausgaben für soziale Sicherheit soll laut Abe demgegenüber gekürzt werden. So soll z.B. der Sozialhilfesatz um 10 Prozent gesenkt werden. Statt sich auf eine Politik der »öffentlichen Hilfe« (kôjo) zu verlassen sollen die japanischen Bürger zur »Selbsthilfe« (jijo) verpflichtet werden, so die Abe-LDP in ihrem Wahlprogramm. Die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Japaner hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt und beläuft sich inzwischen auf mehr als zwei Millionen.


Ein Ruck nach Rechts?

Eine Reihe ausländischer Beobachter[5] wie auch der ein 6 oder andere japanische Politiker[6] sehen das aktuelle Wahlergebnis als »Rechtsruck«. Dieses Urteil scheint bei genauem Hinsehen etwas voreilig, zeigen doch die Wahlergebnisse, dass im Vergleich zur Wahl 2009 die Stimmenanteile der LDP bei den Direktmandaten nur moderat gestiegen, bei den Stimmen für die Parteilisten sogar gesunken sind. Zweifellos steht die derzeitige Führung der LDP im - insgesamt sehr breiten - politischen Spektrum der Partei ganz weit rechts außen. Der Vorsitzende Shinzo Abe vertritt sozial-konservative Ideen, plädiert für eine unnachgiebige Politik gegenüber China und Nordkorea, beschönigt immer wieder Japans Kriegsvergangenheit und ist besessen von der Idee der Revision der japanischen Verfassung, wobei er vor allem den Paragraphen neun der Verfassung, der das Recht des Staates auf Kriegsführung verbietet, abschaffen will. Offenbar hat aber gerade diese klare Positionierung der LDP keinen besonderen Anklang in der Bevölkerung gefunden.

Die Wähler, die sich von der DPJ abgewendet haben, liefen also zu anderen Parteien über oder blieben der Wahl ganz fern. Die Parteien der »dritten Kraft«, die von dieser Abwendung der Wähler von der DPJ profitierten, sind wiederum äußerst unterschiedlicher politischer Couleur. Die Zukunftspartei ist wie bereits erwähnt äußerst progressiv ausgerichtet, auch die Partei für Jedermann ist zunächst eine reformorientierte Kraft. Lediglich die Zugewinne der Restaurationspartei deuten darauf hin, dass hier eine wachsende Zahl reaktionärer Wählerstimmen eine Heimat findet. Der Vorsitzende der Restaurationspartei ist der vormalige Gouverneur der Präfektur von Tokyo, der 80-jährige Shintaro Ishihara, berühmt-berüchtigt für seine rassistischen und kriegsbeschönigenden Äußerungen. Nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März 2012 stellte Ishihara fest, die Katastrophen seien die »Strafe des Himmels«, und Japan müsse diese Katastrophen als Chance nützen, den Egoismus der modernen Gesellschaft zu überkommen. Im Mai 2012 war es Ishihara, der mit der Ankündigung des Kaufs der Senkaku-Inseln durch die Präfektur Tokyo den Territorialstreit um diese Felsengruppe mit China aufs Neue entfachte. Während des Wahlkampfes plädierte Ishihara immer wieder für die Abschaffung von Artikel Neun der Japanischen Verfassung, denn angesichts der gegebenen Einschränkungen seiner Souveränität würde Japan von Staaten wie China und Nordkorea ernst genommen, so Ishihara. Auch der Gründer und stellvertretende Vorsitzende der Restaurationspartei, der Bürgermeister von Osaka, Toru Hashimoto, tritt für eine Revision von Artikel Neun ein und stimmt Shinzo Abe in seinen kriegsbeschönigenden Äußerungen zu. Inwieweit die Popularität der Restaurationspartei aber ein bleibendes Phänomen sein wird, ist noch nicht abzusehen.

Die Teilwahlen zum Oberhaus, in dem die Hälfte der 242 Sitze alle zweieinhalb Jahre neu vergeben werden, werden im kommenden Jahr zeigen, ob die Wähler Abe etwas mehr Geduld zuteil werden lassen als seinen Vorgängern, oder ob sie auch des zweiten Kabinetts Abe so schnell überdrüssig werden wie seiner ersten Regierung: 2006 hatte Abe mit einer Zustimmungsrate von ca. 65 Prozent begonnen, aber bereits nach zwei Monaten war diese auf 50 Prozent gesunken, nach einem halben Jahr auf unter 40 Prozent und nach einem Jahr auf unter 30 Prozent. Nach auf den Tag genau einem Jahr im Amt ließ sich Abe ins Krankenhaus einweisen. Einen Tag später trat er zurück. Geblieben ist das Bild des »Totalversagers«, der sich in ein Thema verrannte, das niemanden wirklich interessierte, nämlich die Reform der Verfassung, während er weder die Wirtschaft in den Griff bekam noch imstande war, die Sicherheit der Renten zu garantieren.

Eines ist jedoch sicher: Abe ist nicht mehr allein mit seiner Forderung nach Revision von Artikel Neun der Verfassung. Laut einer Untersuchung der Nachrichtenagentur Kyodo befürworten 76 Prozent der Abgeordneten des neuen Unterhauses eine zumindest teilweise Revision des Artikels. Damit wäre zumindest im Unterhaus zum ersten Mal seit 1947 die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Änderung der Verfassung vorhanden. Die japanische Bevölkerung steht einer Revision in der Mehrheit noch ablehnend gegenüber, aber eine Regierung Abe könnte sich aktiv um eine Veränderung der Stimmung in Japans Gesellschaft bemühen, um die Gunst der Stunde im Unterhaus zu nutzen.

Noch ein weiterer Punkt ist zu beachten, wenn von einem potentiell radikalen »Rechtsruck« die Rede ist: wie auch die Wahlen im Jahr 2009 und der darauf folgende Regierungswechsel, der von vielen als »historisch« bezeichnet wurde, gezeigt haben, ändert sich in Japans Politik und Gesellschaft letztlich doch nur sehr wenig, und Änderungen kommen, wenn überhaupt, sehr langsam. Sieht man sich die Leistungen Abes in seiner ersten Amtszeit an, so scheint es unwahrscheinlich, dass ein zweites Kabinett Abe imstande sein wird, Japan in kurzer Zeit nach den Vorstellungen des designierten Premiers umzugestalten. So gesehen ist auch von der erneuten Übernahme der Regierungsmacht durch einen Shinzo Abe eher nicht viel Neues zu erwarten - bzw. zu befürchten.


Anmerkungen

[1] 2009 gaben noch fast drei Millionen Japaner der SDPJ ihre Stimme, im Dezember 2012 waren es nur noch 1,4 Millionen. Die Direktkandidaten der SDPJ erhielten 2009 noch 1,4 Millionen Stimmen, 2012 nur noch 450.000. Auch die Unterstützung für die Kommunistische Partei Japans (KPJ) ging von 5 Millionen Stimmen auf 3,7 Millionen zurück; bei den Direktkandidaten konnte die KPJ allerdings von 3 Millionen auf 4,7 Millionen Stimmen zulegen.

[2] Gingen 2009 von ca. 110 Millionen wahlberechtigter Japaner noch etwas mehr als 70 Millionen zur Wahl, so waren es im Dezember 2012 nur ca. 60 Millionen.

[3] Abe war bereits einmal 2006 bis 2007 Premierminister. Das Urteil über seine erste Amtszeit ist allgemein vernichtend. In einem Artikel in der ZEIT bezeichnet der Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien, Florian Coulmas, Abe z.B. als »Totalversager«, der »absolut nichts geleistet« hat (DIE ZEIT, 51/2012). Zu Abes Politikansätzen vgl. Chris Winkler, Neue Führer - alte Politik? Die Präsidentenwahlen von DPJ und LDP und ihre Auswirkungen auf Japans Politik, Perspective FES Tokyo,
Internet: http://library.fes.de/pdf-files/id/09428.pdf.

[4] Siehe Sven Saaler, Der Rücktritt der Regierung Kan und die Zukunft der Atomkraft in Japan, Internationale Politikanalyse / FES Tokyo,
Internet: http://library.fes.de/pdf-files/id/08446.pdf.

[5] Patrick Köllner und Anna Yumi Pohl: Vor dem Rechtsruck in Japan: Die Unterhauswahl wirft ihren Schatten voraus, GIGA Focus no. 10, 2012; Christoph Neidhardt, Ruck nach rechts in die Vergangenheit, Süddeutsche Zeitung, 17.12.2012; Matthias Nass, Drift nach rechts, DIE ZEIT 51/2012; Carsten Germis: Japans Flucht nach Rechts, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.12.2012.

[6] Siehe das Interview mit dem LDP-Unterhausabgeordneten Yôhei Kôno in der Asahi Shinbun, 12.12.2012.


Über den Autor

Sven Saaler ist Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tokyo und Professor für Moderne Japanische Geschichte an der Sophia-Universität.

Er ist Autor von Politics, Memory and Public Opinion. The History Textbook Debate and Japanese Society (Iudicium, 2005), Co-Autor von Japanische Impressionen eines Kaiserlichen Gesandten. Karl von Eisendecher im Japan der Meiji-Zeit (Iudicium, 2007), Unter den Augen des Preußen-Adlers. Lithographien, Zeichnungen und Photographien der Teilnehmer der Eulenburg-Expedition in Japan, 1860-61 (Iudicium, 2011) sowie Co-Autor und Mitherausgeber von Pan-Asianism in Modern Japanese History. Colonialism, Regionalism and Borders (Routledge, 2007), The Power of Memory in Modern Japan (Global Oriental, 2008) und Pan-Asianism. A Documentary History (Rowman & Littlefield, 2011).


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2013