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ASIEN/895: Afghanistan - Hohe Wahlbeteiligung von Frauen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2014

Afghanistan:
Hohe Wahlbeteiligung von Frauen - Hoffen auf mehr Rechte

Von Abdullah Omeed



Kabul, 5. Mai (IPS) - Etwa ein Drittel aller Wähler, die bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen in Afghanistan ihre Stimme abgegeben haben, waren Frauen. Damit stellten sie ihre Entschlossenheit unter Beweis, die Zukunft ihres Landes mit zu gestalten. Ob ihre Rechte von der künftigen Regierung gestärkt werden, ist allerdings fraglich.

Mit etwa 60 Prozent wurde in dem zentralasiatischen Staat mit rund sieben Millionen Einwohnern bei dem Urnengang am 5. April eine hohe Beteiligung registriert. Zivilgesellschaftliche Gruppen in Afghanistan sowie internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen sprachen von einem Erfolg, auch wenn es verbreitet zu Unregelmäßigkeiten gekommen war.

Die Afghanen werden die erste friedliche Machtübergabe in der Geschichte ihres Landes erleben, wenn der seit Ende 2001 amtierende Staatschef Hamid Karsai die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger übergibt. Im Rennen um das höchste politische Amt im Land wird es voraussichtlich zu einer Stichwahl am 28. Mai kommen.

Trotz großer Sicherheitsgefahren, strikter Traditionen und schlechter Wetterverhältnisse ließen sich die Frauen nicht davon abhalten, in Scharen zu den Wahllokalen zu kommen. Militante Gruppen hatten angedroht, Wähler anzugreifen und den gesamten Wahlprozess zu stören. Vor allem Frauen erschienen als Zielscheibe, da islamistische Extremisten deren Platz zu Hause in der Familie sehen.

Vor dem Urnengang wurden vier Wahlbeobachter getötet, nachdem Extremisten trotz aller Sicherheitsvorkehrungen in ein in nächster Nähe zum Präsidentenpalast in Kabul gelegenes Fünf-Sterne-Hotel eindringen konnten. Auch wurde der Hauptsitz der unabhängigen Wahlkommission AIEC angegriffen.


Heimlich zum Wahllokal

Die 19-jährige Saima, die wie viele andere Afghaninnen ihren vollen Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will, hat zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt. Mit zwei Vettern habe sie sich heimlich aus ihrem Elternhaus in der Unruhe-Provinz Khost im Osten des Landes geschlichen, um zum Wahllokal zu fahren, berichtet sie.

Die Provinz grenzt an die pakistanischen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) und ist Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen zwischen Extremisten und der Armee. "Ich war beseelt von dem Gedanken, dass ich stellvertretend für all diejenigen afghanischen Frauen, die aus irgendeinem Grund nicht wählen gehen konnten, meine Stimme abgeben muss", sagt Saima.

Afghaninnen fürchten, dass die geringe Anerkennung und die wenigen Rechte, die sie in den vergangenen 13 Jahren erringen konnten, den Friedensgesprächen der Regierung mit den radikalen Taliban geopfert werden. Die Islamisten sind für ihre strenge Auslegung des Islams und eine frauenfeindliche Haltung bekannt.


"Leben zu Hause oder im Grab"

Wie Saima erklärt, sind Afghaninnen aufgrund der vorherrschenden Mentalität "zu einem Leben zu Hause oder im Grab" verurteilt. Für viele Frauen sei dies ein Grund, sich umzubringen. "Wählen zu gehen, wurde für junge Frauen, die die traditionelle Diskriminierung abschütteln wollten, zum Leitsatz."

Auch die 57-jährige Laal Bibi, eine Mutter von fünf Töchtern aus dem Dorf Mandozay in Khost, hat bei den Wahlen ihre Stimme abgegeben. Wie sie erklärt, erhoffen sich die Frauen vom nächsten Präsidenten, dass er sie wie menschliche Wesen betrachtet.

Um den Tintenfleck am Finger zu verdecken, mit dem Wähler im Wahllokal gekennzeichnet werden, hat sie ihre Hände mit Henna bemalt. "Ich wünsche mir ein besseres Leben für meine Töchter und deren Kinder", sagt sie. "Indem ich gewählt habe, stellte ich mich gegen meinen Mann, der eine Zweitfrau genommen hat, weil ich ihm keinen Sohn geboren habe, und die Gesellschaft, die Frauen als schwach und handlungsunfähig einstuft. Ich bin stolz darauf, wählen gegangen zu sein."

Für das Präsidentenamt selbst hat zwar keine Frau kandidiert, doch Tausende Afghaninnen bewarben sich um einen Sitz in den Provinzräten. Derzeit sind 27,6 Prozent der Mitglieder des afghanischen Parlaments weiblich. In Indien sind es lediglich 11,4 Prozent und in Pakistan 18,5 Prozent.

In den nördlichen Provinzen Afghanistans ist die Lage zwar relativ ruhig, doch sind dort Vergewaltigungen und Entführungen an der Tagesordnung. Adila lebt im Norden in der Provinz Baghlan. Sie ging nie zur Schule und wurde sehr jung verheiratet. Jetzt will sie sich scheiden lassen, doch ihre Familie fürchtet die Schande. "Ich habe gewählt, damit ein kluger Präsident ins Amt kommt, jemand, der Zwangsheiraten verbietet", erklärt sie. Trotz aller Sicherheitsgefahren kam Adila mit sieben anderen Frauen aus ihrem Dorf in das Wahllokal.

Die 29-jährige Rahima, die in einer Privatschule in Kabul unterrichtet, hofft ebenfalls, mit ihrer Stimme etwas zu verändern. "Ich habe alle Bedrohungen in Kauf genommen, weil ich eine Rückkehr der Taliban nicht hinnehmen könnte."

Nicht alle Frauen waren jedoch in der Lage zu wählen. Die 32-jährige Parween berichtet, dass sie die Anordnungen ihres Manns befolgen musste. "Afghanische Frauen sind nicht als eigenständige Personen in der Gesellschaft präsent. Sie sind nur Töchter, Schwestern oder die Frauen von Männern. Deshalb müssen sie alles tun, was die männlichen Verwandten von ihnen erwarten."

Auch Fatima und ihre weiblichen Angehörigen hatten keine Chance, in Kabul zur Stimmabgabe zu gehen. "Mein Vater betrachtet Wahlen als unislamisch", sagt die junge Wahlberechtigte.


Hoffen auf Einhaltung der Wahlversprechen

Viele Kandidaten sicherten immerhin im Wahlkampf zu, die Frauenrechte stärker zu achten. "Leider ist Gewalt gegen Frauen für die Regierung nie ein wichtiges Thema gewesen. Wir werden dafür sorgen, dass ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden, um die zunehmende Gewalt gegen Frauen einzudämmen", versprach der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah während einer Fernsehdebatte.

Sein Konkurrent Ashraf Ghani Ahmadzai sicherte bei der Diskussion ebenfalls zu, für die Rechte einzutreten, die Frauen gemäß der Verfassung zustehen. "Wir können keine demokratische Gesellschaft haben, wenn Frauen nicht in allen Bereichen vollständig und gleichberechtigt partizipieren können. Die Gesetze, die Frauen gegen jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung schützen, werden vollständig umgesetzt."

Das Endergebnis der Wahlen soll am 14. Mai bekannt gegeben werden. Abdullah liegt nach bisherigen Auszählungen vor dem früheren Finanzminister Ghani in Führung. Da voraussichtlich aber keiner der beiden eine Mehrheit von mindestens 50 Prozent erreichen wird, ist eine Stichwahl am 28. Mai wahrscheinlich. (Ende/IPS/ck/2014)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2014