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ASIEN/929: Sri Lanka - Wachsende Gewalt vor Präsidentschaftswahlen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Januar 2015

Sri Lanka: Wachsende Gewalt vor Präsidentschaftswahlen

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Die Gewalt vor den Präsidentschaftswahlen am 8. Januar beunruhigt Wahlbeobachter
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo, 6. Januar (IPS) - Angesichts der zunehmenden Gewalt im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 8. Januar in Sri Lanka, die auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem amtierenden Staatschef Mahinda Rajapaksa und dem Oppositionsführer Maithripala Sirisena hinauslaufen, steht zu befürchten, dass viele Stimmberechtigte dem Urnengang fernbleiben werden.

"Entscheidend ist, was sich in den 48 Stunden vor den Wahlen abspielen wird. Normale Wähler sind nicht gewillt, das Risiko eines Angriffs zu tragen geschweige denn sich selbst in Gefahr zu bringen", meint Keerthi Tennakoon, Exekutivdirektor der nationalen Wahlkontrollbehörde 'Kampagne für freie und faire Wahlen' (CaFFE).

Die Wahlen gelten als die spannendsten in der jüngsten Geschichte des südasiatischen Landes. Rajapaksa, der den Urnengang um zwei Jahre vorverlegt hatte, sieht sich mit einem ebenbürtigen Widersacher in Gestalt seines ehemaligen Gesundheitsministers Sirisena konfrontiert. Der am 5. Januar zu Ende gegangene Wahlkampf zeichnete sich vor allem durch gegenseitige Verbalattacken aus. Politische Fragen waren zweitrangig.


Polizei in der Kritik

Tennakoon wirft der Polizei vor, einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Sie habe in einem Streit Partei für Sympathisanten der Regierung ergriffen, kritisiert er. "Die Sicherheitskräfte kommen zu spät, wenn es gilt, rechtzeitig einzugreifen, um Gewalt zu unterbinden."

Der CaFFE-Chef wies in diesem Zusammenhang auf die jüngsten Zusammenstöße in Kahawatta hin, einer Stadt im zentralen Bezirk Ratnapura. In den frühen Morgenstunden des 5. Januar hatten dort Oppositionsanhänger die Bühne für Sirisena aufgebaut, als Regierungsgetreue in acht Fahrzeugen vorfuhren und auf die politischen Gegner losgingen. Anstatt wegzulaufen, leisteten diese ihren Angreifern Widerstand. Die Situation geriet außer Kontrolle, Schüsse fielen und vier Oppositionsanhänger wurden verletzt.

Als Vergeltungsschlag griffen daraufhin Angehörige der Opposition die Wahlbüros ihrer politischen Gegner an. Mindestens vier Stunden lang blieben die Hauptstraßen der Stadt blockiert und das Chaos nahm seinen Lauf. "Die Polizei griff erst zwei Stunden nach Ausbruch der anfänglichen Streitigkeiten ein, als die Anhänger der oppositionellen Vereinigten Nationalpartei (UNP) die Büros von (Vizeminister Premalal) Jayasekara attackierten", protestiert CaFFE.

Einige Stunden vorher hatte eine Personengruppe, die einem Vizeminister treu ergeben ist, Mitarbeiter des Wahlbeauftragten in der östlichen Stadt Trincomalee angegriffen, die eine digitale Leinwand mit Wahlpropaganda überprüfen wollten. Der Angriff fand statt, obwohl neun Polizisten vor Ort abgestellt waren.

Trotz eines robusten Wachstums sieht sich Sri Lanka mit einer riesigen wirtschaftlichen Ungleichheit konfrontiert. So haben die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zur Hälfte des gesamten Nationaleinkommens, während sich die ärmsten 20 Prozent fünf Prozent des nationalen Wohlstands teilen müssen.

Wie aus der letzten Untersuchung der Haushaltseinkommen der Zensus- und Statistikbehörde hervorgeht, liegt das monatliche Einkommen der ärmsten 20 Prozent bei 10.245 Rupien (etwa 78 US-Dollar). Hingegen verfügen die 20 Prozent reichsten Srilanker über monatlich 121.368 Rupien (rund 933 Dollar). Ein weiteres Problem ist der arme Norden des Landes, der Hauptschauplatz des letzten, im Mai 2009 zu Ende gegangenen Bürgerkrieges.

Dem Wirtschafts- und Politikexperten Anushka Wijesinha zufolge strotzen die Wahlkampfprogramme vor Versprechen, die Bürger des Landes finanziell stärker zu unterstützen. Der Experte bemängelt jedoch, dass in den Manifesten der Kandidaten von konkreten politischen Stabilisierungsstrategien wenig zu lesen sei.

Beide Wahlprogramme seien populistisch und gespickt mit der Aussicht auf Hilfsgelder für die Armen und Gehaltserhöhungen für die Staatsbediensteten. Diese Maßnahmen würden den Konsum allerdings nur kurzfristig ankurbeln. Langfristig würden solche Zusatzausgaben die Haushaltskonsolidierungsbemühungen der letzten Jahre unterwandern und den Druck auf die öffentlichen Finanzen erhöhen, warnt Wijesinha.

Die Präsidentschaftswahlen werden zunächst einmal zu mehr wirtschaftlicher Unsicherheit führen. Einen Tag nach der Ankündigung der Parlamentswahlen am 20. November erlebte die Börse in Colombo ihren schlimmsten Einbruch der letzten 15 Monate, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat.

"Beide Kontrahenten haben deutlich gemacht, dass sie staatlichen Initiativen und Programmen den Vorzug geben. Besser wäre es jedoch, die politischen Bemühungen zugunsten eines passenden Umfelds für Privatunternehmen und Innovationen auszurichten", meint Wijesinha.


Machtverlust für Rajapaksa

Der breite Rückhalt im Parlament, den Rajapaksa seit Kriegsende genossen hat, bröckelt. Seit Ende 2010 konnte sich der Staatschef an einer Zwei-Drittel-Mehrheit im 225 Mitglieder zählenden Parlament erfreuen. Doch einen Monat, nachdem die Parlamentswahlen bekannt gegeben wurden, wechselten 26 Abgeordnete aus dem Regierungslager die Seiten.

Hinzu kommt, dass Sirisena die Unterstützung der Parteien der muslimischen und tamilischen Minderheiten genießt, die zusammen 15 Prozent der Bevölkerung von 21 Millionen Srilankern stellen.

Beide Kandidaten haben den Minoritäten eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt. So versprachen sie Maßnahmen zur Entwicklung der Nordprovinz. Rajapaksa hat die Region im Rahmen seines Wahlkampfes gleich zweimal besucht und eine Wiederbelebung der Wirtschaft und Arbeitsplätze in Aussicht gestellt. Denn nach wie vor liegt die Erbwerbslosenrate in der Provinz bei 5,2 Prozent, also 0,8 Prozent oberhalb des nationalen Durchschnittswerts. Der höchste Wert wurde im letzten Jahr im Bezirk Kilinochchi festgestellt.

Auch die Armut ist in der Nordprovinz ein großes Problem. Vier der fünf Bezirke weisen Armutsraten vor, die oberhalb des nationalen Durchschnittswertes von 6,7 Prozent liegen.

Doch nach Ansicht von Muttukrishna Sarvananthan, dem Leiter des Point-Pedro-Entwicklungsinstituts im nördlichen Jaffna, hängen sämtliche Entwicklungserfolge davon ab, ob es gelingt, Investoren in den Norden zu holen. "Wir brauchen die Privatwirtschaft, um Arbeitsplätze schaffen zu können", betonte der Experte und hob den Bedarf an langfristigen Strategien hervor.

Auch sieht er in der Dezentralisierung den richtigen Weg, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wirksam anzugehen. Es sei wichtig, dass die Provinzen, einschließlich der im Osten und Norden des Landes, wieder über ein eigenes Budget verfügten, damit sie unabhängig, wirksam und ohne Einmischung der Zentralregierung schalten und walten könnten.

Die Rückgabe der Macht war in der Zeit nach der Unabhängigkeit Sri Lankas von Großbritannien 1948 eine der wichtigsten Forderungen der tamilischen Minderheitengruppen gewesen. Tatsächlich spielte der Mangel an politischem Einfluss separatistischen Strömungen in die Hände und machte den Aufstieg der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) erst möglich. Die LTTE kämpfte von 1983 bis zur ihrer militärischen Niederlage 2009 für ein 'Homeland' der Tamilen.

Doch nach Ansicht von Ponnadurai Balasundarampillai, einem ehemaligen Vizekanzler an der Universität von Jaffna, ist die Machtrückgabe für jede Regierung ein sensibles Thema. "Der neue Präsident wird eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation vornehmen müssen. Der amtierende Staatschef hat bereits verdeutlicht, dass er einer zentralisierten Regierung und Verwaltung den Vorrang gibt." (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

www.ipsnews.net/2015/01/spectre-of-violence-hangs-over-sri-lanka-polls/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2015


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