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ASIEN/998: US-Außenminister Austin in Hanoi - Nguyen Xuan Phuc bekräftigt unabhängige Außenpolitik Vietnams (Gerhard Feldbauer)


US-Außenminister Lloyd Austin beendete Besuch in Hanoi

Premier Nguyen Xuan Phuc bekräftigte "Vietnams konsequente Außenpolitik der Unabhängigkeit"

von Gerhard Feldbauer, 31. Juli 2021


US-Außenminister Lloyd Austin besuchte am 28. und 29. Juli auf Einladung des vietnamesischen Verteidigungsminsters Phan Van Giang Hanoi, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) am Donnerstag. Es handelte sich um den ersten Besuch eines hochrangigen Mitglieds der Regierung von US-Präsident Joe Biden in dem Land. Es ging um die Zusammenarbeit bei der Beseitigung von Kriegsfolgen (vor allem die Dioxinentgiftung auf dem ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt Bien Hoa und anderen Orten) und um die Strafverfolgung auf See (Piraterie), die bereits 2011 in einem "Memorandum of Understanding" den Ressorts der Verteidigungsminister übertragen wurden. Neu aufgenommen wurde die medizinische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie, bei der die Gesundheitsbehörden ebenfalls mit Angehörigen der Polizei und der Armee zusammenwirken.

Austin wurde von Staatspräsident Nguyen Xuan Phuc und Premier Pham Minh Chinh empfangen. Wie VNA berichtete, gab das Präsidentenamt danach bekannt, dass US-Vizepräsidentin Kamala Harris demnächst Hanoi besuchen werde. Im Gegensatz zu westlichen Meldungen, die ausschließlich von einer militärischen Zusammenarbeit berichteten, betonte der vietnamesische Premier laut VNA, der Schwerpunkt der Kooperation liege in den "Bereichen Handel-Investitionen, Klimawandel, Wissenschaft-Technologie, Bildung und Ausbildung". Hier will Vietnam sein Potenzial in Bereichen wie Infrastruktur, Transport, Humanressourcen und erneuerbarer Energie einbringen. Dem diene, wie Xuan Phuc erwähnte, eine kürzlich zwischen dem US-Finanzministerium und der Staatsbank von Vietnam erzielte Vereinbarung über einen Währungsaktionsplan, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Seiten voranzutreiben. Erörtert wurde ferner die Rolle der südostasiatischen Staatengruppe (ASEAN), zu der eine Verteidigungsministerkonferenz (ADMM+) gehört.

In dem Verband Südostasiatischer Staaten spielt Vietnam als eine führende Wirtschaftsmacht Südostasiens eine gewichtige Rolle. Im Juni 2020 richtete das Land in Hanoi per Video-Konferenz den 36. Gipfel der Regierungschefs der ASEAN aus. Im November 2017 war Vietnam in Da Nang Gastgeber des Gipfeltreffens der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC). 2019 war Hanoi Austragungsort des zweiten (gescheiterten) Gipfeltreffens der Präsidenten der USA und der KDVR (Koreanische Demokratische Volksrepublik / Nordkorea), Donald Trump und Kim Jong-un.

Darüber, dass Lloyd, wie Reuters aus Hanoi berichtete, Forderungen Joe Bidens nach Fortschritten bei den Menschenrechten zur Voraussetzung der weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit überbracht habe, wurde nichts bekannt.

Laut westlichen Medien kamen die bekannten Streitfragen über die Gewässer im Süd-, Ostchinesischen und Gelben Meer zur Sprache, zu denen die Spratley- und Paracel-Inseln gehören, auf die China und Vietnam, aber auch Taiwan, Malaysia, Brunei und die Philippinen Ansprüche erheben. Die USA haben bekanntlich die Pazifik-Region zum zentralen Schauplatz der Durchsetzung ihrer Weltherrschaftspläne mit Stoßrichtung gegen die Volksrepublik China erklärt. In diesem Kontext ist zu sehen, dass Austin zuvor bereits Singapur besuchte und er am Freitag zu einem Besuch auf den Philippinen startete.

Zu neu aufgelegten Spekulationen, wie sie auch DPA verbreitete, Vietnam im Rahmen einer Stärkung der militärischen Zusammenarbeit beider Länder gegen den "Einfluss Chinas in der Region" zu gewinnen, bekräftigte Premier Pham Minh Chinh den bekannten Standpunkt, dass Vietnam eine "konsequente Außenpolitik der Unabhängigkeit" verfolge, die Grundlage seiner "Partnerschaft mit den USA" sei, um "zum Wohle des Friedens, der Stabilität und der Entwicklung in der Region und der Welt" beizutragen, wie ihn VNA zitierte.

Zum Abschluss der Gespräche wurde im Beisein beider Minister ein "Memorandum of Understanding" über die Zusammenarbeit bei der Suche, Sammlung und Identifizierung von Überresten vietnamesischer gefallener Soldaten" (im US-Krieg von 1965 bis 1975) unterzeichnet. Vietnam sicherte zu, weiter bei der Suche nach den sterblichen Überresten vermisster US-Soldaten umfassend und effektiv zusammenzuarbeiten. Dazu wurde ferner ein "Memorandum of Understanding" für Harvard und die Texas Tech University unterzeichnet, das vorsieht, eine Datenbank zu erstellen, die in Vietnam bei der Suche nach den im Krieg Vermissten helfen soll.

Von linker Seite wurden außerhalb Vietnams Befürchtungen laut, diese enge Zusammenarbeit könnte das Land vom sozialistischen Weg abbringen, besonders aber kritisiert, dass diese Kooperation die USA einschließt, den früheren Kriegsgegner, der unermeßliches Leid mit Millionen Toten und im Norden ein weitgehend zerbombtes Land hinterlassen hat. Dazu muss man festhalten, dass die SRV (Sozialistische Republik Vietnam, Name des am 2.7.1976 wiedervereinigten Vietnams) nach der Niederlage des Sozialismus 1989/90 in Europa mit einem Schlag die internationale Basis ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den sozialistischen Staaten verlor. Um seine Existenz zu sichern, musste Vietnam zur Kooperation mit der kapitalistischen Weltwirtschaft übergehen, sonst wäre es ein vom Kapital abhängiger Rohstofflieferant mit dem aus Afrika bekannten Elend geworden.

Dieser Weg ließ sich nicht beschreiten, ohne Beziehungen zu den USA, der führenden kapitalistischen Wirtschaftsmacht, zu entwickeln. Es ging darum, Auslandsinvestitionen zu erschließen, Importe zu sichern und Zugang zu neuen Absatzmärkten zu gewinnen. Völliges Neuland betrat Vietnam nicht. Bereits 1986 hatte der VI. Parteitag der KPV (Kommunistischen Partei Vietnams) einen Kurs der Erneuerung (Doi Moi) beschlossen, der die stärkere Einbeziehung privatkapitalistischer Betriebe in Industrie, Landwirtschaft und im Finanzsektor festlegte. Das geschah vor dem Hintergrund, dass sich zehn Jahre zuvor - ein Jahr nach dem Sieg über die US-Aggressoren im April 1975 - der sozialistische Norden mit dem kapitalistischen Süden zur SRV vereinigt hatte.

Darauf aufbauend schloss Vietnam nach 1989/90 Schritt für Schritt eine Vielzahl bilateraler Verträge mit ausländischen kapitalistischen Unternehmen, trat dem Internationalen Währungsfond und der Weltbank bei und schloss zuletzt 2019 mit der Europäischen Union das EU-Vietnam Free Trade Agreement (EVFTA). Auf diesem schwierigen und steinigen Weg musste Vietnam Kompromisse eingehen, zum Beispiel den Schutz ausländischer Investitionen gewähren, dem Umgang mit neoliberalen Wesensmerkmalen wie dem geistigen Eigentum zustimmen, Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berücksichtigen, und ebenso - wie im Abkommen mit der EU - den Abbau von 99 Prozent der Zölle akzeptieren und die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens.

Nicht zu übersehen ist, dass als Resultat dieser Zusammenarbeit in Vietnam bis dahin nicht gekannte Begleiterscheinungen aus der Welt des Kapitals wie die Korruption Fuß fassten. Dass die KP Vietnams dieser einen schonungslosen Kampf angesagt hat, bezeugt, dass Nguyen Phu Trong die Bekämpfung der Korruption zur "Chefsache" erklärt und persönlich unter seine Kontrolle gestellt hat.

In der wirtschaftlichen und auch wissenschaftlich-technischen Kooperation versuchen die Wirtschaftspartner immer wieder, unterstützt von ihren Regierungen, dem privat-kapitalistischen Sektor in Vietnam eine Dominanz gegenüber dem gesellschaftlich vorherrschenden zu verschaffen, um so den sozialistischen Weg zu unterminieren. Vietnam hat bisher alle Versuche, seine wirtschaftliche Souveränität einzuschränken und die Kommandogewalt über seine Wirtschaft anzutasten, zurückgewiesen. Dass es hier nicht nachgibt und auch die führende Rolle seiner Kommunistischen Partei bewahrt, ist als eine entscheidende Garantie des erfolgreichen Vorwärtsschreitens auf seinem sozialistischen Weg zu sehen. Schon 1989/90 hatte die KPV, im Gegensatz zu den KPs anderer sozialistischer Staaten, dem Sozialismus die Treue gehalten und nicht den Pfad der Sozialdemokratie eingeschlagen. Auf dem 13. Parteitag im Januar dieses Jahres zählte sie 5,1 Millionen Mitglieder, darunter 60 Prozent Jugendliche, die die im Westen propagierte Meinung, die Jugend interessiere der Befreiungskrieg und der Sozialismus nicht, Lügen straften.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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