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ITALIEN/007: Machtvoller Generalstreik in Italien (Gerhard Feldbauer)


Machtvoller Generalstreik in Italien

Hoffnung auf Überwindung der Krise der Linken

von Gerhard Feldbauer, 7. September 2011


Nach der traditionellen Arbeiterlosung: 'Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will', demonstrierte das arbeitende Italien am Dienstag mit einem machtvollen 8stündigen Generalstreik seine ungebrochene Kampfkraft gegen den verschärften Ausbeuterkurs des faschistoiden Berlusconi-Regime. In Rom demonstrierten etwa Einhunderttausend unter einem Meer von roten Fahnen, viele mit den Symbolen der Kommunisten Hammer und Sichel. In weiteren über Einhundert Städten und unzähligen Gemeinden gingen die Teilnehmerzahlen zusammen über die Millionengrenze. Arbeiter, Lehrer der Hoch- und der allgemeinbildenden Schulen, Schüler und Studenten, Ingenieure, Bürgermeister, Staatsbedienstete, Mitarbeiter von Verkehrsbetrieben und weiteren Branchen, unter ihnen zahlreiche Frauen und Jugendliche legten die Arbeit nieder und gingen auf die Strasse. Die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, dass der von der CGIL ausgerufene Streik alle Sektoren der Wirtschaft, Transport und Verkehr, die Autobahnen, öffentliche Dienste, Post und Banken erfasste. Auf den Flughäfen der Hauptstadt mussten über 200 Flüge gestrichen werden.


69 Prozent Italiener gegen Sparpaket

Umfragen am Vorabend des Ausstandes besagten, dass 69 Prozent der Italiener das Sparpaket ablehnen, Berlusconi mit 22 Prozent den Tiefstwert seiner "Beliebtheit" erreichte und bei Neuwahlen 47 Prozent auf eine Mitte Links-Koalition entfielen, während die Berlusconi-Koalition auf noch ganze 27 Prozent käme. Die CGIL-Vorsitzende Susanna Camussi führte in Rom den Demonstrationszug an, der vor dem Kolosseum mit einer Kundgebung abschloss. Immer wieder von Beifall unterbrochen, rief sie aus, dass mit dem Generalstreik zum Gegenangriff übergegangen werde. Die Notverordnungen des Sparpakets nannte sie eine Ungerechtigkeit ohnegleichen und verfassungswidrig. Sie kündigte an, dagegen vor dem Obersten Verfassungsgericht zu klagen. Es gehe um das Schicksal des Landes, um Wachstum, Beschäftigung und Entwicklung. Scharf wies die CGIL-Chefin die Meinung des Führers der CISL, Raffaele Bonani, zurück, der Generalstreik sei "ein Wahnsinn" und betonte, der Streik sei seit jeher ein Kampfmittel zur Verteidigung und Verbesserung der Rechte der Arbeiter. Entgegen der Ablehnung ihrer Führungen beteiligte sich jedoch die Basis der CISL und UIL sehr zahlreich an dem Generalstreik und den Manifestationen.

Losungen und Sprechchöre prangerten den ungeheuerlichen neuen Sozialabbau an, die Misere im Bildungswesen, dass die Jugend ihrem Schicksal überlassen wird, die katastrophale Situation in den Gesundheitseinrichtungen, die Angriffe gegen den Antifaschismus und den Zerfall elementarer Werte bürgerlicher Demokratie und forderten, dem entschieden Einhalt zu gebieten. Andere verwiesen auf das ungeheuere Elend, in dem die Menschen im Süden dahinvegetieren müssen, während die Reichen prassen und die Mafia das öffentliche Leben beherrscht. Die Teilnehmer konnten per SMS die Streikleitung anrufen und ihren Protest und ihre Solidarität übermitteln. Der Regierungschef wurde als Steuerbetrüger angeprangert, der sich aus dem Staatssäckel in die eigenen Taschen scheffelt, andere Forderungen lauteten "Berlusconi vai via (hau ab)" oder "Schluss mit der Mediendiktatur". Dazwischen "Nein zu Entlassungen", "Hände weg vom Artikel 8" (Kündigungsschutz), "Verteidigt die Tarifverträge" und "bezahlen sollen die, die bisher nichts bezahlt haben". Losungen wanden sich auch gegen die Streichungen für die Kommunen. Das sind Ausgaben "für unser tägliches Leben", hieß es. Die antifaschistischen und Partisanenverbände warnten vor der faschistischen und rassistischen Gefahr, die unter dem Berlusconi-Regime erschreckend angewachsen ist. Nicht nur in ihren Reihen erklang das legendäre Partisanenlied "Bella Ciao".


Linkspartei bezieht Klassenkampfpositionen

Mitten im Zug der CGIL und auch an der Spitze waren führende Vertreter der Parteien von Mitte Links zu sehen, darunter Oliviero Diliberto (PdCI und Linksfederazione), Nichola Vendola von der Linkspartei, Angelo Bonelli, Grüne, Luigi Bersani (Demokratische Partei), aber auch der bekannte frühere Korruptionsermittler Antonio Di Pietro, Chef der Partei Italien der Werte (IdV). Selbst der Vorsitzende der konservativen katholischen Oppositionspartei Union Demokratischer Christen (UDC), Pierferdinando Cassini, bekundete Verständnis für den Ausstand, den Berlusconi provoziert habe. PRC-Sekretär Paolo Ferrero, der in der FIAT-Metropole Turin sprach, rief zur Einheit der Linken auf, um mit der Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter und Rentner, während die Reichen verschont werden, Schluss zu machen.

Eine positive Wende vollzog Luigi Bersani, der sich gegen den Generalstreik ausgesprochen hatte, nun aber erklärte, dass der Streikaufruf der CGIL bei großen Teilen der DP Widerhall gefunden habe. Sein Parteifreund, der Parlamentarier Cesare Damiano, betonte, "die Linke muss sich von der Kultur und Logik des subalternen Liberalismus befreien" und zur Einheit finden. Mario Morcone vom DP-Vorstand, appellierte ebenfalls, die Meinungsverschiedenheiten beiseite zu lassen und gemeinsam zu handeln. Di Pietro rief auf, nicht auf das Parlament zu setzen, sondern Berlusconi "auf der Strasse, auf Hunderten und Tausenden Plätzen davonzujagen". Nach seinem Sturz lehnte er eine Übergangsregierung ab und forderte sofort Neuwahlen.

Der Ausstand und die Kundgebungen vermittelten die Hoffnung, dass das arbeitende Italien und seine Linke dabei sind, ihre Krise zu überwinden und zu alter Kampfkraft zurückfinden, was Voraussetzung ist, wieder Einfluss auf die einst traditionell zur Linken tendierende Mitte Italiens zu nehmen. "Wir brauchen eine außerordentliche Mobilisierung und eine Antwort, die sich nicht auf den Generalstreik beschränken kann", erklärte der Vorsitzende der FIOM in der CGIL. Maurizio Landini, der in Palermo sprach. "Nach Berlusconi müsse es "eine echte Alternative" geben, die auf "einem Programm konkreter Veränderungen" basiere. "Deshalb müssen wir uns die Strassen und Plätze zurückerobern."


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2011