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EUROPA/718: Italiens Kommunisten in Not (Gerhard Feldbauer)


Italiens Kommunisten in Not

Der frühere PRC-Sekretär Fausto Bertinotti unternimmt
den zweiten Versuch, die KP zu liquidieren

Von Gerhard Feldbauer, März 2009


Fausto Bertinotti war nicht, wie in letzter Zeit wiederholt behauptet, Gründer der Rifondazione Comunista (PRC). Armando Cossutta, das frühere Politbüromitglied der IKP war es, der auf dem Umwandlungskongress der IKP in die sozialdemokratische Linkspartei (PDS) am 3. Februar 1991 mit zirka 90 Delegierten (etwa ein Drittel), die sich der Auflösung der Partei widersetzten, zur Sammlung für eine Neugründung aufrief. Bertinotti verblieb zunächst im PDS, wechselte 1993 zum PRC und wurde 1994 dessen Sekretär. Unter der 2006 gebildeten Mitte-Links-Regierung, an der die Kommunisten sich beteiligten, wurde er zum Parlamentspräsidenten gewählt und legte den Parteivorsitz nieder.

Der PRC versäumte nach 1991, sich mit dem opportunistischen Erbe der IKP auseinander zu setzen. Die ungelösten Fragen führten 2002 auf dem 5. Parteitag dazu, dass sich die Partei in der Substanz vom Marxismus-Leninismus lossagte und auf die führende Rolle der Arbeiterklasse verzichtete. Selbst Gramsci wurde als Theoretiker der Hegemonie der Arbeiterklasse auf nur noch historische Aspekte reduziert. Die kommunistische Strömung "Ernesto" kündigte "strategischen Dissens" an. Es begann, von der Parteibasis lange Zeit kaum wahrgenommen, sich eine starke revisionistische Strömung herauszubilden, deren herausragender Vertreter Bertinotti wurde.

Noch in jüngster Zeit trieb dieser Opportunismus schlimmste antikommunistische Blüten. Die neue Mitgliedskarte des Kommunistischen Jugendverbandes zeigt ein Bild vom Fall der Berliner Mauer, zu dem die Parteizeitung "Liberazione" schrieb: Er habe "auch uns Kommunisten befreit". Dann wurde der Sieg der Konterrevolution, unter anderem in der DDR, begrüßt, die Befreiung von der "Tyrannei der Einheitsparteien, der Staatsgewerkschaften, der Prawda, der Bürokratie und der Stasi" gefeiert (18. Dez.). Das offenbarte, dass der PRC unter Bertinotti sich nie mit den Ursachen der Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 auseinander setzte, keine Analyse der Komplexität des Sozialismus in seiner historischen Rolle, zum Beispiel als Friedensfaktor, seiner Erfolge und Stärken, seiner Schwächen und Defizite erfolgte. Domenico Losurdo schätzte ein, Bertinotti war "nie Kommunist", habe zur kommunistischen Bewegung "nie eine ausbalancierte Bewertung vorgenommen", unternehme nach der Auflösung der IKP 1991 jetzt "den zweiten Versuch, die Kommunistische Partei abzuschaffen" (jW 19./20. April 2008).

Aufschluss darüber gibt ein Buch: "Fausto Bertinotti: Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten", Dietz-Verlag Berlin 2008. Es enthält Interviews, die Bertinotti von 2002 bis 2005 der staatlichen Rundfunk- und Fernsehgesellschaft RAI gewährte. Er spricht soziale und politische Themen an und entwickelt seine Vision von einer künftigen Welt, die er links und pluralistisch definiert. Die Antworten sind verschwommen. Auf die von der Berlusconi-Regierung ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren geht Bertinotti nicht ein, erwähnt weder die Rolle seiner Partei noch legt er ein Bekenntnis zum Kommunismus oder wenigstens zur sozialistischen Perspektive ab (siehe meine Rez. in ND 16. Okt. 2008). Auf dem PRC-Parteitag 2005 hatte er, um die Zustimmung zur heftig umstrittenen Regierungsbeteiligung zu erhalten, noch von einer revolutionären Linken gesprochen, welche den Kampf gegen die sozial- und demokratiefeindlichen Gesetze der Berlusconi-Regierung aufnehmen und diese rückgängig machen sollte. Als Parlamentspräsident, setzte er dagegen 2007 für die Prodi-Regierung die parlamentarische Unterstützung des PRC für den italienischen Kriegseinsatz in Afghanistan durch. Es war der Verlust jeder politischen Glaubwürdigkeit. Im anschließenden Wahlkampf betrieb er die Gründung einer indifferenten Linkspartei, in welcher der PRC als lose Strömung aufgehen sollte. Als Modell sah er das zur Wahl gebildete Regenbogenbündnis von Kommunisten, Linksdemokraten und Grünen, dem bekanntlich drei Viertel der früheren Wähler (das waren vor allem Kommunisten) ihre Stimme versagten.


Opportunismus spaltet und nützt dem Klassenfeind

Auf dem PRC-Parteitag im Juli 2008 erlitt die revisionistische Fraktion unter dem von Bertinotti favorisierten Präsidenten der Region (Land) Apulien, Nicola Vendola, bei der Wahl des neuen Parteichefs eine Niederlage, Es formierte sich eine antirevisionistische Gruppierung, die mit knapper Mehrheit den früheren Turiner Stahlarbeiter und Mitbegründer des PRC, Paolo Ferrero, zum neuen Sekretär wählte (Siehe "Vor der Bewährungsprobe", jW 6. Aug. 2008). Nach dem Parteitag versuchten Bertinotti/Vendola über die Einberufung eines Sonderparteitages zur Beratung einer gemeinsamen linken Kandidatur für die EU-Wahlen, erneut ihre Konzeption, auf diesem Weg ihre Linkspartei zu schaffen, durchzusetzen (UZ, 12. Febr. 2008). Die PRC-Leitung folgte jedoch Ferrero, lehnte einen Sonderparteitag ab und verwies darauf, dass der Kongress im Juli 2008 beschloss, dass der PRC zur EU-Wahl auf einer eigenen Liste und unter seinem Parteisymbol Hammer und Sichel antritt. Nach ihrem Scheitern verließen Bertinotti/Vendola den PRC und kündigten an, auf einem Kongress im Juli 2009 ihre neue Partei "Die Linke" zu gründen.

Der PRC steht vor kaum vorstellbaren Schwierigkeiten. Es existieren heute vier kommunistischen Parteien, darunter die Kommunistische Arbeiterpartei (Partito Comunista dei Lavoratori, - PCL) und die Kritische Linke (Sinistra Critica - SC), die sich aus rund 10.000 Mitgliedern formierten, welche den PRC aus Protest gegen die Beteiligung an der bürgerlichen Regierung unter Romano Prodi 2006 verließen. Sie traten 2008 allein zur Parlamentswahl an und erreichten 0.5 bzw. 0,4 Prozent, das waren zirka 300.000 Wähler, die dem PRC fehlten, um die Regenbogenlinke über die Vier Prozent-Hürde zu bringen. Im PRC selbst bestehen neben Ferreros eigener Mehrheitsfraktion die Gruppen "Ernesto", "Essere Comunisti" und die kleine trotzkistisch beeinflusste "Falce e Martello".

Der PRC steht vor der wichtigsten politisch-ideologischen Aufgabe, seine kommunistische Identität zu stärken und zur Basis einer Sammlungsbewegung der verschiedenen kommunistischen Kräfte zu Herstellung ihrer Einheit zu werden, wozu mehr als hundert kommunistische Persönlichkeiten, unter ihnen der führende kommunistische Philosoph und Mitglied von "Ernesto", Domenico Losurdo, aufgerufen haben. Viel wird davon abhängen, ob die "Ernesto"-Gruppe an Einfluss gewinnt. Sie vertrat auf dem Parteitag acht Prozent der Delegierten, aber ihr Einfluss an der Basis ist bedeutend höher. Dann geht es darum, offensiv die Auseinandersetzung mit dem Opportunismus zu führen und die Basis für die Verwirklichung des vom Parteitag beschlossenen linken und in seinen wesentlichen Aussagen revolutionären Programms zu mobilisieren, dazu die Fragen des sozialen und antifaschistischen Kampfes in den Mittelpunkt zu stellen. Massendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern, ein Generalstreik und zahlreiche weitere Arbeitsniederlegungen in den vergangenen Monaten waren hoffnungsvolle Zeichen dafür, dass dieser Weg eingeschlagen wird und, wie Ferrero erklärte, "mit dem Rückzug Schluss sei" und man "zum Angriff übergehe" (UZ, 24. Okt. 2008). Nur so können die Bedingungen geschaffen werden, den von der rechtsextremen Regierung Berlusconi ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren Einhalt zu gebieten und die Herrschaft des Mediendiktators zu beenden.


Das jüngste Buch von Gerhard Feldbauer "Geschichte Italiens vom Risorgimento bis heute", Papyrossa Köln 2008, gibt eine zutreffende Prognose über den Weg Italiens und der Rolle seiner Kommunisten.


Erstveröffentlicht in Berliner Anstoß - Ausgabe März 2009
Monatszeitung der Landesorganisation Berlin der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
siehe auch weitere Artikel von Gerhard Feldbauer zum Thema unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Ausland -> Europa


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Quelle:
Gerhard Feldbauer
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion Berliner Anstoß


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2009