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EUROPA/817: Portugal - Sofort die Schulden neu verhandeln! (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 3 vom 20. Januar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Sofort die Schulden neu verhandeln!
Gespräch mit Agostinho Lopes, Abgeordneter im portugiesischen Parlament

Interview von Bernd Redlich


UZ: Die Proteste gegen die Kürzungspolitik der Herrschenden in Portugal halten an. Was sind die konkreten Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen auf die Lebenslage der arbeitenden Menschen?

Agostinho Lopes: Am meisten betroffen sind die Schichten der Arbeiterklasse, sozusagen die Arbeiterklasse im Plural: Die, die noch Arbeit haben und die Arbeitslosen, die Rentner und die Pensionäre. Von den Arbeiterinnen und Arbeitern sind die im öffentlichen Dienst am härtesten betroffen, etwa 700.000 Lohnabhängige. Also alle, die in staatlichen und kommunalen Verwaltungen, im Bildungswesen, im Gesundheitssystem, in den öffentlichen Verkehrsbetrieben. Den Preis der Ware Arbeitskraft zu drücken ist das einzige Kriterium der Maßnahmen.

UZ: Also Lohnkürzungen, Steuer- und Preiserhöhungen?

Agostinho Lopes: Die Gehälter werden gekürzt. Unbezahlte Überstunden werden verlangt. Und es gibt viele Maßnahmen, die die Rechte der Arbeitenden beschneiden, zum Beispiel Streichung des Kündigungsschutzes. Man kann einfach die Leute entlassen. Die Arbeitsbedingungen sind prekär geworden, es wurde schon ein neues Prekariat geschaffen, wo du keinen richtigen Arbeitsvertrag hast. Dadurch wird auch der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gesenkt.

Das ist eine Ansammlung von Maßnahmen, die alle Arbeiter, alle Lohnabhängigen treffen. Der Faktor Arbeit wird entwertet und die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit schon sehr hoch ist, schwächt dessen Position noch weiter.

UZ: Wie hoch ist die Arbeitslosenrate?

Agostinho Lopes: Sie liegt aktuell bei 13 Prozent und wächst täglich. Gleichzeitig soll die Regelarbeitszeit verlängert werden, einige Feiertage wurden gestrichen, alles ohne Lohnausgleich. Wenn das weiter durchgezogen wird, bedeutet es, dass die Lohnabhängigen in Zukunft einen Monat im Jahr umsonst arbeiten. Sehr stark wurden die Renten beschnitten. Nur bei den sehr geringen Renten haben sie nichts gekürzt. Das sind aber Renten, von denen man ohnehin nicht leben kann. Alles andere ist im Sturzflug.

UZ: Es gibt auch Steuererhöhungen und Preiserhöhungen bei Lebensmitteln, was ja auch besonders die Arbeiterklasse trifft.

Agostinho Lopes: Das geht sogar über die Arbeiterklasse hinaus. Diese Maßnahmen treffen heute auch schon die Mittelschichten sowie Teile der Intelligenz, aber auch die kleinen Unternehmer. Alles, was wir die nichtmonopolistischen Klassen nennen. Dazu kommt noch die Verteuerung im Gesundheitswesen, das ist besonders schlimm und erschwerend für die Leute mit kleinen Einkommen. Sie müssen jetzt für Behandlungen und Medikamente bezahlen. Stark gestiegen sind die Preise für Wasser und Strom. Bei Strom macht die Steigerung über 20 Prozent aus. Die Mehrwertsteuer ist jetzt auf 23 Prozent gestiegen, das soll eine Milliarde mehr Steuereinnahmen einbringen.

UZ: Wie weit sind die jungen Menschen, die arbeitende und lernende Jugend betroffen? Wie hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit?

Agostinho Lopes: Es ist katastrophal. Insbesondere wegen der Arbeitslosigkeit. Mehr als 20 Prozent der jungen Leute sind arbeitslos, viele davon mit einer sehr hohen Qualifikation. Mehrere Minister haben der portugiesischen Jugend empfohlen den Ausweg in der Emigration zu suchen. So weit ist selbst der Diktator Salazar nicht gegangen: Ein Land, das seine Jugend nicht mehr haben will!

UZ: Welche neben der Kommunistischen Partei organisieren denn den Widerstand?

Agostinho Lopes: Mit Sicherheit ist die Partei die Hauptkraft des Widerstandes. Daneben ist es die Gewerkschaft Intersindical.

UZ: Aber doch sicher auch andere Organisationen? Solche der Frauenbewegung etwa oder Jugend- und Studentenorganisationen?

Agostinho Lopes: Es gibt Jugendorganisationen, die sind mit der Intersindical verbunden. Andere mit der Studentenbewegung. Und in der Krise hat sich entwickelt, was wir in Portugal die "Bewegung der Kunden" nennen, der Nutzer öffentlicher Dienste, der Patienten, der Autobahnnutzer, die sich gegen die Mauterhöhung wehren.

UZ: Die Kirche hat in Portugal unter der Diktatur eine sehr reaktionäre Rolle gespielt. Wie verhält sie sich jetzt?

Agostinho Lopes: Das ist sehr unterschiedlich. Die Kirche hat ein Problem, weil sie auch in Kontakt mit Arbeitern ist und sich diesen Problemen nicht verschließen kann. Die Kirche empört sich, es gelingt ihr aber nicht, sich von der Macht zu lösen und vom System zu trennen. Du findest viele Stimmen, die individuell sehr Richtiges sagen, und es gibt sogar radikale Positionen von Bischöfen, die die Frage stellen, wieso müssen die Armen die Krise bezahlen? Sie akzeptieren die Losungen nicht, die von der EU und von der Regierung kommen. Sie versuchen auch, den Armen zu helfen, aber ohne sich offiziell insgesamt von dem System richtig zu lösen.

UZ: Welche Nahziele hat der Protest, die Bewegung, die auf kurze Sicht die Lebenslage verbessern könnte?

Agostinho Lopes: Was schon längst hätte angegangen werden müssen, ist die Neuverhandlung der Staatsschulden. Wir sind der Meinung, dass das sofort geschehen muss. Und wir haben das Nahziel der Auflösung der Wirtschafts- und Währungsunion für die ganze Europäische Union.

UZ: Heißt das: Raus aus dem Euro?

Agostinho Lopes: Raus aus dem Euro und auch aus der Wirtschaftsunion und Schaffung einer Alternative für Länder wie Portugal und andere, die nicht die Bedingungen haben, in der Eurozone zu bleiben. Man hat uns unsere Industrie, unsere Produktion weggenommen, wir stehen mit leeren Händen da, dafür verlangen wir eine Entschädigung.

UZ: In manchen Ländern, so haben wir gesehen, führt der langfristige Kampf zu Resignationserscheinungen. Wie ist es damit in Portugal? Wächst der Widerstand noch? Wie wirkt sich das bei Wahlen aus?

Agostinho Lopes: Die Maßnahmen laufen erst seit Kurzem, auf dem Wahlzettel hat sich das noch nicht bemerkbar gemacht. Die Kürzungen sind so brutal, dass viele Leute desorientiert sind, sie wissen noch nicht, wie sie reagieren sollen. Die Massenmedien fördern eine resignierte Haltung. Aber objektiv gibt es auch eine Zunahme des Protestes, das zeigen das großartige Beispiel der Demonstrationen in Porto und Lissabon im Oktober mit 200.000 Menschen und der große Generalstreik im November. Die Eisenbahner haben gestreikt, jetzt streiken die Hafenarbeiter seit fünf Tagen. Trotz der Gefahr der Resignation wird der Widerstand stärker.


Agostinho Lopes ist Mitglied des Zentralkomitees und der Parlamentsfraktion der Portugiesischen Kommunistischen Partei.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 3 vom 20. Januar 2012, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2012