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FRAGEN/014: Mexiko - Nähe zu Südamerika suchen, Cuauhtémoc Cárdenas im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2013

Mexiko: Nähe zu Südamerika suchen - Cuauhtémoc Cárdenas im Interview

von Pablo Piacentini


Bild: © Claudia Diez de Medina/IPS

Cuauhtémoc Cárdenas
Bild: © Claudia Diez de Medina/IPS

Rom, 16. Oktober (IPS) - Nach Ansicht von Cuauhtémoc Cárdenas, der moralischen Instanz der mexikanischen Linken, ist sein Land viel zu sehr auf den Norden fixiert. Um sich neue Entwicklungsmöglichkeiten zu erschließen, sollte Mexiko in dieser Frage umdenken und sich Südamerika und dessen Integrationsprozessen anschließen.

"Wir müssen uns vom Norden unabhängig machen", meinte Cárdenas, der Gründer und Vorsitzende der mexikanischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) sowie ein früherer Senator und ehemaliger Bürgermeister von Mexiko-Stadt.

Der Sohn von Lázaro Cárdenas, dem revolutionären General und mexikanischen Präsidenten (1934-1940), der 1938 die Erdölindustrie nationalisierte, hat kürzlich bei einem Besuch in Rom davor gewarnt, die staatlichen Energieversorger für ausländisches Kapital zu öffnen, wie dies der mexikanische Staatspräsident Enrique Peña Nieto vorgeschlagen hat. Es folgen Auszüge aus dem Gespräch.

IPS: Bei den Wahlen im Juni letzten Jahres hat die PRD den zweiten Platz belegt. Sie unterlag mit nur wenigen Prozentpunkten der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) und könnte sich bei den nächsten Wahlen als politische Alternative herausstellen (...)

Cuauhtémoc Cárdenas: Solange die PRD ihre internen Streitigkeiten nicht beilegt und ihren Führungsstil nicht ändert, sehe ich keine Chance für eine politische Mehrheit und Machtübernahme.

Meiner Meinung nach muss sie viel stärker in den Landesteilen aktiv werden, in denen die Wahlbeteiligung schwach ist. Sie muss sich öffnen und ihr sektiererisches Handeln aufgeben. Andernfalls sehe ich keine Möglichkeiten, dass sich die PRD erholt und auf nationaler Ebene eine Alternative darstellt.

IPS: In Südamerika sind mehrheitlich linke oder Mitte-Links-Parteien wie die PRD an der Macht. Würde Ihre Partei siegen, hätten wir vom Río Grande bis Feuerland ähnlich denkende Präsidenten. Welche Folgen hätte dies für das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen Mexiko, den USA und Kanada?

Cárdenas: NAFTA hat die Exporte gesteigert, wovon vor allem die Industriebranchen im Norden Mexikos profitiert haben. Andererseits löste es in einigen Sparten eine Deindustrialisierung aus. Es hat den kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie der Landwirtschaft schwer geschadet. Um ihre Produktivität wiederherzustellen, bedarf es konkreter Anstrengungen.

NAFTA sollte einen Anhang bekommen, in dem solche Instrumentarien aufgenommen werden, wie sie in Europa zu Beginn des Integrationsprozesses geschaffen wurden. Dazu gehören ein Struktur- und ein Entschädigungsfonds, um die Asymmetrien zwischen den unterschiedlichen nationalen Ökonomien auszugleichen, die sich zwischen USA und Kanada einerseits und Mexiko andererseits auftun.

Ein sehr wichtiger Aspekt ist zudem die Mobilität der Arbeitnehmer. Wenn es den freien Güterverkehr zwischen den drei Ländern gibt, sollten auch Beschäftigte und andere Personen das Recht haben, sich über die Grenzen hinweg frei bewegen zu dürfen.

IPS: Sollte Mexiko engere Bande zu Südamerika knüpfen?

Cárdenas: Mexiko hat sich weit von Südamerika entfernt, das uns aus unterschiedlichen Gründen als einen Teil des Nordens betrachtet. Und es ist der Eindruck entstanden, dass wir nicht gewillt sind, uns in die südamerikanischen Integrationsprozesse einzufügen.

Damit sich Mexiko auch andere Entwicklungsmöglichkeiten erschließen kann, braucht es die Nähe zu den südamerikanischen Ländern, sei es über die Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC), die sich noch immer selbst redefinieren muss, sei es durch die Union südamerikanischer Staaten (UNASUR), auch wenn in diesem Fall nur zwölf südamerikanische Länder involviert sind.

Wir müssen uns um eine Integration mit dem Süden bemühen und auch Zentralamerika davon überzeugen, sich dem Süden stärker anzunähern, das noch sehr stark auf den Norden fixiert ist.

Wir sollten uns darüber hinaus stärker im MERCOSUR (Gemeinsamer Markt des Südens aus Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela) engagieren, dem Mexiko als Beobachter angehört, denn wir wissen, dass sich gerade die großen Wirtschaftsblöcke am besten in den Globalisierungsprozess einfügen. Mexiko sollte sich angesichts seiner Abhängigkeit vom Norden nicht nur auf diesen konzentrieren.

IPS: Wie sollten die USA Ihrer Meinung nach mit dem Problem der mexikanischen Einwanderung umgehen?

Cárdenas: Der US-amerikanische Staat und seine Bürger sollten den wertvollen Beitrag anerkennen, den die Migranten leisten und ohne den die USA gar nicht funktionieren würden. Anerkennung muss nicht Staatsbürgerschaft oder politische Rechte bedeuten, wie sie US-Amerikaner genießen, wohl aber Arbeits- und zivile Rechte.

IPS: Präsident Peña Nieto hat kürzlich vorgeschlagen, die staatliche Ölindustrie für Privatkapital zu öffnen. Würden Sie einen solchen Schritt befürworten?

Cárdenas: Die Regierung hat vorgeschlagen, Artikel 27 und 28 der Verfassung zu reformieren. Dies würde dazu führen, dass 'Petróleos Mexicanos' (Pemex) und die Bundeselektrizitätskommission - die wichtigsten Energieorgane des Landes - ihren Status als strategische Sektoren verlören.

Eine solche Entscheidung wäre ein folgenschwerer Schritt. Denn sollten diese Artikel aus der Verfassung gestrichen werden, würden Strom und Öl automatisch den NAFTA-Bestimmungen unterworfen und wir sähen uns über Nacht mit einem ungezügelten Wettbewerb in der Ölindustrie konfrontiert.

Soweit ich das beurteilen kann, halten alle Länder, egal wie sehr sie diese Sektoren öffnen, an Regulierungen fest. Und in einem solchen Fall, vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet, wären diese Regulierungsmöglichkeiten nicht mehr gegeben. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2013/10/mexico-y-el-redescubrimiento-de-america-del-sur/

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IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2013