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FRAGEN/008: "Das Wort Völkermord macht die Deutschen nervös" (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April/Mai 2013

"Das Wort Völkermord macht die Deutschen nervös"

Ein Gespräch mit dem namibischen Oppositionsabgeordneten Anton von Wietersheim.
Er besuchte Ende März als Mitglied einer namibischen Parlamentarierdelegation Berlin. Mit ihm sprach Rolf-Henning Hintze.



Rolf-Henning Hintze: In welchen Bereichen wünschen Sie sich eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Namibia und Deutschland?

Anton von Wietersheim: Als allererstes haben wir den Wunsch, dass auch hier in der Bundesrepublik eine namibisch-deutsche Parlamentarierfreundschaftsgruppe entsteht. Auf dieser Ebene möchten wir mit unseren Partnern alle Bereiche besprechen, die Namibia und Deutschland betreffen. In diesem speziellen Fall gibt es natürlich bestimmte Themen, die wir auch jetzt angesprochen haben, den Völkermord von 1904 und eine Wiedergutmachung ebenso wie die weitere Rückführung von menschlichen Totenschädeln oder auch anderen Gegenständen, speziell das ursprüngliche Kreuz, das der portugiesische Seefahrer Diego Cao an der Stelle des heutigen Cape Cross aufgebaut hat.

Aber es gab auch andere Themen wie z.B. die Sonderinitiative, die ja in gewisser Weise anerkennt, dass es betroffene Volksgruppen in Namibia gibt, vor allem die Herero, die Nama, die Damara und die San, die während der Kolonialzeit durch den Völkermord betroffen waren und die durch die Sonderinitiative eine Unterstützung bekommen sollen. Wir haben aber auch andere Entwicklungsprogramme angesprochen.

Rolf-Henning Hintze: Aber an der Sonderinitiative gibt es in Namibia doch viel Kritik?

Anton von Wietersheim: Weniger an der Sonderinitiative selbst als an der Tatsache, dass sie in gewisser Weise als Wiedergutmachungsinitiative von Seiten Deutschlands angeboten wurde, ohne wirklich konsequent zu sagen, dass es um eine Wiedergutmachung geht. Das ist ein Bereich, den wir hier angesprochen haben. Uns als parlamentarischer Freundschaftsgruppe ging es bei diesem Besuch vor allen Dingen darum, die Beziehungen, die ein wenig ins Stocken geraten sind, wieder flüssig zu machen und dabei zu versuchen, die Anerkennung der geschichtlichen Tatsachen und eine Wiedergutmachung zu erreichen, ohne notwendigerweise auf der Terminologie zu bestehen, die eben die deutsche Regierung so nervös macht. Ich meine die Worte Völkermord und Reparationen.

Rolf-Henning Hintze: Haben Sie da bei den deutschen Parteien unterschiedliche Beobachtungen gemacht?

Anton von Wietersheim: Klar, wir wissen ja, dass es einige Parteien gibt, die diese Terminologie gebrauchen, auch in den Debatten im Bundestag, und es gibt andere Parteien, die diese Terminologie nicht verwenden. Uns geht es darum, Resultate zu erzielen, weniger um eine Einigung auf eine Terminologie, um möglichst eine Wiedergutmachung im Sinne der betroffenen Gemeinschaften zu erreichen.

Rolf-Henning Hintze: Es gibt große Klagen bei den Nama, dort ist wohl extrem wenig angekommen.

Anton von Wietersheim: Wir haben viele Klagen über die Sonderinitiative bekommen. Was die Nama speziell betrifft, kann ich das jetzt nicht bestätigen, aber es gab einige Bereiche der Sonderinitiative, wo die Bevölkerung, die Empfänger, nicht zufrieden waren. Dies haben wir angesprochen. Wir brauchen eine Evaluierung, um die Sache zu verbessern. Man ist anfangs mit der Sonderinitiative nicht zurechtgekommen. Ich denke, dass Namibia mindestens so viel dazu beigetragen hat wie vielleicht irgendjemand anders. Aber das ist inzwischen zum großen Teil geklärt. Wir werden jetzt das vorgesehene Programm zuende laufen lassen, und dann muss man aus den Fehlern lernen und sehen, was es zu verbessern gibt.

Rolf-Henning Hintze: Sie haben in Berlin ein ziemlich volles Programm mit vielen Gesprächen gehabt. Gibt es für Sie einige neue Erkenntnisse?

Anton von Wietersheim: Ich denke, dass wir mit unserer Art der Herangehensweise an das Thema auf eine sehr offene Haltung von allen Parteien gestoßen sind. Im Vergleich zu vor einem Jahr stelle ich einen deutlichen Sinneswandel fest, vielleicht, weil wir eben nicht auf der Terminologie bestehen. Mancher schätzt die Dinge nun anders ein als zuvor. Das Gespräch im Auswärtigen Amt hat uns sehr positiv überrascht. Dabei ging es vor allem um die Rückführung weiterer Schädel. Es wurden Fehler eingeräumt, und eine solche Situation solle sich auf keinen Fall wiederholen. Der Prozess soll weitergehen, wurde uns zugesichert.

Rolf-Henning Hintze: Im nächsten Jahr stehen in Namibia Präsidentschaftswahlen an, die zweite Amtszeit von Präsident Pohamba nähert sich allmählich dem Ende. Wie beurteilen Sie seine bisherige Präsidentschaft? Hat sie das Land vorangebracht?

Anton von Wietersheim: Pohamba macht den Eindruck, als wollte er noch einige Zeichen setzen. Vor acht Jahren, als er anfing, haben wir große Hoffnungen in seine Präsidentschaft gesetzt, weil er deutliche Aussagen gemacht hat z.B. zur Bekämpfung der Korruption und die Effizienz des Staatsapparates. Heute bin ich sehr enttäuscht von dem, was er dann durchgesetzt hat.

In der Bestätigung Hage Geingobs als Swapo-Vizepräsident und somit voraussichtlich nächster Präsidentschaftskandidat sehe ich eine Wende in der Politik der Regierungspartei. Es gab ja dann auch eine deutliche Kabinettsumbildung, und diese lässt hoffen, dass vielleicht doch noch ein ernster Versuch unternommen werden wird, bestimmte Dinge ein wenig zu straffen.

Rolf-Henning Hintze: Konkret nachgefragt: Namibia ist ja praktisch Weltmeister bei der Ungleichverteilung der Einkommen, hat sich unter Pohamba da etwas verbessert?

Anton von Wietersheim: Nein. Leider muss man sagen, dass die Entwicklungen in vielen Bereichen - Gesundheit, Bildung, das große Armutsgefälle -, da hat sich im Grunde nichts wesentlich verändert. Das ist Pohambas Erbe, er wird auch nicht so schnell etwas daran ändern können. Ich habe selbst vor einigen Wochen im Parlament Namibia als das Land der Nichtumsetzung bezeichnet, weil es so viele Ankündigungen von Dingen gab, die gemacht werden sollen, und es passiert einfach nichts.

Rolf-Henning Hintze: In einem Punkt ist es vielleicht gut, dass nichts passiert ist: Namibia hat bisher nicht dem Druck der Europäischen Union nachgegeben und nicht das EPA-Abkommen (Economic Partnership Agreement) unterschrieben. Wie beurteilen Sie das?

Anton von Wietersheim: Auf jeden Fall positiv. Trotz des großen Drucks von Seiten der EU und auch einiger Wirtschaftsbereiche im Lande hat der damalige Wirtschafts- und heutige Premierminister Hage Geingob nicht nachgegeben und wir EPA bis jetzt nicht unterzeichnet.

Rolf-Henning Hintze: Worin sehen Sie die Gefahren?

Anton von Wietersheim: Die Gefahren bestehen in der Öffnung unseres Marktes für multinationale oder jedenfalls große Handelsfirmen, die damit einen Zugang zu unserem Markt bekommen würden und Waren zu Dumpingpreisen auf unseren Markt bringen würden. Vor allem Agrarprodukte, und wir wissen, dass es viele Länder gibt, wo diese Produkte subventioniert werden. Bei uns in Namibia gibt es keinerlei Subventionen für Agrarprodukte, das ist etwas, worauf wir in gewisser Weise stolz sein können.

Rolf-Henning Hintze: Ein wichtiges Thema in Namibia ist die Landreform, können Sie da Fortschritte feststellen? Was ist an dem Vorwurf, dass staatliche Kredite zum Kauf von Farmen vorrangig an Politiker und hohe Beamte vergeben werden, die eigentlich ohnehin privilegiert sind?

Anton von Wietersheim: Als diese Kredite ins Leben gerufen wurden, war ich selber noch für die Swapo im ersten Kabinett der Regierung. Damals gab es die Bestimmung, dass Kredite nicht an gutverdienende Bürger vergeben werden, weil diese sich durch eigenes Einkommen die nötigen Mittel beschaffen können. Das wurde dann geändert. Inzwischen ist es tatsächlich so, dass viele hohe Staatsbeamte und auch politische Amtsträger Zugang zu diesen subventionierten Krediten bekommen. Ich finde das nicht richtig. Was ich allerdings noch viel absurder finde, ist, dass es eine Landumverteilung gibt, wo Land durch den Staat aufgekauft wird und dann unentgeldlich an Wiederansiedler verteilt wird. Solches Farmland ist zum großen Teil an Leute verteilt worden, die in genau dieselbe Kategorie fallen, nämlich Beamte und politische Amtsträger - die Staatssekretärin des verantwortlichen Ministeriums hat eine solche Farm zugeteilt bekommen!

Rolf-Henning Hintze: Nicht nur in Deutschland gibt es dunkle Kapitel der Geschichte. Namibia hat in seiner jüngeren Geschichte auch eines: Die Swapo-Gefängnisse nahe der angolanischen Stadt Lubango, wo angebliche Dissidenten gefoltert und jahrelang gefangen gehalten wurden. Wann wird sich die Regierung dieses Themas annehmen?

Anton von Wietersheim: Das ist eine sehr schwierige Frage, aber ich bin überzeugt, dass dieses Thema die Swapo genauso verfolgen und nicht verschwinden wird wie die historische Verbindung zu Deutschland, also der Völkermord Deutschlands. Von Zeit zu Zeit wird immer wieder ganz deutlich, dass dieses Thema lebt; man kann das nicht unter den Teppich fegen.

Rolf-Henning Hintze: Im Moment gibt es die Situation, dass ehemalige Häftlinge aus den Erdlöchern, in denen sie gefangen gehalten wurden, z.B. sonntags, wenn sie in Windhoek zum Fußball gehen, plötzlich ihren damaligen Folterern gegenüberstehen.

Anton von Wietersheim: Ja, das ist so. Es geht noch weiter, es gibt einige ehemalige Häftlinge im Staatsapparat, wo ich mich manchmal frage, ob sie so ruhig gestellt werden sollten. Einerseits sind diese Menschen vielleicht so groß zu sagen, ich vergesse das, ich will mein Leben weiter führen; aber in der Mehrheit leiden diese Menschen und vor allem auch die Angehörigen und noch mehr die Angehörigen jener, die nicht zurückgekehrt sind. Sie sind bisher einfach nicht befreit worden von dem Stigma, dass diejenigen, die nicht zurückgekehrt sind, auch noch als Spione oder als Verräter bezeichnet werden. Es mag unter ihnen einige Spitzel gegeben haben; die Mehrheit hat diesen Ruf nicht verdient.

Rolf-Henning Hintze: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Betroffenen in etwa?

Anton von Wietersheim: Die Zahl weiß ich nicht, aber es sind nicht Hunderte, sondern es waren Tausende. Von denen sind viele nicht zurückgekehrt.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 2, März/April/Mai 2013, S. 29 - 30
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2013