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LATEINAMERIKA/1266: Brasilien - Polizeigewalt Hindernis für ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. April 2011

Brasilien: Ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat angestrebt - Polizeigewalt als Hindernis

Von Fabíola Ortiz


Rio de Janeiro, 29. April (IPS) - Brasilien muss energischer gegen Menschenrechtsverstöße vorgehen, will sich das südamerikanische Land für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat qualifizieren. Diese Forderung stellte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, nach Gesprächen mit Angehörigen von Opfern von Polizeigewalt in einem Armenviertel des südamerikanischen Landes. Den Zusagen von Präsidentin Dilma Rousseff, den Menschenrechten größere Priorität einzuräumen, müssten nun Taten folgen.

"In Brasilien gibt es eine lange Geschichte der Polizeigewalt. Seit mehr als vier Jahrzehnten beschäftigen wir uns mit diesen Menschenrechtsverletzungen", sagte der Amnesty-Chef. Der Menschenrechtsorganisation zufolge erschießt die Polizei allein in Rio de Janeiro durchschnittlich 1.000 Menschen im Jahr. Vor allem die armen Bewohner der städtischen Slums (Favelas) geraten häufig in den Kugelhagel der Sicherheitskräfte. "Bei den Opfern handelt es sich um Menschen, die keine Stimme haben, die somit weitgehend unsichtbar bleiben und von der Gesellschaft übersehen werden", sagte Shetty nach den Gesprächen in Cidade Alta, einer Favela in Rio de Janeiro.

"Niemand hat das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen", hatte Joelma, eine Tante von Júlio César Menezes Coelho, dem Amnesty-Generalsekretär erzählt. Der 21-Jährige war am 18. September 2010 bei einer Polizeirazzia in Cidade Alta erschossen worden. Der Schmerz über den Verlust des Jungen halte sie am Leben, berichtete die Tante. "Ich werde um Gerechtigkeit kämpfen, bis mich die Kraft verlässt. Und ich kämpfe für alle Mütter, die ihre Kinder verloren haben."

Coelho, der Gastronomie studieren wollte, ist einer von vielen Opfern brasilianischer Polizeigewalt. Andreu Carvalho, der 17-jährige Sohn von Deize da Silva de Carvalho, war am 31. Dezember 2007 verhaftet worden. "Am nächsten Tag erfuhr ich, dass man meinen Sohn zu Tode gefoltert hatte", berichtete die Mutter. "Die Polizei weiß, dass sie nichts zu befürchten hat, wenn sie Verbrechen an armen Schwarzen begeht."

Shetty räumte zwar ein, dass sich die Menschenrechtslage seit dem Ende der letzten Militärdiktatur (1964-1985) erheblich gebessert habe. Dennoch gäben die verbreitete Straffreiheit für gewalttätige Polizisten und die Missstände im brasilianischen Strafvollzug noch genügend Anlass zu Kritik. So lebten 500.000 Menschen in den völlig überfüllten Gefängnissen des Landes, sagte der Chef der Menschenrechtsorganisation, die in Brasilien ein Büro eröffnen wird.


Schießwütigste Polizei Lateinamerikas

Brasilien sei nach wie vor das Land Lateinamerikas, in dem die meisten Übergriffe durch die Polizei geschehen, betonte auch Maurício Campos dos Santos vom Netzwerk der Gemeinden und Bewegungen gegen Gewalt, der das Zusammentreffen Shettys mit den Angehörigen der Opfer von Polizeigewalt organisiert hatte. "Die Familien kämpfen für Gerechtigkeit, und die Treffen mit dem Amnesty-Generalsekretär gaben ihnen die Möglichkeit, ihren Geschichten Gehör zu verschaffen", sagte er. "Die Verbrechen im Ausland bekannt zu machen, bedeutet, ihnen mehr Gewicht zu verleihen."

Amnesty setzt sich in Brasilien auch für die rund 750 Familien ein, die den Infrastrukturprojekten für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 weichen sollen. "Uns geht es nicht darum, die Sport-Events zu verhindern. Was wir verteidigen wollen, ist das Recht auf ein bescheidenes Zuhause", sagte der Priester Luiz António Pereira Lopes, der sich für die bedrohten Menschen einsetzt. "Vertreibungen sind Menschenrechtsverletzungen, ebenso wie die lächerlichen Entschädigungen zwischen 5.000 und 6.400 US-Dollar, die die Behörden zu zahlen gewillt sind."

"Brasilien hat internationale Menschenrechtsabkommen und Konventionen unterzeichnet, die den Menschen ein Recht auf angemessenen Wohnraum garantieren", sagte Shetty, der Brasiliens Präsidentin Rousseff am 28. April zu einer Sitzung des Weltwirtschaftsforums über Lateinamerika in Rio de Janeiro begleitet hatte. "Das Land muss zu seinem Versprechen stehen." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.amnesty.org/en/region/brazil
http://www.weforum.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98069

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011