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LATEINAMERIKA/1271: Kuba unter Reformdruck - Wettlauf gegen die Zeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juni 2011

Kuba: Unter Reformdruck - Wettlauf gegen die Zeit

Von Patricia Grogg


Havanna, 6. Juni (IPS) - Kubas 80-jährigem Staatspräsidenten Raúl Castro läuft die Zeit davon. So steht er vor der Gratwanderung, die Wirtschaft des Landes zu sanieren, ohne den Weg des Sozialismus zu verlassen. Ein schwieriges Unterfangen, zumal sich konservative Kräfte im Lande mit Veränderungen und alternativen Arbeits- und Denkweisen schwer tun.

"Wir müssen auf ihn aufpassen, denn nur er kann die begonnenen Reformen zu Ende bringen", sagte ein politischer Beobachter, der sich Anonymität ausbat. Der Staatschef selbst spricht von einem Wettlauf gegen die Zeit. Er ist nach eigenen Angaben jedoch fest entschlossen, seine "letzte Aufgabe" zu erfüllen.

Am Vorabend seines 80. Geburtstags am 3. Juni hatte Castro den ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011) zu Gesprächen über den Ausbau und die Modernisierung des Hafens von Mariel empfangen. In der rund 45 Kilometer westlich von Havanna gelegenen Stadt sollen künftig auch Schiffe mit einem Tiefgang von 15 Meter festmachen können und "die Türen Kubas zur Welt" noch weiter geöffnet werden, wie es in Medienberichten heißt.

Aus Expertenkreisen ist zu hören, dass Brasilien bereits 300 Millionen Dollar in das strategische Infrastrukturvorhaben investiert hat, das den Ausbau des Straßen- und Schienenverkehrs beinhaltet. Ferner sehen die auf fünf Jahre beraumten Maßnahmen die Sanierung eines polytechnischen Instituts vor, das jungen Leuten das wirtschaftliche Wissen vermittelt, das sie brauchen.

Mariel und der mit umfangreichem chinesischem Kapital geförderte Petrochemiekomplex in der zentralkubanischen Stadt Cienfuegos sind zwei Projekte, deren Gelingen nicht zuletzt vom Erfolg der staatlichen Strukturreformen abhängt. "Ich habe noch zwei Amtsperioden und hoffe wenigstens eine zu Ende zu bringen", witzelte Castro in Anspielung auf eine Initiative des sechsten Parteikongresses der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im April, die den höchsten Staats- und Regierungsvertretern maximal zwei Amtsperioden erlaubt.


Hoher rechtlicher Reformbedarf

Es gebe rechtlich so viel zu regeln, sagte Castro in einer kurzen Stellungnahme gegenüber Journalisten. Aus diesem Grund werde sich Kubas Justizministerin María Esther Reus vollständig auf die Revision alter und Verabschiedung neuer Gesetze konzentrieren.

Castro hatte im Juli 2007 strukturelle und konzeptionelle Veränderungen angekündigt, die die Produktivität Kubas steigern sollen. Obwohl er sich damals auf die Landwirtschaft und die Notwendigkeit bezog, die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten zu drosseln, initiierte der Staatschef damit den Beginn einer landesweiten Debatte über die künftigen Herausforderungen des karibischen Inselstaates und die Mittel und Wege, ihnen angemessen zu begegnen.

Die Ergebnisse der Gespräche, an denen die Bevölkerung aktiv teilnahm, dienten dem letzten PCC-Parteikongress als Basis für den Entwurf neuer Richtlinien. Auch wurden Maßnahmen ergriffen und Resolutionen verabschiedet, um den Wünschen der Kubaner entgegenzukommen. Zudem warten etliche neue Gesetzesentwürfe darauf, in geltendes Recht überführt zu werden.

Nach der Entscheidung, den Hotel- und Mobiltelefonsektor für Kubaner zu öffnen, wurde 2008 ein Dekret zur Vergabe von brachliegendem Land an Privatpersonen erlassen. Es diente dem Ziel, die landwirtschaftliche Produktion anzukurbeln. Von der bislang freigegebenen eine Million Hektar Land werden jedoch erst 70 Prozent landwirtschaftlich genutzt.

Hinzu kommen die Bemühungen des Staates, seine Personalkosten zu verringern. So haben sich im ersten Quartal 2011 rund 300.000 Kubaner, die bisher vom Staat beschäftigt worden waren, selbstständig gemacht. Die Behörden hoffen, dass sie noch mehr Menschen mit Anreizen wie Steuererleichterungen ermutigen können, auf eigene Kappe zu arbeiten.

Wirtschaftswissenschaftler warnen jedoch, dass die 178 Berufe und Aktivitäten, mit denen Kubaner ihr Geld verdienen sollen, Universitätsabgängern keine Perspektiven bieten. Die klugen Köpfe im Lande würden somit nicht für den wirtschaftlichen und technologischen Aufschwung genutzt werden. Hier bestehe ein Nachbesserungsbedarf.


Hoffen auf Kredite

Hohe Erwartungen werden derzeit an eine neue Kreditpolitik geknüpft, die Selbständigen und Agrarproduzenten den Kauf von Arbeitsgerätschaften wie Firmenwagen, Landmaschinen und Düngemittel ermöglicht. Zudem soll es bald möglich sein, dass sich Menschen auch zu nicht-landwirtschaftlichen Kooperativen zusammenschließen.

Im Vorfeld der für den 28. Januar 2012 geplanten Nationalkonferenz forderte Staatpräsident Raúl Castro die PCC-Mitglieder auf, sich im Sinne der wirtschaftlich erforderlichen Veränderungen "von obsoleten Dogmen und Ideen zu verabschieden". (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2011