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LATEINAMERIKA/1420: Argentinien - Indigene kämpfen weiter für Land, Gesetze unzureichend umgesetzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Juli 2013

Argentinien: Indigene kämpfen weiter für Land - Gesetze unzureichend umgesetzt

von Marcela Valente



Buenos Aires, 3. Juli (IPS) - Die Ureinwohner Argentiniens haben zwar erreicht, dass ihre Forderungen nach eigenem Land so viel Beachtung finden wie nie zuvor. Dennoch müssen sie auf dem Weg zum Ziel noch etliche Hürden überwinden. Gesetze, die ihre Ansprüche untermauern, werden nach wie vor nicht richtig umgesetzt.

Félix Díaz, Anführer der Qom, einer der 160 indigenen Gruppen in der nordostargentinischen Provinz Formosa, erhielt kürzlich eine Audienz bei Papst Franziskus im Vatikan, wo er dem Kirchenoberhaupt die Anliegen seiner aus 450 Familien bestehenden Gemeinschaft vortrug. Dieses Treffen ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass sich die indigenen Völker des südamerikanischen Landes immer mehr Gehör verschaffen. In der Vergangenheit waren sie dagegen vielfach diskriminiert und von den Regierungen wie Unmündige behandelt worden.

Díaz wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er mit seinen Leuten 2010 in Formosa protestierte. Der sich anschließende Polizeieinsatz forderte ein Menschenleben. Inzwischen haben es die Anliegen der Indigenen auf die Agenden der Zentral- und Provinzregierungen geschafft. Vor dem Obersten Gericht werden ihre Klagen im Zusammenhang mit Landkonflikten zugelassen. Zudem finden die historischen und aktuellen Probleme der Indigenen in den Medien Niederschlag.

"2010, zum 200. Jahrestag der argentinischen Unabhängigkeit, haben wir damit begonnen, ernsthafte Gespräche mit der Regierung zu führen. Zuvor waren ganze Jahrhunderte verstrichen, ohne dass es zu tiefgreifenden Maßnahmen zugunsten der Indigenen gekommen wäre. Wir wollten nicht nur eine Feier, sondern etwas Bedeutsameres", sagte der Mapuche Fidel Colipán.


Rohstoffe wecken Begehrlichkeiten privater Firmen

Er verwies auf ein 2006 in Kraft getretenes Gesetz, das Vertreibungen Indigener von ihren angestammten Territorien bis auf Weiteres aussetzt. Außerdem wurde ein Zeitrahmen abgesteckt, in dem alle ethnischen Gebiete erfasst werden müssen, damit eine detaillierte Landkarte erstellt werden kann. Die Frist musste allerdings bereits verlängert werden, und die Einhaltung des Gesetzes gestaltet sich insgesamt schwierig. Private Unternehmen haben Interesse daran, auch weiterhin die Rohstoffe in diesen Gebieten auszubeuten. Außerdem stellen sich die Provinzregierungen quer.

Laut dem jüngsten Zensus von 2010 betrachtet sich fast eine Million der insgesamt 41 Millionen Argentinier als indigen. Bei der Volksbefragung 2004 waren es noch 640.000 gewesen.

Die bislang letzte Verfassungsreform von 1994 erkennt die 'Präexistenz' indigener Völker auf dem Staatsgebiet Argentiniens an und gibt ihnen das Recht auf gemeinschaftlichen Landbesitz sowie bilinguale Bildung. In den vergangenen Jahren ist es jedoch zu einer zunehmenden Zahl von Konflikten gekommen, die immer mehr Aufmerksamkeit wecken.

Nachdem Soja-Monokulturen, Bergbau, die Förderung fossiler Brennstoffe und Holzeinschlag die Ethnien von ihren Territorien vertrieben haben, protestieren sie mit lauter Stimme. Die staatliche Ureinwohnerbehörde INAI beklagt, dass die Verfassung von 1994 das Eigentumsrecht an den Rohstoffen an die Provinzverwaltungen übertragen hat. Nach Ansicht von INAI-Präsident Daniel Fernández wirkt dieser Umstand einer Konfliktlösung entgegen. Dennoch ist die Behörde davon überzeugt, dass mehr Fortschritte denn je bei der Demarkierung von Ureinwohnerland erzielt würden.

INAI-Schätzungen zufolge sind bereits Besitztitel für rund 4,5 Millionen Hektar Land vergeben worden. Insgesamt etwa zwölf Millionen - rund zehn Prozent des Staatsgebietes - werden von den Indigenen für sich beansprucht. Zu Konflikten kommt es immer dann, wenn es um wertvolle Rohstoffe geht oder wenn sich das eingeforderte Land in Privatbesitz befindet. Geschätzte 60 Prozent der Gebiete, auf die Ethnien Ansprüche erheben, gehören dem Staat. Die restlichen 40 Prozent sind in den Händen von Privatpersonen.

Um den Ureinwohnern zu ihrem Recht zu verhelfen, müssen die Behörden die privaten Besitzer zum Teil enteignen und entschädigen. "In Neuquén im Süden des Landes hat sich INAI zu einer Bestandsaufnahme der indigenen Territorien verpflichtet und sogar Gelder für die Territorien bereitgestellt. Das Problem besteht aber darin, dass die Provinzregierung nicht den nötigen politischen Willen zeigt", meinte Calipán.


UN-Sonderberichterstatter sieht weiteren Handlungsbedarf

In einem 2012 veröffentlichten Bericht stellte der UN-Sonderberichterstatter für indigene Völker, James Anaya, fest, dass Argentinien auf diesem Gebiet sicherlich "wichtige Schritte" unternommen habe. Doch juristischer Fortschritte bestehe weiterhin eine "signifikante Lücke zwischen dem vereinbarten rechtlichen Rahmen und seiner Umsetzung", heißt es in dem Bericht, den Anaya nach seinem Besuch in mehreren indigenen Gemeinschaften verfasste.

Dass sich die Ureinwohner inzwischen in der Öffentlichkeit mehr Gehör verschaffen, wird aber auch den Bemühungen von Menschenrechtsaktivisten angerechnet. Bei seinem Besuch beim Papst wurde Díaz von dem Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez begleitet. Die meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen in Argentinien, die zwischen 1976 und 1983 gegen die Verbrechen der Militärjunta protestierten, unterstützen die Ureinwohner und ihre Forderungen nach Land. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.desarrollosocial.gob.ar/inai/104
http://www.ohchr.org/en/issues/ipeoples/srindigenouspeoples/pages/sripeoplesindex.aspx
http://www.ipsnoticias.net/2013/06/pueblo-originarios-con-inedita-visibilidad-en-argentina/
http://www.ipsnews.net/2013/06/native-peoples-land-demands-gain-visibility-in-argentina/

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IPS-Tagesdienst vom 3. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013