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LATEINAMERIKA/1431: Honduras - Militäreinheit zur Kriminalitätsbekämpfung, Menschenrechtler beunruhigt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2013

Honduras: Militäreinheit zur Bekämpfung der Kriminalität - Menschenrechtler beunruhigt

von Thelma Mejía



Tegucigalpa, 6. September (IPS) - In Honduras hat die Regierung eine militärische Sonderheit zur Verbrechensbekämpfung geschaffen. Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitiker sind besorgt. Sie warnen vor einem Rückschlag für die Demobilisierungsbemühungen der letzten zwei Jahrzehnte.

Die sogenannte Militärpolizei für öffentliche Ordnung wird im Oktober ihre Arbeit aufnehmen. Zunächst soll sie aus 900 Mitgliedern bestehen und Anfang des nächsten Jahres auf 5.000 Mann aufgestockt werden. Die Einsatzgebiete der Militärtruppe sind die städtischen Slums und Armenviertel, aus denen sich die den Verbrecherbanden unterlegenen zivilen Sicherheitskräfte zurückgezogen haben.

Die militärische Sondereinheit ist zum Einzug von Militärreservisten und zur Durchführung von Geheimdienstaktivitäten berechtigt. Sie unterstützt die Arbeit der vor einem halben Jahr gegründeten Nationalen Geheimdienstführung, der Stabsstelle zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Dienstes zur Bekämpfung der Drogenkriminalität.


Verfassungswidrig

Der staatliche Menschenrechtsbeauftragte Ramón Custodio ist ein strikter Gegner der Militarisierung der Sicherheit. Wie er gegenüber IPS erklärte, bedeutet die Entscheidung einen Verstoß gegen die Landesverfassung und eine Gefahr für die vor 15 Jahren neu installierte Zivilpolizei. Damals hatte das Militär einen Teil seiner Machtbefugnisse abgegeben.

"Um Reservisten einsetzen zu können, bedarf es eines besonderen Gesetzes, das den Notstand oder Kriegszustand ausruft", erläuterte Custodio. "Doch davon ist in der am 21. August beschlossenen Regelung keine Rede." Die Entscheidung bezeichnete er als einen "enormen Rückschlag".

Im Gegensatz dazu meinte Celin Discua von der regierenden Nationalpartei, dass die Gründung der Eliteeinheit ein Ereignis von historischer Tragweite sei, "das dem Militär die Macht zurückgibt, die ihm einst genommen wurde". Discua zufolge ist die Entscheidung aufgrund der Krise, in der sich die Nationalpolizei derzeit befindet, gerechtfertigt. Die zivilen Streitkräfte wurden in den letzten Jahren einer tiefgreifenden Reform unterzogen, nachdem Verbindungen der Mitglieder zur organisierten Kriminalität bekannt geworden waren.

"Nun wird es mehr Sicherheit geben", meinte Discua mit Blick auf die vielen Verbrechen, die in dem acht Millionen Einwohner zählenden Land begangen werden. Das zentralamerikanische Honduras gehört mit durchschnittlich 20 Morden am Tag zu den gewalttätigsten Ländern der Welt.

Experten zufolge geht die Säuberung der Polizei viel zu langsam vonstatten. Nur 30 Prozent der insgesamt 12.000 Polizisten seien vertrauenswürdig, meinte Discua.

Doch auch der sozialdemokratische Abgeordnete German Leitzelar hält die Entscheidung für verfassungswidrig. Es komme zudem zu einer gefährlichen Vermischung von Verteidigung und Sicherheit, "die sich auf lange Sicht zu einem Menschenrechtsproblem entwickeln kann".

Als Teil der Strategie, die Beziehungen zu den bewaffneten Streitkräften zu stärken, hat die Regierung des rechten Staatspräsidenten Porfirio Lobo am 13. August ein Dekret erlassen, das den Streitkräften das Recht einräumt, unter militärischer Kontrolle stehende Wälder zu bewirtschaften. Die Einnahmen aus dem Holzverkauf sind für den Militärischen Pensionsfonds (IPM) bestimmt, der bis vor zwei Jahrzehnten mit der Führung militärischer Firmen betraut gewesen war.

Gleich zu Beginn des Demobilisierungsprozesses in Honduras verkaufte der IPM die Unternehmen, da er sich nicht länger auf staatliche Ausschreibungen bewerben durfte. Doch offenbar scheint sich der Prozess nun wieder umzukehren. "Das Militär hat Zugang zu fast allen Bereichen des Landes und schafft die künftigen Bedingungen für eine Rückkehr des Militärs in die Geschäftswelt", so der Soziologe Eugenio Sosa.


Anstieg der Gewaltverbrechen

In Honduras wird im November gewählt. Dieser Umstand in Verbindung mit der hohen Gewalt- und Verbrechensrate begünstigt die zunehmende Beteiligung der Streitkräfte an der nationalen Sicherheit. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Gewalt der Nationalen Autonomen Universität von Honduras (UNAH) ist die Zahl der Morde zwischen 2011 und 2012 von 7.104 auf 7.172 gestiegen. Mit statistischen 85,5 Morden pro 100.000 Einwohner gehört Honduras zu den Ländern mit der höchsten Mordrate.

Obwohl die meisten der Gewaltverbrechen mit Schusswaffen begangen werden, kommt ein vor drei Jahren eingereichtes Gesetz zur Regulierung des Waffenbesitzes im Parlament nicht voran.

Seit neun Jahren gilt die Zentralprovinz Francisco Morazán, in der auch die Hauptstadt Tegucigalpa liegt, als Hochburg der organisierten Kriminalität. Inzwischen sind aber auch die nördlichen Provinzen Atlántida und Cortés längs der Karibikküste infiziert.

Zu den Verbrechen, die der Polizei angelastet werden, gehört die Ermordung zweier Universitätsstudenten 2011. Ein Opfer war der Sohn der UNAH-Präsidentin Julieta Castellanos. Die Expertin für Sicherheits- und Governance-Fragen hat entscheidend zu der Reform der staatlichen Sicherheit beigetragen.

Im letzten Monat wurden vier der acht Polizisten, die für die Ermordung der beiden Studenten verantwortlich gemacht wurden, verurteilt. Doch die Hintermänner wurden nicht gefasst. Dieser Fall hat die kriminellen Machenschaften der Polizei wie Korruption, Verbindungen zur Drogenmafia, Lösegelderpressungen und Entführungen zutage gebracht.

Dem politischen Analysten Miguel Cálix zufolge ist es ein Fehler, den Militärs die Waldbewirtschaftung der von ihnen kontrollierten Gebiete zu überlassen, ohne zuvor die nötigen rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben. Auch sollten die Einnahmen aus diesen Aktivitäten in die Staatskasse fließen.

Am 28. Juni 2009 war der damalige Staatspräsident Manuel Zelaya abgesetzt und außer Landes gebracht worden. Der Coup war vom Parlament gebilligt und Roberto Micheletti danach zum neuen Staatsoberhaupt ernannt worden. Lobo wurde im Dezember 2009 in das hohe Amt gewählt.

Nichtsdestotrotz stehen die Streitkräfte - das haben Meinungsumfragen gezeigt -, gleich hinter den Kirchen und den Medien in hohem Ansehen. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage sind große Teile der Bevölkerung für den Einsatz von Soldaten auf den Straßen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnews.net/2013/09/military-given-full-powers-to-fight-crime-in-honduras/
http://www.ipsnoticias.net/2013/09/todo-el-poder-a-los-militares-en-combate-al-crimen-en-honduras/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2013