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LATEINAMERIKA/1527: Argentinien - Wahl Mauricio Macris markiert Rechtsruck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Dezember 2015

Argentinien: Wahl Mauricio Macris markiert Rechtsruck - Vorbild für andere Länder Lateinamerikas?

von Mario Osava


RIO DE JANEIRO (IPS) - Am 10. Dezember übernimmt der rechtskonservative Politiker Mauricio Macri das Präsidentschaftsamt in Argentinien. Bei vielen Kirchner-Anhängern und linksgerichteten Exil-Argentiniern hat die politische Lähmung bereits früher eingesetzt.

Der Rechtsruck in ihrem Heimatland war absehbar und ist nach der Stichwahl am 22. November nicht mehr aufzuhalten. Politische Analysten stellen nun die Frage, ob Argentinien ein Einzelfall bleibt oder Vorbild für andere lateinamerikanische, in den vergangenen Jahren von linkspopulistischen Regierungen geführte Länder sein wird.

"In Argentinien geht eine Ära zu Ende", beschreibt nicht nur Marcos Azambuja, ehemaliger Botschafter Brasiliens in Argentinien und Frankreich, das Ende der Präsidentschaft von Cristina Fernández de Kirchner, die im Jahr 2007 ihren Mann Néstor Kirchner abgelöst hatte. Néstor Kirchner, der mittlerweile verstorben ist, hatte das Amt im Jahr 2003 übernommen. Beide waren Mitglied der peronistischen Partei PJ, gaben ihr aber eine eigene Handschrift. Fernández de Kirchner durfte nach ihrer zweiten Amtsperiode laut Verfassung nicht wiedergewählt werden. Von daher sei der Umbruch "nach regulären demokratischen Prinzipien" vonstatten gegangen, so Azambuja.

Allerdings, so räumt er ein: "Jede nicht-peronistische Regierung wird es in Argentinien schwer haben." So jedenfalls war es auch früheren nicht-peronistischen Regierungen ergangen, die nach dem gewaltsamen Absetzen von Juan Domingo Perón durch das Militär, der viele soziale Reformen auf den Weg gebracht hatte, das Land angeführt hatten. Weder Raúl Alfonsín (1983-1989) noch Fernando de la Rua (1999-2001) konnten sich eine komplette Amtsperiode auf dem Präsidentschaftssitz halten. Beide mussten - aus unterschiedlichen Gründen - zurücktreten.


Ökonomische Krise hievt Macri auf Präsidentschaftsthron

Vor diesem Hintergrund muss sich nun Mauricio Macri behaupten, der seit 2007 Bürgermeister von Buenos Aires war und die Stichwahlen am 22. November gegen seinen Kontrahenten Daniel Scioli knapp gewonnen hat. Geholfen haben ihm dabei die Querelen innerhalb der Kirchneristen und Peronisten und die ökonomische Krise, die Argentinien fest im Griff hat - wenn auch nicht in einem Ausmaß, in dem das Land in der Jahreswende 2000/2001 steckte.

Macri repräsentierte bei den Wahlen die rechtskonservative Oppositionskoalition 'Cambiemos' (Lasst uns verändern), die sich aus seiner konservativen Partei 'Propuesta Republicana' (Republikanische Idee - PRO) und der traditionellen Radikalen Bürgerunion (UCR) zusammensetzte. Jetzt muss er zeigen, wie er das Land aus der Krise führen will. Konfrontiert ist das Land nicht nur mit einer hohen Inflationsrate, deren wahres Ausmaß geheim gehalten, von Analysten allerdings auf rund 30 Prozent geschätzt wird. Auch eine hohe Arbeitslosenquote ist vor allem für junge Menschen ein Problem. Und da man der argentinischen Währung, dem Peso, wenig Vertrauen entgegenbringt, wird der US-Dollar auf dem Schwarzmarkt rund 50 Prozent teurer gehandelt als der offizielle Wechselkurs vorsieht.

Um die argentinische Wirtschaft zu stabilisieren, hatte die Kirchner-Regierung protektionistische Maßnahmen eingeführt: Exportzölle auf Agrarprodukte, Importbeschränkungen und Subventionen für argentinische Waren, um die Konkurrenz aus Brasilien einzuschränken. Macri will nun Währungskontrollen aufheben und Restriktionen im Handel mit ausländischen Märkten abschaffen. Das wird die Beziehungen Argentiniens zu den anderen Ländern der Region stark verändern.

Doch was die Beziehungen wirklich verändern wird, sind Macris außenpolitische Ambitionen. Dazu gehört, dass er Venezuela von der Wirtschaftszone Mercosur abkoppeln will, weil die aktuelle Regierung des Landes nicht den demokratischen Grundsätzen des Handelsabkommens entspreche. Auch Paraguay war bereits vom Mercosur ausgeschlossen worden, nachdem der damalige Präsident Fernando Lugo im Jahr 2012 per Amtsenthebungsverfahren abgesetzt worden war.


Neuer Ton im Umgang mit USA und EU

Auf der anderen Seite plant Macri einen wärmeren Umgangston mit den USA, der Europäischen Union und den Pazifikstaaten. Insgesamt will Macri den Außenhandel stärker ankurbeln - ganz anders als die früheren Kirchner-Regierungen oder die linkspopulistischen Regierungen unter anderem Venezuelas und Ecuadors, die sich selbst als bolivarisch bezeichnen. Das Wort wird abgeleitet von dem Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar (1783-1830) und bezeichnet eine gegen den Neoliberalismus ausgerichtete Gesellschaft.


Krisen auch in Brasilien und Venezuela

Nicht nur der politische Wandel in Argentinien deutet auf einen Rechtsruck in ganz Lateinamerika hin. Auch die Krisen in Brasilien und Venezuela, die beide sowohl einen politischen als auch einen ökonomischen Aspekt haben, lassen annehmen, dass es auch in diesen Ländern einen Wandel geben wird, der rechtskonservativen und neoliberalen Kräften Auftrieb geben wird.

In Venezuela steht die Wirtschaft kurz vor einem Kollaps. "Ich fürchte, dass der sterbende Chavismus in Venezuela nicht gerade demokratisch enden wird", sagte Azambuja gegenüber IPS. "Das Problem ist die fragile Position von Präsident Nicolás Maduro."

In Brasilien ist Präsidentin Dilma Rousseff unter anderem im Zuge der Turbulenzen um ihren Ziehvater und Vorgänger Lula da Silva in politische Machtkämpfe verwickelt. Außerdem schwächelt die Wirtschaft, Korruptionsfälle erschüttern große Unternehmen und die hohe Politik, und regelmäßig gehen Hunderttausende gegen Präsidentin Rousseff auf die Straße. Die Krise des Landes ist vor allem eine der Arbeiterpartei PT, die seit 2003 das Land regiert. In den Korruptionsskandal um die staatliche Ölfirma Petrobras, in dessen Verlauf bereits mehrere schwergewichtige Unternehmer festgenommen und ins Gefängnis geworfen wurden, ist auch die Arbeiterpartei verwickelt, der auch Präsidentin Rousseff angehört. Im Zuge des Skandals sind bereits mehrere enge Vertraute des populären Ex-Präsidenten Da Silva inhaftiert worden.

"Die Erholung der Wirtschaft ist ein wichtiges Ziel, das den konservativen Kandidaten nun in die Tasche spielen könnte", sagt Professor Tullo Vigevani von der staatlichen Universität von Sao Paulo gegenüber IPS. "Aber die Länder haben tiefgreifende Probleme, für die auch die Neoliberalen bisher keine Antwort aus dem Hut gezaubert haben." Die Wirtschaftskrise dürfe daher nun nicht oberflächlich angegangen werden.

Politische Analysten beschäftigt neben der Wirtschaft auch die soziale Frage. In Argentinien haben die Kirchners umfangreiche Sozialprogramme aufgelegt. Auch wenn diese nicht ausreichen, um die Armut im Land zu beseitigen, sind sie ein wichtiger Aspekt, um vielen armen Familien wenigstens ein wenig Unterstützung zu bieten. Diese kurzfristig zu streichen würde viele Menschen in den Abrund stürzen. Das weiß auch Macri, der versprochen hat, die Programme zumindest vorerst beizubehalten. (Ende/IPS/jk/08.12.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/11/did-argentinas-elections-mark-start-of-shift-to-the-right-in-south-america/
http://www.ipsnoticias.net/2015/11/argentina-inaugura-vuelco-a-la-derecha-en-america-del-sur/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2015

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