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LATEINAMERIKA/1656: Guatemala - Ein bisschen Frieden (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Guatemala
Ein bisschen Frieden

Von Markus Plate


(Guatemala-Stadt/Berlin, 22. Dezember 2016, npl) - Mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen am 29. Dezember 1996 endete in Guatemala ein über drei Jahrzehnte langer, blutiger Konflikt zwischen Militärdiktatur und Guerilla. Doch "Frieden" herrscht nicht in Guatemala. Das Land hat eine der höchsten Mordraten der Welt, der Rassismus gegen die indigene Bevölkerung ist nach wie vor präsent, Aktivist*innen werden bedroht. Das liegt auch daran, dass die insgesamt zwölf Friedensabkommen nie oder nur unzureichend umgesetzt wurden. Der Weg zum Frieden, er bleibt auch in Guatemala holprig.


"La Voz Popular" - Mit Radio gegen die Militärdiktatur

Alberto Ramirez, genannt Tino, stammt aus einer Maya-Familie. Es war das indigene Guatemala, das am meisten unter der Militärdiktatur gelitten hat. Als Tinos Vater Anfang der 1980er Jahre von der Armee verschleppt und ermordet wurde, flohen Mutter und Tino zu der Guerilla in die Berge. Aus dem heranwachsenden Tino wurde ein Guerillero - der gegen Rassismus und ungleiche Besitzverhältnisse kämpfte. Aber Tinos Waffen waren weder Gewehr noch Dynamit, sondern ein Mikrofon und ein Fahrrad. Anfang der 1980er war der Guerilla klar geworden, dass sie ein eigenes Medium brauchte - um aufzuklären, anzuklagen, und zu mobilisieren.

"Mich hat man über die Grenze nach Mexiko geschickt", erzählt Tino. "Von dort aus habe ich produziert und die Tonkassetten mit dem Fahrrad nach Guatemala geschmuggelt, die wir dann vom Vulkan aus gesendet haben". Neun Jahre lang sendete "La Voz Popular" von den Hängen des Vulkans Tajumulco. Für Tino war das Guerrilla-Radio ein Sprachrohr der Stimmlosen, das von den Mächtigen als Bedrohung empfunden wurde. Mehrere Militäroffensiven am Vulkan waren die Folge. Doch der Friedensschluss 1996 bedeutete das Ende von La Voz Popular.


"Keine freie Meinungsäußerung ohne eigene Medien"

Heute lebt der mittlerweile 50-jährige Tino in der Nähe von Quetzaltenango, der zweitgrößten Stadt Guatemalas. Radio macht er weiterhin. Nach dem Friedensschluss gründete er zusammen mit anderen ehemaligen Guerilla-Funker*innen die Nichtregierungsorganisation (NRO) Mujb'ab'l Yol. Dort produzieren Jugendliche kulturelle, bildungsorientierte und politische Programme. Dem Senderverbund Mujb'ab'l Yol gehören mittlerweile 26 Community-Radios im Hochland an.

"Es kann keine Demokratie ohne freie Meinungsäußerung geben", sagt Tino, und besteht darauf, dass es auch "keine freie Meinungsäußerung geben kann ohne eigene Medien". In Guatemala gebe es eine herrschende Klasse, die nicht wolle, dass Indigene ihre eigene Entwicklung gestalten. Community-Radios aber leisteten einen Beitrag zur lokalen Entwicklung, zur Kultur, zur Bildung, auch zur Mobilisierung der Menschen. Vielleicht auch deshalb haben Guatemalas Regierungen nach Friedensschluss die Legalisierung von indigenen Radios verhindert und diese stattdessen kriminalisiert. Sprachrohre der Stimmlosen sind auch in sogenannten Demokratien für die Mächtigen eine Bedrohung.

Die Provinz Zacapa liegt im trockenen, heißen Osten des Landes, doch durch zwei große Flüsse ist Zacapa gleichzeitig wasserreich. In Flussnähe werden Bananen, Ananas, sogar Weintrauben angebaut, dazu Tomaten, Paprika und Maniok. Die Viehwirtschaft hat dort große Bedeutung. Die Flüsse speisen sich aus den Bergen in der Umgebung von Zacapa. Und in diesen Bergen arbeitet Pfarrer José Pilar Álvarez Cabrera. Die Gemeinde des 54-Jährigen zählt 350 Einwohner*innen, und fast alle sind Indigene Maya Chort'i aus den dortigen Bergdörfern.


Ursachen des Bürgerkriegs bestehen weiter

Doch die Bergwälder sind bedroht. Zum einen durch den Bevölkerungszuwachs, vor allem aber durch die Großgrundbesitzer*innen, die dort seit Jahrzehnten abholzen. Heute sind nur noch 20 Prozent der Wälder intakt. Das Wasser ist spürbar weniger geworden. Es waren die Chort'i-Gemeinden, die sich als erste gegen die Abholzung organisiert und dann mit der katholischen und der lutherischen Kirche eine "Ökumenische und soziale Koordination zur Verteidigung des Lebens" gründeten.

Die Bergwälder sollen endlich unter wirksamen Schutz gestellt werden - zum Nutzen aller. Doch was so einleuchtend erscheint, hat eine Welle von Gewalt ausgelöst, gegen die indigenen Gemeinden in Form von Morddrohungen - aber auch gegen Pfarrer José Pilar selbst.

Profite aus illegalem Holzeinschlag scheinen wichtiger als Wasser für alle. Frieden in Guatemala sehe anders aus, meint der Pfarrer: "Die Friedensabkommen sollten ja die Ursachen des Konfliktes beseitigen - Diskriminierung, Rassismus, die äußerst ungleiche Besitzverteilung. Aber das hat man schnell beiseite gelegt. Die Regierung hat stattdessen einen neoliberalen Kurs eingeschlagen". So seien die Ursachen für den Bürgerkrieg bis heute präsent: Diskriminierung, Rassismus, äußerst ungleiche Besitzverteilung und extreme Armut. Und es gebe heute mehr gewaltsame Todesfälle als während des Krieges.


Gewalt gegen Frauen als Machtmittel

Aus den Berglandschaften im Osten Guatemalas stammt auch Lorena Cabnal. Lorena ist Xinca-Indígena und Feministin. Schon in vorkolumbianischer Zeit habe sich der Machismo der Vorfahren gegen die Frau gerichtet. Dann kamen Kolonialisierung und Kirche, später Diktaturen und die Aufstandsbekämpfungspolitik während des Bürgerkriegs. Aus Lorena Cabnals Sicht "haben sie alle ganz bewusst Gewalt gegen Frauen als Machtmittel eingesetzt. Und nach Kriegsende hat der Neoliberalismus diese Situation sogar noch verschärft."

Seit Jahren zählt Guatemala zu den Ländern mit den meisten Fällen von Femiziden auf der Welt: Fast 1.000 Frauen sind allein im letzten Jahr ermordet worden. Auch Lorena hat mehrfach Todesdrohungen erhalten. Die Friedensverträge haben den Frauen in Guatemala also nicht unbedingt etwas gebracht. Oder, vielleicht doch. Lorena verweist auf die heranwachsende, junge Generation, eine Generation, die wortwörtlich die Schnauze voll habe. Es gebe neue Formen des Protests und neue künstlerische Ausdrucksformen, Gesichter eines vielfältigen Widerstandes - und zwar sowohl in den Städten wie auf dem Land, in mestizischen wie indigenen Gemeinschaften. Diese neue Generation habe das Potenzial, in Guatemala tatsächlich etwas zu bewegen.


Nur ein paar Hoffnungsschimmer

Doch sind dies allenfalls Hoffnungsschimmer. Politisch bewegt sich in Guatemala wenig. Indigene und Frauen sind im politischen System nach wie vor völlig unterrepräsentiert. Die internationale Gemeinschaft, die in den vergangenen zwanzig Jahren gesellschaftliche Prozesse unterstützt hat, zieht sich langsam aber sicher aus Guatemala zurück - andere Weltregionen scheinen ihr wichtiger.

Die nach wie vor exportorientierte Wirtschaft unter einer neoliberalen Weltwirtschaftsordnung nützt weiterhin vor allem der kleinen, traditionellen Unternehmerschicht und transnationalen Konzernen. Wer sich dagegen wehrt, lebt in Guatemala gefährlich - auch in "Friedenszeiten".


Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag:
https://www.npla.de/podcast/guatemalas-holpriger-weg-zum-frieden/


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https://www.npla.de/poonal/ein-bisschen-frieden/


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2016

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