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LATEINAMERIKA/2121: Argentinien - Anti-Mapuche-Beschluss in Mendoza (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Argentinien
Anti-Mapuche-Beschluss in Mendoza


Um sich indigene Territorien anzueignen, entscheidet die Regionalregierung, die Mapuche-Bevölkerung sei keine originäre Gemeinschaft in der Region.

(9. April 2023, Servindi) - In einer ungewöhnlichen Entscheidung hat die Abgeordnetenkammer der Provinz Mendoza den indigenen Mapuche den Status als Ureinwohner*innen sowohl in Mendoza als auch in ganz Argentinien aberkennt. Silvina Ramírez, eine auf indigene Rechte spezialisierte Anwältin, stellt in Frage, ob die Gesetzgebung überhaupt Identitäten festlegen darf und sagt: "Es ist eine falsche Entscheidung, die zudem illegitim und willkürlich ist."

Der Beschluss basiert auf einem Mehrheitsentscheid der Kommission für Verfassungsrechte und -garantien der Regionalregierung.

Der Entscheid führt drei Argumente an:

1. Ohne Beteiligung anderer Akteure sei das Nationale Institut für indigene Angelegenheiten (Instituto Nacional de Asuntos Indígenas, INAI) nicht befugt, Beschlüsse zu erlassen. (Vorausgegangen war dem ein Beschluss des INAI, rund 21.500 Hektar Land zu Mapuche-Territorien zu deklarieren. Anm. d. poonal-Red.)

2. Der Notwendigkeits- und Dringlichkeitserlass, mit dem die Gültigkeit des Gesetzes 26160 verlängert wurde, sei ungültig. (Das Gesetz verhindert die Vertreibung indigener Gemeinden aus ihren angestammten Territorien aufgrund von richterlichen oder administrativen Beschlüssen. Anm. d. poonal-Red.)

3. Die Mapuche seien "Ausländer".

Eigentlich müsste jedes dieser Argumente kommentiert und widerlegt werden. An dieser Stelle soll es aber nur um das letzte gehen, denn dahinter stecken eine eklatante Unkenntnis bestimmter Konzepte und mangelndes Wissen über geltendes Recht (und somit auch über die indigenen Rechte, die in unserem Land gelten und normative Kraft haben). In seiner Ignoranz verstößt das Argument sogar gegen die Verfassung. Denn obwohl einige Teile der Gesellschaft die Identität der indigenen Bevölkerung hartnäckig leugnen, ist die Auslegung der in der Verfassung verankerten Rechte der Indigenen Konsens. Niemand wird durch Beschlüsse ändern können, was die Verfassung eindeutig bestätigt.

Es ist schon erstaunlich, dass die Abgeordneten eine umfangreiche Fachliteratur von Historikern, Anthropologen und Chronisten ignorieren und indigenen Menschen die Existenz (und ihre Eigenschaft als angestammte Bevölkerung) aberkennen in einem geografischen Gebiet, dessen Organisation als Staat erst stattgefunden hat als diese Menschen schon Jahrhunderte dort lebten. Zum Zeitpunkt der Eroberung und Kolonialisierung bewohnten die Mapuche dieses Gebiet und zogen von einer Seite der Gebirgskette zur anderen, ohne sich an Grenzen orientieren zu müssen, die erst aus der Schaffung moderner Staaten im 19. Jahrhundert entstanden sind. Zudem umfassten die Grenzen dieser Staaten bei ihrer Gründung noch nicht mal die Gebiete, um die es hier geht.

Man muss sich schon fragen, welche rechtlichen Folgen eine solche legislative Entscheidung hat und ob die gewählten Vertreter*innen von Mendoza das Recht haben, zu entscheiden, ob eine indigene Gruppe in einem Land heimisch ist.

Die Identität indigener Menschen ist Ergebnis eines komplexen Prozesses, bei dem auch die Auswirkungen von Eroberung und Kolonisierung und die Gründung von Staaten auf bestehenden einheimischen Organisationsformen eine Rolle spielen. Falls Abgeordnete dazu berechtigt sind, diese Identität zu definieren, darf nicht vergessen werden, dass die indigenen Menschen über bestimmte kollektive und Menschenrechte hinaus auch Rechte als argentinische Bürger*innen haben. Daher sind die "Interessen der Bewohner Mendozas", die als Begründung für die Aberkennung der Identität genannt werden, auch die Interessen der indigenen Bewohner*innen von Mendoza.

Die Strategie der Regionalregierung von Mendoza ist grundlegend falsch, es mangelt ihr an Legitimität und sie ist willkürlich und arrogant. Denn sie erlaubt sich, über Identität zu entscheiden, was eindeutig nicht ihre Befugnis ist und einen offensichtlichen Fall von Diskriminierung und Rassismus darstellt.

Gesetzgeber*innen können und sollten keine Realität konstruieren und nicht über Angelegenheiten entscheiden, die außerhalb ihrer Kompetenzen liegen. Ein Beschluss wie dieser, getroffen innerhalb eines an sich legitimen politischen Rahmens, ist eine Gefahr für die Demokratie. Denn er verletzt grundlegende Regeln des Zusammenlebens: Die Anerkennung und Achtung von Gruppen, die Rechte haben.

Dieser Beschluss wird rein rechtlich wohl kaum Bestand haben, entfaltet aber eine äußerst negative symbolische Wirkung: Eine der Kerninstanzen des demokratischen Systems, die Abgeordnetenkammer, wird benutzt, um Geschichte zu leugnen. Die Behauptungen, die hier aufgestellt werden, lassen nur einen Schluss zu: Es geht im Kern um etwas ganz anderes, nämlich die natürlichen Ressourcen in den Gebieten, die hier beansprucht werden. Hinter einem vermeintlich demokratischen Akt versteckt sich das Vorhaben, diese Ressourcen auszubeuten.

Schlussendlich wird hier eine Entscheidung des INAI, eines staatlichen Organs für unwirksam erklärt. Die dahinter liegenden Mechanismen werden dadurch immer offensichtlicher: inakzeptabler Rassismus, ungezügelte wirtschaftliche Ambitionen und eine offensichtliche Unfähigkeit der politischen Akteure, einen egalitären und integrativen Staat zu konstruieren.


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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. April 2023

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