Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/1020: Israel - Junge arabische Christen wollen in die Armee (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. November 2013

Israel: Junge arabische Christen wollen in die Armee

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Junge Christen wohnen einer gestellten Kampfhandlung der israelischen Armee bei
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Qatsrin, Golanhöhen, 13. November (IPS) - In der Sporthalle von Kazrin, der Hauptstadt der von Israel besetzten Golanhöhen, informiert Pater Gabriel Nadaf, ein griechisch-orthodoxer arabischer Priester, junge arabische Christen über die Vorzüge, den israelischen Streitkräften (IDF) beizutreten.

"Es ist nur natürlich, dass wir zur Verteidigung des Landes beitragen, das uns schützt", meint der Geistliche, der in vollem Ornat erschienen ist. Ihm zur Seite steht ein Militäroffizier, der auf die Frage eines Teenagers, ob denn die kulturelle Identität der Rekruten in der Armee gewahrt bleibe, antwortet: "Die IDF ist ein Schmelztiegel."

Jeder fünfte Israeli ist arabischer oder palästinensischer Herkunft. Während Muslime die größte Minderheit bilden, stellen die 130.000 arabischen Christen die kleinste Minorität im Lande. Sie sind die Nachfahren der Urchristen im Heiligen Land, die den 2.000-jährigen Glauben begründeten.

Dem Aufruf von Nadaf, ihren freien Sonntag zur Teilnahme an der Rekrutierungsveranstaltung zu nutzen, waren 250 junge Leute gefolgt. Die IDF hatte landesweit Schüler der zwölften Jahrgangsstufe in das nahegelegene militärische Ahmadiyah-Trainingslager transportiert, um ihnen live die Kampf- und Schießkünste der Soldaten vorzuführen.


"Israel schenkt mir viel. Ich möchte etwas zurückgeben"

Der Text der israelischen Nationalhymne, die mit den Worten 'Solange noch im Herzen / eine jüdische Seele wohnt' beginnt, dürfte sich gerade für die jungen arabischen Christen, die offenbar bereit sind, ihr Blut für den Staat Israel zu vergießen, merkwürdig angehört haben. Anan Nitanes meint es ernst mit dem Eintritt in die israelischen Streitkräfte. "Israel schenkt mir viel. Ich möchte etwas zurückgeben", sagt er.

Pater Nadafs Rekrutierungsbemühungen haben bereits Wirkung gezeigt. Nach Angaben der IDF dienen inzwischen 100 arabische Christen in der israelischen Armee. 2012 waren es noch 35 gewesen. Auch die Zahl der Zivildienstleistenden innerhalb der Minderheit ist im gleichen Zeitraum von 200 auf 500 gestiegen.

Im letzten Jahr hatte Nadaf, als er noch in der Verkündigungskirche von Nazareth seinen Dienst versah, einen Anruf von Bishara Shlayan erhalten, einem örtlichen Schiffskapitän, der ihn um Unterstützung für sein Forum bat, dass sich für Aufnahme arabischer Christen in die israelische Armee einsetzt. Shlayan hatte das Forum gegründet, nachdem sein Sohn nicht in die IDF aufgenommen worden war.

Shlayans Initiative verdeutlicht insbesondere die Identitätsprobleme der arabischen Christen. "Juden nennen uns 'Araber'. Für Muslime sind wir Christen, keine Araber. Wir sind israelische Christen - nicht mehr und nicht weniger", meint Shlayan im IPS-Gespräch.

Doch nach Ansicht von Azmi Hakim, Vorsitzender der griechisch-orthodoxen Gemeinschaft in Nazareth, "sind wir palästinensische Christen und feste Bestandteile des palästinensischen Volks".

Shlayan hat mit seinem Anliegen nun auch Israels arabische Christen in die nationale Ein-Volk-Eine-Wehrpflicht-Debatte gezogen. Israel ist ein jüdischer Staat, der die Verteidigung des Landes allen sechs Millionen Einwohnern auferlegt. Der Militärdienst ist für 18-Jährige Pflicht - oder sollte es zumindest sein. Tatsächlich sind mehr als 40 Prozent der potenziellen Kandidaten vom Wehrdienst ausgenommen. Bei den meisten handelt es sich um ultraorthodoxe Juden, die etwa zwölf Prozent der jungen Leute im wehrpflichtigen Alter ausmachen. Sie sind traditionell vom Dienst an der Waffe befreit.

Die anderen Ausnahmefälle sind arabische Bürger palästinensischer Herkunft. Sie werden von jüdischen Bürgern häufig als "fünfte Kolonne" bezeichnet, als subversive Kräfte, die den israelischen Feinden zuarbeiten. Die meisten Muslime dienen nicht in der Armee. Eine Ausnahme sind die Beduinen, die zwar Muslime sind, aber auf freiwilliger Basis rekrutiert werden können. Die Drusen, die Angehörigen eines Ablegers des Islam, sind wehrpflichtig.

Shlayans Forum hat sich inzwischen zu der Partei 'Söhne der christlichen Allianz' ausgeweitet, die für eine größere Loyalität gegenüber dem israelischen Staat eintritt. "Arabische Bürger genießen Sicherheit. Doch viele wünschen sich im Herzen die Zerstörung Israels", erläutert Shlayan. "Doch was immer den Juden zustößt, wird auch uns zustoßen."


Forum Spaltabsichten vorgeworfen

Hakim ist mit der Sichtweise Shlayans nicht einverstanden. "Diese Armee besetzt Palästina. Mein Staat kämpft gegen mein Volk. Dieses Forum, das Christen für die israelische Armee rekrutiert, ist eine Verschwörung, um die arabischen Christen von den übrigen Palästinensern zu trennen", meint er. "Auch die ultra-orthodoxen Juden sind nicht in der Armee. Trotzdem werden ihre Rechte respektiert."

Arabischen Bürgern wird oft vermittelt, Bürger zweiter Klasse zu sein. Häufig werden ihnen Baugenehmigungen vorenthalten und sie leiden unter einer höheren Arbeitslosigkeit und schlechteren kommunalen Dienstleistungen. Auch sind sie Opfer einer ungleichen Verwendung der finanziellen Mittel für Bildung und Wohnen.

Seit Nadaf für den Wehrdienst arabischer Christen in der IDF wirbt, darf er in der Verkündigungskirche keine Messe mehr lesen. Rückendeckung kam von der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. In der Sporthalle in Kazrin war der Stellvertretende Verteidigungsminister Danny Danon zu Nadafs Unterstützung erschienen: "Ich begrüße Ihre Bereitschaft, sich in die Gesellschaft zu integrieren", sagte er während der Zusammenkunft der wehrfähigen Christen. Daraufhin meinte Nadaf: "Wir sind Bürger, die vollwertige Bürger werden wollen."

Anreize in Form von zinsgünstigen Darlehen, Arbeitsplätzen, staatlichen Zuschüssen und Steuererleichterungen sind für Nicht-Juden interessante Angebote, um über den Wehrdienst im israelischen Militär nachzudenken. "Die Regierung sieht eine beschleunigte Gebietsumwidmung vor, um Frauen und Männern, die den Wehrdienst absolviert haben, Gründstücke bereitzustellen", versprach Danon. "Der israelische Staat öffnet Ihnen seine Türen. Wir wollen Sie als 'Gleiche unter Gleichen'."

Ein Teenager brachte Danon mit der Frage, wann denn die Wohnungsprojekte Gestalt annehmen würden, in Verlegenheit. "Ziel ist es nicht, Wohnungen und Häuser zu bauen, sondern Parzellen auszuschreiben, die für diejenigen bestimmt sind, die in der Armee gedient haben", antwortete der Vizeminister. "Machen Sie sich keine Sorgen. Seien Sie stark. Tun Sie das Richtige."


Vom Araber zum Israeli

Samir Jozen ermutigt seine Tochter Jennifer, der israelischen Armee im nächsten Sommer beizutreten. Auf die Frage, was er wohl tun würde, wenn die Christen in Israel nicht ihre vollständigen Rechte erhielten, antwortete er: "In Israel sind wir weit besser dran als die Christen in Syrien und Ägypten".

Bisher scheinen junge arabische Christen den Militärdienst als Chance zu sehen, eine Art Initiationsritus zu vollziehen, der ihnen die Verwandlung vom Araber zum Israeli ermöglicht. Sie, die nicht länger abgelehnt, sondern akzeptiert werden wollen, hoffen zugleich, ihre christliche Identität in Israel leben zu können. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/11/christians-queue-to-join-israeli-army/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. November 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2013