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NAHOST/1049: Trotz alledem ...   Hanin Zoabi im Gespräch (Martin Lejeune)


"Unsere politische Vision ist ein Israel als Staat für alle seine Bürger."

Interview mit der arabisch-israelischen Knesset-Abgeordneten Hanin Zoabi am 20. Februar 2015

von Martin Lejeune


Die streitbare Politikerin Hanin Zoabi setzt sich in ihrem Heimatland Israel für die Interessen der arabischen Minderheit und für die Bevölkerung in den palästinensischen Territorien ein. Frau Zoabi kandidiert bei den Parlamentswahlen am 17. März für die Gemeinsame Arabische Liste, einen Zusammenschluß arabischer Parteien und der kommunistischen Partei Hadasch. Das Zentrale Wahlkomitee hatte sie zunächst von den israelischen Wahlen ausgeschlossen, dieser Beschluß wurde am 18. Februar 2015 vom Obersten Gerichtshof Israels aufgehoben.

(Anmerkung der Redaktion Schattenblick)


Martin Lejeune (ML): Frau Zoabi, der Oberste Gerichtshof hat vor zwei Tagen den Beschluß der Zentralen Wahlkommission, Sie nicht zu den israelischen Parlamentswahlen zuzulassen, aufgehoben. Eine Begründung ist nicht erfolgt. [1] Welche Bedeutung hat das ganze Verfahren aus Ihrer Sicht?

Hanin Zoabi (HZ): Während der Anhörung durch die Wahlkommission in der Knesset habe ich mir die Frage gestellt, warum ich dort bin und wie die Versuche mich auszuschließen, zu rechtfertigen sind. Ich habe mich nach den Motiven hinter den Menschen, hinter der Anhörung, hinter den rechtsgerichteten Politikern, gefragt. Und ich habe mir gesagt, daß dem Ganzen etwas Absurdes anhaftet. Gewöhnlicherweise sind es in Ländern, wo alles normal läuft, die Demokraten, die sich den Rassisten widersetzen und versuchen, diese zu delegitimieren und sie aus der legalen, der öffentlichen politischen Sphäre auszuschließen. Aber in Israel geschieht genau das Gegenteil, es sind die Rassisten, die versuchen, die Demokraten auszuschließen. Das heißt, in Israel wird die Demokratie als Bedrohung angesehen. In Israel gehört Rassismus zu den Spielregeln, ist Teil der politischen Szene und sogar ein legitimer Teil der politischen Kultur. Deshalb ist es so einfach, Demokraten zu verfolgen und die demokratische Auseinandersetzung als etwas wahrzunehmen, das den Staat bedroht. Und das zeigt, daß etwas sehr Grundlegendes schief läuft, etwas sehr Grundlegendes, nicht nur, was die Politik des Staates betrifft, sondern auch seine Definition und sein Rechtssystem. Indem man Rassismus legitimiert, schließt man rassistische Anteile in die Definition, wie der Staat funktionieren soll, ein.

Ich habe gesagt, daß diejenigen ausgeschlossen werden sollten, die das Töten ermöglichen, die die Zerstörung von Häusern und die Inhaftierung von Menschen unterstützen, Inhaftierungen wie die der 14jährigen Malak al-Khatib aus Ramallah, die zu zwei Monaten Gefängnis und drei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde. [2]

Die Politiker, die für den Tod von 2000 Palästinensern in Gaza verantwortlich sind und eine halbe Million Palästinenser zu Flüchtlingen gemacht haben, die 2 Millionen Menschen in das größte Gefängnis der Welt gesteckt haben, sollten ausgeschlossen werden und nicht jemand wie ich. Das Höchste, was ich verbrochen habe, ist, gegen diese Verletzungen der Menschenrechte und der universellen Werte zu kämpfen.

Es ist sehr wichtig für mich, daß ich wirklich stolz auf alles sein kann, was ich getan habe. Ich bin stolz darauf, weil mein demokratischer Kampf für mein Volk auf universellen Werten beruht wie Gerechtigkeit, Frieden und Gleichberechtigung. Ich repräsentiere nicht allein einen palästinensischen Konsens und nicht nur den Konsens der arabischen Staatsbürger, sondern einen universellen Konsens. Das heißt, wenn man mich ausschließt, schließt man nicht mich persönlich als Hanin Zoabi aus, sondern man schließt die politische Repräsentanz der Araber in Israel aus. Das bedeutet gleichzeitig, daß die politische Möglichkeit, gegen den Rassismus zu kämpfen, ausgeschlossen wird und damit die Logik, daß der politische Kampf gegen Rassismus legitim ist. Das ist der wesentliche Gedanke dabei.


Während einer Sitzung - Foto: © Martin Lejeune, 2015

Hanin Zoabi und der Vorsitzende der Gemeinsamen Arabischen Liste, Ayman Odeh
Foto: © Martin Lejeune, 2015

ML: Was denken Sie über die zentrale Wahlkommission? Die Mehrheit ihrer Mitglieder gehört der Regierungskoalition an, das bedeutet, es ist sehr einfach für sie, andere Positionen auszuschließen.

HZ: Natürlich. Es war keine juristische Diskussion und auch keine juristische Entscheidung. Es war eine politische Diskussion innerhalb eines politischen Gremiums. Natürlich ist die Mehrheit für die Rechten und die Rechte ist dominant in diesem Gremium, weil es die Mehrheitsverhältnisse in der Knesset widerspiegelt. Auch die Knesset wird von einer rechtsgerichteten politischen Mehrheit dominiert. Die einzige Bedeutung von Demokratie ist hier die Tyrannei der Mehrheit. Die einzige Bedeutung von Demokratie ist hier, Entscheidungen zu treffen und Gesetze zu verabschieden. Wenn Demokratie auf diese Weise wahrgenommen wird, hat sie nichts zu tun mit Gleichberechtigung, mit Bürgerrechten, mit Menschenrechten, mit Gleichberechtigung unter Staatsbürgern, nichts zu tun mit Minderheitenrechten, den Rechten bestimmter Gruppierungen und mit Persönlichkeitsrechten. In Israel sind diese demokratischen Grundlagen nicht Teil der Demokratie, an die diese Menschen glauben. Sie glauben an eine rassistische Demokratie, das heißt, die Demokratie wird von der jüdischen Mehrheit in Israel bestimmt.

ML: Es war meine erste Erfahrung mit einer Sitzung des zentralen Wahlausschusses und ich war schockiert über die Art, wie Sie von einigen Knesset-Mitgliedern angegriffen und bedrängt wurden. Sie wurden nicht allein gestört und unterbrochen, sondern angeschrien und auch persönlich angegangen. Ist so etwas nicht verboten?

HZ: Es ist nicht verboten. Es hat Versuche gegeben in der Knesset, mich, neben den politischen und auch sexistischen Beleidigungen, darüber hinaus physisch anzugreifen. Daran können Sie sehen, daß es in diesem Spiel um Haß geht. Es gibt keine rationale Diskussion in der Knesset. Man bringt die eigenen Argumente in der Erwartung vor, daß auf rationale Weise und mit einem politischen Diskurs geantwortet wird, der Übereinstimmung oder Ablehnung mit diesen Argumenten zeigt, aber man stößt dann auf eine Politik des Hasses und der Personalisierung. Und das wiederholt sich. Sie sind nicht in der Lage auf rationale Weise politisch zu diskutieren. Von ihrer inneren Einstellung her sind sie einfach gegen Sie. In der Knesset erlebe ich nur Aufstachelung und Haß, Feindseligkeit und Delegitimierung. Auch das ist eine Schwierigkeit innerhalb der israelischen politischen Kultur, daß es keinen Raum gibt für eine rationale Diskussion. Es ist nicht nur eine Frage des Rassismus, sondern der politische Diskurs bewegt sich lediglich an der Oberfläche.

ML: Darf ich Sie als Außenstehender aus Deutschland einmal fragen, warum Sie trotz der Feindseligkeit und der Schikane, die Sie beschreiben, immer wieder für die Knesset kandidieren?

HZ: Ich würde antworten, daß sich die Aggressionen nicht gegen mich persönlich richten, sondern ein Teil der Hetze, der Feindseligkeiten und des ganz physischen Angriffs gegen mein Volk sind. Aus meiner Sicht müssen wir alle demokratischen Instrumente in die Hand nehmen, um uns zu wehren. Und die Knesset ist eines dieser Instrumente, weil sie uns Sichtbarkeit verleiht. In den Augen der israelischen Hegemonie und der öffentlichen Meinung in Israel existieren wir nicht. Wir, die palästinensische Minderheit von 1,2 Millionen Menschen, existieren nicht in Israel. Wir existieren außerhalb ihrer Wahrnehmung. Sie glauben tatsächlich, daß sie in einem jüdischen Staat leben, obwohl die Realität eine bi-nationale ist. Wir repräsentieren jetzt 18 Prozent der Gesellschaft, in zehn Jahren werden wir 26 Prozent sein und noch immer bewegen wir uns außerhalb ihrer Wahrnehmung. Sie sind sich der Palästinenser in der Westbank und im Gazastreifen weit mehr bewußt. Sie können sie bombardieren, ihr Land stehlen, sie gefangennehmen, sie töten, aber sie sind Teil ihres Bewußtseins. Es ist eine Ironie, daß die Palästinenser innerhalb Israels, die israelische Staatsbürger sind, nicht Teil des israelischen Bewußtseins bilden. Wir sind wie Schatten, wir sind unbekannt, wir sind unsichtbar. Die Knesset gibt uns also Sichtbarkeit. Die Knesset ist eine Plattform, auf der man sagen kann: Wir wollen 100%ige Staatsbürger sein und 100%ige Palästinenser.

ML: Was halten Sie von Führungspersonen wie Raed Salah aus Umm al-Fahm [3], der beschlossen hat, nicht für die Knesset zu kandidieren?

HZ: Ich respektiere diese Entscheidung, die Knesset aus ideologischen Gründen zu boykottieren. Aber für mich müßte es einen Konsens unter den Palästinensern, also eine Mehrheit dafür geben, um das als alternative Strategie und alternativen Rahmen für die Auseinandersetzung anzunehmen. Erst dann ist es als Strategie effizient. Ich lehne das nicht grundsätzlich ab, aber ich denke, daß die Bedingungen stimmen müssen.

ML: Laut Paragraph 7a des Knesset-Grundgesetzes [4], kann man aus drei Gründen ausgeschlossen werden. Punkt 1 lautet, man muß den jüdischen Charakter des Staates anerkennen.

HZ: Den jüdischen demokratischen Staat. Unsere politische Vision ist ein Israel als Staat für alle seine Bürger.

ML: Seit drei Jahren versuchen Herr Liebermann und Ministerpräsident Netanjahu, ein neues, ein Nationalstaatsgesetz zu installieren. Was wäre der Unterschied zu den bereits existierenden Grundgesetzen?

HZ: Eine weitere Einschränkung der Möglichkeiten, für eine wirkliche Demokratie zu streiten. Sie wollen den Staat Israel nicht nur als den Staat seiner jüdischen Bürger definieren, sondern als Nationalstaat des jüdischen Volkes in aller Welt.

ML: Sie waren für sechs Monate von der Knesset suspendiert. Ist Ihnen ein solches Beispiel, daß ein Parlamentsmitglied für so lange Zeit ausgeschlossen wird, aus einem anderen Land bekannt?

HZ: Nein. Zudem ist Israel der einzige Staat, der Menschen bis heute unter Besatzung hält. Die israelische Okkupation der Palästinenser ist die anhaltendste der neuzeitlichen Geschichte und dauert weiter an.


[1] http://www.timesofisrael.com/supreme-court-says-arab-mk-far-right-activist-can-run-for-knesset/

[2] http://www.theguardian.com/world/2015/feb/15/14-year-old-palestinian-girl-jailed-israel-freed-early-stone-throwing-malak-al-khatib

[3] Scheik Raed Salah: Der dreimalige Bürgermeister der israelisch-arabischen Ortschaft Umm al-Fahm ist der Vorsitzende des nördlichen Zweigs der Islamischen Bewegung. Der südliche Zweig beteiligt sich hingegen an der Gemeinsamen Arabischen Liste.
http://972mag.com/doing-gods-work-a-look-at-the-islamic-movement-in-israel/104201/

[4] Knesset-Grundgesetz, verabschiedet von der 3. Knesset am 12.2.1958 7A. Verhinderung der Teilnahme von Kandidatenlisten (Anhang 9, 35, und 39) 
a. Eine Kandidatenliste darf nicht an den Knesset-Wahlen teilnehmen und eine Person darf nicht für die Knesset-Wahlen kandidieren, wenn die Ziele oder Handlungen der Liste oder der Person unmittelbar oder mittelbar einen der folgenden Punkte erfüllen:
1. Verneinung der Existenz des Staates Israel als jüdischer und demokratischer Staat;
2. Aufstachelung zum Rassenhaß;
3. Unterstützung des bewaffneten Kampfs eines feindlichen Staates oder einer terroristischen Organisation gegen den Staat Israel.
(Übersetzung: Redaktion Schattenblick - siehe Link zum Original)
http://www.knesset.gov.il/laws/special/eng/basic2_eng.htm

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Quelle:
Martin Lejeune, 20.02.2015
Freier Journalist, Berlin
E-Mail: info@martinlejeune.com
Homepage: www.martinlejeune.com
Facebook: www.facebook.com/lejeune.berlin
Blog: martin-lejeune.tumblr.com

Transkription und Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2015

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