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NAHOST/1083: Zu den Hintergründen der saudisch-iranischen Annäherung (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 13 vom 31. März 2023
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kooperation und Entwicklung
Zu den Hintergründen der saudisch-iranischen Annäherung

von Klaus Wagener


Das Bild vom 11. März wirkt eher bescheiden: Der ehemalige chinesische Außenminister Wang Yi steht zwischen Admiral Ali Schamchani, dem Sekretär des iranischen Nationalen Sicherheitsrats, und Staatsminister Musaed bin Mohammad Al-Aiban, Saudi-Arabiens Nationalem Sicherheitsberater. Letztere reichen sich die Hand. Ein Ereignis, das Potenzial hat, eine Wende in den internationalen Beziehungen einzuleiten.


Teile und herrsche!

Imperien, deren Bestreben darin besteht, andere Völker auszubeuten, haben neben anderen Herrschaftstechniken eine Vorliebe für die alte Devise "Teile und herrsche!". Das wussten schon die alten Römer, später die britischen Kolonialherrscher und heute das US-Finanzkapital. Seinen politischen Stellvertretern, den US-Neokonservativen (Neocons), geht es erklärtermaßen darum, die ganze Welt unter die Kontrolle der "Einzigen Weltmacht" zu bekommen. Zu diesem Zweck sind Konflikte und Kriege unverzichtbar. Als Vehikel eignet sich in der muslimisch dominierten Welt des Nahen und Mittleren Ostens vor allem das "islamische Schisma", die Teilung zwischen Sunniten und Schiiten.

Nationalismus und religiöse Gefühle eignen sich bekanntlich bestens zur Herrschaftssicherung. Der rational begründete Internationalismus und die Klassensolidarität haben es gegen diese weit verbreiteten Irrationalismen immer recht schwer gehabt. Das gilt auch für den antikolonialen und zeitweise sozialistisch geprägten Panarabismus. Die zahlreichen vom Antikolonialismus beflügelten panarabischen Einheitsbestrebungen hatten ihre große Zeit, als die damals aufstrebende Sowjetunion den weltweit siegreichen Befreiungsbewegungen Rückhalt, solidarisch-materielle und moralisch-propagandistische Hilfe leisten konnte. Die Arabische Liga und der Golf-Kooperationsrat sind in gewisser Weise Rudimente dieser Vereinigungsbewegung.


Zur strategischen Bedeutung der Großregion

Nur mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und der neokolonialen US-Machtpolitik im Nahen und Mittleren Osten im Hinterkopf lässt sich ermessen, wie gravierend der historische Bruch ist, der sich mit der von China moderierten Einigung Irans mit Saudi-Arabien abzeichnet. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Dampfkraft die industrielle Förderung und Raffinierung von Erdöl ermöglichte, wurde schnell klar, dass dies der Treibstoff des zeitgleich entstehenden Monopolkapitalismus und seiner gigantischen motorgetriebenen Militärformationen sein würde. Erdöllagerstätten bekamen strategische Bedeutung. Britannien, Frankreich und das Deutsche Reich wandten sich dem Nahen und Mittleren Osten zu und versuchten das zerfallende Osmanische Reich zu "beerben". Sie besetzten die Arabische Halbinsel und Teile Persiens und begannen ihre Suche nach Öl. In Gebieten mit Ölquellen machten sie willfährige Stammesführer zu Königen. Die gigantischen Profite aus Ölförderung und -weiterverarbeitung heimsten die europäischen Monopole ein. Die politische Struktur der Region und die daraus bis heute erwachsenden Konflikte stammen zum großen Teil noch aus dieser Zeit.


Auftritt USA

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA auf dem Höhepunkt ihrer ökonomischen und militärischen Macht. Das US-Finanzkapital hatte schon den Kriegseintritt der USA mit dem Ziel des Aufbaus eines globalen Imperiums forciert. Dazu brauchte man Kriege und entsprechende Feinde. Nach 1945 wurde das Feindbild ausgewechselt. Man benötigte zuverlässige regionale Vasallen wie Winston Churchill oder die Adenauer-Regierung. Im fossilenergiereichen Mittleren Osten war diese Rolle den Saudis zugedacht. 1945 hatte Franklin Delano Roosevelt mit dem König von britischen Gnaden, Abd al-Aziz ibn Saud, einen strategischen Deal abgeschlossen. Mit ihm sicherten sich die USA die Kontrolle über die wichtigsten Rohstoffe des Mittleren Ostens. Ibn Saud garantierte der Deal, das von seinem Clan eroberte und nach ihm benannte Territorium behalten zu dürfen. Und natürlich garantierte der Deal den US-Ölgiganten den ungehinderten Zugriff auf das saudische Öl.

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre war das US-Imperium nicht mehr in der Lage, seinen Krieg in Vietnam seriös zu finanzieren. Schon der Krieg gegen Nordkorea war eine Herausforderung für den US-Dollar gewesen. Im Bretton-Woods-Abkommen hatten sich die USA verpflichtet, 35 Dollar gegen eine Unze Gold zu tauschen. Nun waren die enormen US-Goldreserven praktisch aufgebraucht. US-Präsident Richard Nixon verkündete am 15. August 1971 das Ende des "Gold-Dollar". Diese Teilinsolvenz hätte den Kurswert des Dollars und seine Funktion als Reservewährung infrage gestellt. Er musste anderweitig abgesichert werden. Die USA zwangen die Saudis, ihre Ölgeschäfte zukünftig nur noch in Dollar abzuwickeln. Ihren dominanten Einfluss in der OPEC sollten sie dahingehend geltend machen, dass dies künftig auch für alle sonstigen Ölgeschäfte gültig sein solle. Da jede Volkswirtschaft Öl benötigt, war ab diesem Zeitpunkt klar, dass jeder Staat große Dollar-Reserven anlegen musste. Kein Dollar - kein Öl. Damit war der Weg zur globalen Reservewährung und zum globalen Zahlungsmittel geebnet.

Die Saudis ihrerseits konnten die so erworbenen Dollar in den USA sowohl investieren als auch damit Waffen kaufen. Das stützte nicht unerheblich die US-Wirtschaft, relevanter Einfluss auf US-Monopole blieb ihnen aber verwehrt.

Mit den US-Waffen sicherten sich die Saudis eine gewisse Vormachtstellung auf der Arabischen Halbinsel. Auf dem uralten antischiitischen Ticket wurde das Land zu einem Vorposten der US-Interessen und gegen seine Nachbarn Irak und Iran in Stellung gebracht.


Die "saudische Wende"

Die Krise in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien deutete sich mit der "Finanzkrise" von 2008 und Folgejahren an. Mit dieser Phase war die neoliberale, finanzkapitalistische Verwertungsform des Westens in eine existenzielle Krise eingetreten. Die neoliberale Selbstruinierung hatte in der Realwirtschaft ein absolut destruktives Stadium erreicht und es war klar ersichtlich, dass das US-Imperium in absehbarer Zeit über keine ökonomischen Mittel mehr verfügen würde, mit denen es dem Aufstieg der asiatischen Mächte begegnen könnte. Der 2001 begonnene "Krieg gegen den Terror" wurde beendet, die "Wende nach Asien" eingeläutet. Ebenso wurde klar, dass auch die militärischen Fähigkeiten des Imperiums vom allgemeinen Verfall nicht verschont geblieben waren. Die ständig steigenden Rüstungshaushalte hatten den militärisch-industriellen Komplex extrem groß, reich und korrupt gemacht. Die Fähigkeiten der USA, Krieg gegen Mächte auf Augenhöhe führen zu können, waren aber lange dahin. Was von den US-Waffen zu halten ist, zeigte sich für Saudi-Arabien mehr als deutlich, als es selbst den Huthi-Rebellen mehrfach gelang, saudische Ölraffinerien mit Drohnen anzugreifen und in Brand zu setzen, ohne dass die teuren US-"Patriot"-Systeme dies zu verhindern in der Lage gewesen wären. Der schmähliche US-Abzug aus Afghanistan machte dann endgültig klar, dass Washington zwar noch in der Lage ist, die Welt ins Chaos zu stürzen, konstruktive Lösungen der globalen Probleme von dort aber nicht zu erwarten sind.

2017 wurde der damals 31-jährige Prinz Mohammed bin Salman al-Saud zum "starken Mann" Saudi-Arabiens. Man kann das getrost eine Palastrevolte nennen. Rund 500 Personen waren betroffen, Vermögen im Wert von bis zu 800 Milliarden Dollar wurden eingefroren. Ein Coup, nicht so völlig überraschend im Haus der Sauds. Bin Salman war dabei zwar der Skrupelloseste, aber er hatte eine gewisse Vorstellung davon, wie es weitergehen könnte, wenn die Ölquellen versiegen. Seit 2016 war er dabei, mit weitreichenden und umfassenden strategischen Planungen wie "Vision 2030" oder dem 500 Milliarden Dollar schweren Megaprojekt "NEOM" - einer gigantischen, futuristischen Experimentierstadt im Nordwesten des Landes - an einer Diversifizierung der Ökonomie und der Entwicklung der materiellen und gesellschaftlichen Infrastruktur zu arbeiten. Ebenso wie die iranische Regierung, die versucht, ihre sanktionsgeschwächte Ökonomie und Infrastruktur auszubauen, zu erneuern und neu auszurichten, suchten auch die Saudis für ihre Zukunftsprojekte potente Partner. Und wenn es um Industrie- und Infrastrukturkapazitäten geht, kommt heute niemand mehr an China vorbei.

China ist ein globaler technologischer, industrieller und infrastruktureller Partner und der wichtigste Fossilenergiekonsument des Planeten. Die Zusammenarbeit mit China kreiert für Fossilenergie produzierende Staaten wie Iran und Saudi-Arabien, aber auch für andere Staaten der Golfregion und für Russland eine Win-win-Situation. Die Volksrepublik hat im März 2021 mit Iran einen 400 Milliarden Dollar schweren "Partnerschaftsvertrag" abgeschlossen. Entsprechenden Investitionen Chinas in die iranische Ökonomie und Infrastruktur steht die Lieferung deutlich verbilligten Öls aus Iran an China gegenüber. Ebenso hat der chinesische Infrastrukturgigant "China Railway Construction Corporation Limited" (CRCC) zahlreiche Projekte in Saudi-Arabien realisiert - darunter die 450 Kilometer lange Bahnstrecke Haramain High Speed Railway, welche die für den Islam so wichtigen Städte Mekka, Dschidda und Medina verbindet. China ist der größte Handelspartner für Saudi-Arabien, ebenso wie für Iran. Als der chinesische Präsident Xi Jinping im Dezember 2022 Riad besuchte, war klar, dass sich hier Großes anbahnte. Der Handschlag in Peking war nur der - vorläufige - Abschluss eines seit Längerem andauernden Prozesses.


Neue Bündnisse

Sollte es tatsächlich gelingen, den langjährigen Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien dauerhaft beizulegen und sollten die beiden Staaten zu einer - wobei Querschüsse und Rückschläge immer möglich sind - sozusagen pragmatischen Form der Kooperation finden, so wäre perspektivisch eine Zusammenarbeit der wichtigen Erdöl produzierenden Staaten - Russland, Brasilien, China, Iran, Saudi-Arabien, Venezuela, Mexiko und Algerien - in einer vom Westen unabhängigen und massiv erweiterten BRICS-Plus-Kooperation denkbar. BRICS Plus würde so seine Anziehungskraft auch auf andere Staaten des Globalen Südens massiv erhöhen. Diese dann um einen bedeutenden "OPEC-Flügel" erweiterte BRICS-Plus-Organisation würde auch jene kritische Masse generieren, welche die Schaffung einer Alternative zum Dollar ermöglichen würde - kein Wunder, dass in Washington alle Alarmsirenen heulen. Nichtsdestotrotz gießt Sergej Glasjew, einer der wichtigsten russischen Ökonomen und Geostrategen, ziemlich viel Wasser in den Wein: "Der Weg zu finanzieller Multipolarität wird lang und steinig sein", warnte er im Interview mit dem brasilianischen Journalisten Pepe Escobar.

Neben der globalen Dimension der BRICS-Plus-Kooperation ergeben sich aus der iranisch-saudischen Annäherung auch für die Eurasische Integration, die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), die Belt and Road Initiative (BRI) und die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft (EAEU) entscheidende Impulse. Gemeinsam mit Saudi-Arabien dürfte auch eine landgestützte Süderweiterung der BRI von Iran aus auf die Arabische Halbinsel und darüber hinaus in Richtung Ägypten und Afrika möglich sein. Damit wäre eine Erweiterung des momentan zwar schon betriebsfähigen, aber noch im Ausbau begriffenen Internationalen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC) denkbar. INSTC verbindet Indien über Iran und das Kaspische Meer mit Moskau und St. Petersburg und kreuzt dabei fast alle wichtigen BRI-Korridore. In Saudi-Arabien und den Golfstaaten begegnen sich Afrika, Asien und Europa. Diesen Weg dürfte der Homo erectus schon vor mehr als zwei Millionen Jahren bei seiner Wanderung von Afrika in die Welt genommen haben. Mit BRI-Korridoren über den Knotenpunkt Iran in Richtung Europa, Zentralasien, China und Ostasien würden sich wichtige neue Möglichkeiten ergeben. Diese Perspektive wurde bei Xis Besuch in Riad ebenso diskutiert wie eine baldige Vollmitgliedschaft Saudi-Arabiens in der SCO. Derzeit stehen die Aufnahmekandidaten für SCO und BRICS Plus Schlange. Iran erreichte die Vollmitgliedschaft Ende 2022. Beide Länder wären dann auch unter diesem Dach vereint.

Es braucht an dieser Stelle wohl kaum erwähnt zu werden, dass diese Entwicklungen weder die Neocons in Washington noch die Zionisten in Tel Aviv begeistern. Auch den politischen Vertretern des europäischen Monopolkapitals in Berlin und Paris können sie nicht gefallen.

Der gewaltige Umbruch sowohl im arabischen Raum als auch im Globalen Süden war neben dem Krieg in der Ukraine eines der Kernthemen des Staatsbesuchs von Xi in Moskau. Beide Mächte werden das ihnen Mögliche tun, um diese Entwicklungen voranzutreiben.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 55. Jahrgang,
Nr. 13 vom 31. März 2023, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. April 2023

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