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NAHOST/510: "Der Iran ist zu unabhängig und zu ungehorsam" - Gespräch mit Noam Chomsky (Tlaxcala)


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"Der Iran ist zu unabhängig und zu ungehorsam" - Gespräch mit Noam Chomsky

Von Kourosh Ziabari, 24.04.2009
Übersetzt von Inga Gelsdorf/Ellen Rohlfs, geprüft von Fausto Giudice


Noam Chomsky bedarf keiner Einführung. Er ist der bedeutendste sozialpolitische Analytiker und Redner der heutigen Ära und ist "neben den Großen wie Marx und Shakespeare sowie der Bibel eine der zehn meist zitierten Quellen der Geisteswissenschaften, und er ist der einzige Schreiber unter ihnen, der noch lebt" wie der Guardian schreibt.

Über Chomskys "Hegemony or Survival" (Hegemonie oder Überleben) sagte Hugo Chávez, der Präsident von Venezuela, in seiner Rede vor den Vereinten Nationen: "Ich würde gerne Sie und diejenigen, die dieses Buch nicht gelesen haben, respektvoll einladen, es zu lesen."

Als Antwort auf die Frage von Andrew Stephen, Korrespondent des New Stateman, was er getan hätte, wenn er der US-Präsident wäre, schlug Chomsky vor: "Ich würde ein Kriegsgericht für meine eigenen Verbrechen errichten, weil ich mich, indem ich das auf mich nähme, mit der institutionellen Struktur und der Kultur, der intellektuellen Kultur, auseinandersetzen würde. Die Kultur muss "kuriert" werden."

In diesem Interview sprach ich mit Prof. Chomsky über den Iran und das Atomproblem, die Beziehungen zwischen Washington und Teheran und die globale Auswirkung der zionistischen Lobbys. Ein Auszug dieser Konversation wurde zuerst von der führenden englischsprachigen Tageszeitung, Teheran Times, veröffentlicht.


Frage: Prof. Chomsky, Sie haben einige Male gesagt, dass die meisten Länder der Welt, einschließlich der Mitglieder der Blockfreien Staaten, das nukleare Dossier des Irans unterstützen, jedoch die US-amerikanischen Neo-Konservativen trompeten immer noch ihre alten Slogans hinaus. Weshalb?

Chomsky: Nicht nur die Blockfreien Staaten, sondern auch die große Mehrheit der US-Amerikaner glauben, der Iran habe ein Recht auf Entwicklung von Atomenergie. Aber in den USA ist sich keiner dessen bewusst. Dies schließt diejenigen ein, die befragt werden, und annehmen, dass sie die einzigen sind, die davon überzeugt sind. Nichts wurde darüber jemals veröffentlicht. Was in den Medien permanent erscheint, ist, dass die internationale Gemeinschaft verlangt, dass der Iran die Anreicherung von Uran einstellt. Beinahe nirgends geht daraus hervor, dass der Ausdruck "internationale Gemeinschaft" konventionell gebraucht wird, wenn es um Washington geht - was auch immer dazu gehört - nicht nur im Hinblick auf dieses Problem.

Frage: Die meisten Analytiker der internationalen Geschehnisse können den nuklearen Doppelstandard der US-Regierung nicht ertragen. Aber fast keiner in den USA ist sich dessen bewusst. Während die USA das Atomarsenal Israels unterstützt, setzt sie den Iran permanent unter Druck, sein ziviles Atomprogramm zu stoppen. Welches sind die Gründe? Besitzt die IAEA auch die Befugnis, Israels atomare Waffen zu überprüfen?

Chomsky: Der Hauptpunkt wurde sehr ausführlich von Henry Kissinger erklärt. Er wurde von der Washington Post befragt, weshalb er heute behauptet, der Iran benötige keine Atomenergie und somit an der Herstellung einer Bombe arbeite, wohingegen er in den 70er-Jahren energisch darauf bestand, der Iran benötige Atomenergie und die USA müsse den Schah mit den dazu erforderlichen Mitteln versorgen. Seine Antwort war "echt" Kissinger: "Das Land gehörte zu unseren Verbündeten, daher brauchten sie Atomenergie. Heute sind es keine Verbündeten mehr, daher brauchen sie auch keine Atomenergie." Was Israel betrifft, so ist es ein Verbündeter, genauer ein Klientel-Staat. Daher erhält es vom Meister das Recht. zu tun, was ihm beliebt.

Die IAEA hat die Befugnis, aber die USA würde niemals zulassen, dass sie diese ausübt. Die neue US-Regierung hat bisher keine Anzeichen einer Änderung angedeutet.

Frage: Es gibt vier souveräne Staaten, die bisher den NPT (Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag) nicht ratifiziert haben und unbeschränkt atomare Waffen verfolgen. Wird der Iran von dem derzeitigen Druck befreit; sollte er seine Ratifizierung stoppen und von dem Vertrag zurücktreten?

Chomsky: Nein, das würde nur den Druck verstärken. Abgesehen von Nordkorea erhalten alle diese Länder eine beträchtliche Unterstützung der USA. Die Reagan-Regierung behauptete, nicht gewusst zu haben, dass ihr pakistanischer Verbündeter im Begriff war, Nuklearwaffen zu entwickeln, so dass die Diktatur massive US-Unterstützung bekommen konnte. Die USA stimmten zu, Indien in seiner atomaren Entwicklung zu unterstützen, und Israel ist ein Sonderfall.

Frage: Welche möglichen Faktoren behindern die Aufnahme von direkten Gesprächen zwischen dem Iran und den USA? Übt die Israel-Lobby großen Einfluss auf das Korporationsregime von Amerika aus?

Chomsky: Die Israel-Lobby hat einigen Einfluss, aber er ist begrenzt. Das zeigte sich wieder einmal im Fall des Irans letzten Sommer während der Präsidentenkampagne, einer Zeit, wo der Einfluss der Lobbys seinen Höhepunkt erreichte. Die Israel-Lobby wollte, dass der Kongress ein Gesetz erlässt, das eine Blockade des Irans fordert, eine Kriegshandlung. Die Maßnahme gewann erhebliche Unterstützung, verschwand dann aber plötzlich, wahrscheinlich, weil das Weiße Haus dezent klar machte, dass es dagegen war.

Was die aktuellen Faktoren angeht, so haben wir jedoch keine gleichen internen Berichte, so muss man Vermutungen anstellen. Wir wissen, dass eine große Mehrheit der US-Amerikaner normale Beziehungen mit dem Iran haben möchte, aber öffentliche Meinungen beeinflussen kaum die Politik. Größere US-Großunternehmen, die mächtigen Energiegroßunternehmen eingeschlossen, wollen Irans Ölquellen erschließen. Aber der Staat beharrt anderweitig. Ich schätze, der Hauptgrund dafür ist, dass der Iran zu unabhängig und zu ungehorsam ist. Großmächte tolerieren dies in dem, was sie als ihre Domäne ansehen, nicht und die größten energieerzeugenden Regionen der Welt werden schon seit langem als Domäne der anglo-amerikanischen Allianz angesehen, nun auch mit einem auf einen Juniorpartner reduzierten England.

Frage: Wird es eine taktische oder systematische Wandlung in den Hauptmedien Amerikas in Bezug auf den Iran während der Amtszeit von Präsident Obama geben? Sollen wir eine Absplitterung der Massen von der anti-iranischen, schwarzen Propaganda erwarten?

Chomsky: Die Medien halten am allgemeinen Rahmen der Staatspolitik fest, auch wenn Taten der Politik aus taktischen Gründen manchmal kritisiert werden. Deshalb hängt eine Menge von der Einstellung ab, den die Obama-Regierung einnimmt.

Frage: Und schließlich, glauben Sie, dass der US-Präsident dem iranischen Vorschlag folgen und sich für die historischen Verbrechen (der USA) gegenüber dem Iran entschuldigen sollte?

Chomsky: Ich denke, dass die Mächtigen ihre Verbrechen immer zugeben und sich bei den Opfern entschuldigen, ja viel weiter gehen und Reparaturen bereitstellen sollten. Unglücklicher Weise wird die Welt weitgehendst von der Maxime des Thukydides regiert: die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen leiden, wie sie müssen. Langsam, wird die Welt allgemein zivilisierter werden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.


Quelle: Foreign Policy Journal-Iran is too independent and disobedient: Chomsky
http://www.foreignpolicyjournal.com/2009/04/20/iran-is-too-independent-and-disobedient-chomsky/
Originalartikel veröffentlicht am 20.4.2009


Kourosh Ziabari ist ein iranischer Medienkorrespondent, freiberuflicher Journalist und der Autor des Buches "7+1". Er verfasst regelmäßig Beiträge für Webseiten und Magazine in den Niederlanden, Kanada, Italien, Hongkong, Bulgarien, Südkorea, Belgien, Deutschland, Großbritannien und den USA.
Er ist ein Mitglied der Redaktion von Stony Brook University Publications und des Vorstands von Media Left-Magazin, außerdem schreibt er für das preisgekrönte finnische Magzin Ovi. Als junger iranischer Journalist ist er bisher von mehreren Mainstreammedien interviewt und zitiert worden, darunter BBC World Service, PBS Media Shift, The Media Line Network, Deutsche Financial Times, L.A. Times und Sky News.
Er schreibt für die Zeitung Tehran Times.
Seine Artikel wurden bisher in das Spanische, Italienische, Französsiche, Deutsche und Arabische übersetzt. Er ist Mitglied von Tlaxcala.

Inga Gelsdorf und Ellen Rohlfs sind Mitarbeiterinnen und Fausto Giudice ein Mitglied von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, die Übersetzerinnen, der Prüfer als auch die Quelle genannt werden.

URL dieses Artikels auf Tlaxcala:
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=7566&lg=de


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009