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NAHOST/570: Neo-liberales Jordanien - Der Widerstand der Straße (inamo)


inamo Heft 59 - Berichte & Analysen - Herbst 2009
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Neo-liberales Jordanien: Der Widerstand der Straße

Von Hisham Bustani


Jordanien erlebt unter König Abdullah II eine intensive Phase der Wirtschaftsliberalisierung. Das Land soll erst ökonomisch und dann politisch fit für seine neue Rolle als Brückenkopf eines globalisierten Kapitalismus in der Region gemacht werden. Die jordanische Elite befürwortet die neoliberalen Reformen. Für die große Masse der Bevölkerung bringen die sattsam bekannten Strukturanpassungsmaßnahmen aber erhebliche Belastungen. Hisham Bustani beschreibt in seinem Beitrag die Gewinner und Verlierer der jordanischen Fassung des Stücks "Privatisierung ist die Zukunft!". Er zeichnet die Akteure differenziert und beschreibt die Solidarisierungseffekte innerhalb der Bevölkerung und speziell innerhalb der Arbeiterschaft.


Aus Sicht des jordanischen Regimes ist viel geschehen in Sachen jordanischer Wirtschaft. Aber was genau den Fortschritt ausmacht, wäre nicht leicht zu definieren. Es wäre eine sehr vielschichtige Angelegenheit und sie würde am Ende eher beim Gegenteil von Fortschritt ankommen. Es ist die Geschichte wie Jordanien neoliberal wurde und vom gesellschaftlichen Kampf gegen diesen Trend.


Die Wurzeln der Wirtschaftsliberalisierung

So mancher würde annehmen, dass die neoliberalen Veränderungen in Jordanien mit der Inthronisierung Abdullahs II zur Jahrtausendwende begonnen hat. Die oft vernachlässigte Wahrheit ist, dass sie bereits zehn Jahre zuvor begannen. In den späten 1980er Jahren konnte Jordanien nicht mehr die Zinsen für seine Auslandsschulden bezahlen. Es kam zum Wirtschaftskollaps und der jordanische Dinar verlor beinahe über Nacht 65% seines Werts gegenüber dem US-Dollar. Der Internationale Währungsfonds IWF und die Weltbank intervenierten mit ihren berüchtigten Strukturanpassungsmaßnahmen. Die langsame aber sichere Reise zur Einführung des freien Marktes und zur Rücknahme staatlicher Sozialleistungen begann mit der teilweisen Abschaffung der Subventionierung von Erdölprodukten. Die Folge war ein sprunghafter Anstieg der Preise was wiederum einen Volksaufstand im Süden nach sich zog, dem ärmsten Teil des Landes.

Um die wütenden Massen des Aufstandes vom April 1989, der im Kern wirtschaftlich begründet war, zu beruhigen, bot der damalige König Hussain eine politische Lösung an:

Das Ende des Kriegsrechts (bereits im Jahre 1957! ausgerufen) und die Legalisierung von politischen Parteien (bis dahin waren alle Parteien außer der Muslimbruderschaft illegal).

Im Laufe der Zeit sind diese kleinen demokratischen Profite wieder zurückgenommen worden. Die Parteien wurden durch gesetzliche Auflagen eingeengt und die regulären Gesetze wurden durch Regierungsverordnungen und ein gehorsames Parlament "verkriegsrechtlicht". Die Liberalisierung, d.h. die sogenannte Wirtschaftsreform, ging derweil ungebremst voran. Das Volk und die politischen Eliten waren in die Falle der demokratischen Reform getappt.


Die Liberalisierung des Brotes

Gegen Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts machte Jordanien große Fortschritte in Sachen Strukturanpassung. Der Friedensvertrag mit Israel wurde trotz überwältigender Ablehnung im Volk und trotz desaströser politisch-ökonomischer Auswirkungen (siehe unten) unterschrieben.

Im Jahre 1996 entschied die Regierung dann, teilweise die Subventionierung von Weizen einzustellen. Weizen, der die Grundlage für Brot ist und damit die zentrale Säule der Ernährung der gesamten Bevölkerung und ganz besonders der Armen. Wieder erhob sich der Süden gegen diese Entscheidung, diesmal mit Beteiligung der linken und nationalen Parteien. Die Muslimbruderschaft nahm nicht teil. Während der König die Demonstranten als "Mäuse, die aus ihren Löchern kommen" beschimpfte, dankte er der Muslimbruderschaft für deren Verantwortungsbewusstsein. Die Brotunruhen, als die der Aufstand bekannt wurde, wurden unterdrückt und hatten weder eine politische noch eine ökonomische Folge.


Der Schachzug der Legislative

Aber die wirksamsten Maßnahmen um die neoliberale Agenda voranzutreiben kamen im Juli 2001, fast zwei Jahre nach der Inthronisierung von König Abdullah II. Der König entschied, die Wahlen aufzuschieben wegen Instabilität in der Region. Mit Instabilität waren die zweite Intifada, der zweite Aufstand der Palästinenser in Palästina und der massive Versuch Israels gemeint, diesen zu unterdrücken. Das Regime wusste, dass Wahlen unter diesen Umständen in einen weitflächigen Sieg des islamischen Lagers münden würden. Eine Option, die nicht sein sollte. Die Lösung: Keine Wahlen!

Jordanien hatte deshalb ein parlamentarisches Vakuum zu verzeichnen, das annähernd zwei Jahre dauerte. In dieser Zeit wurden über 200 zeitlich befristete Verordnungen erlassen, die hauptsächlich die Wirtschaft und die Bürgerrechte betrafen. Weitere Preisgaben staatlicher Aufgaben und Marktregelungen wurden in Gesetze gegossen. Grundeigentum und Unternehmen durften vollständig durch ausländisches Kapital besessen werden. Sonderrechte, Anreize und Steuerbefreiungen sollten ausländische Investoren anlocken. Gleichzeitig beschnitten befristete Verordnungen die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht und das Organisationsrecht, alles um jeden möglichen Widerstand gegen diese "neuen neo-liberalen Reformen" zu verhindern bzw. zu unterdrücken. Die "Allgemeine Versammlungsverordnung" beispielsweise erschwerte massiv die freien Versammlungen. Es gab sogar eine "Fahnenverordnung", die das Hissen von ausländischen Fahnen, z.B. die Palästinas oder die des Irak verbot.

Während der Markt befreit wurde, wurden die Freiheiten eingesperrt. Das ist die Lüge in dem Begriff "Freie Marktwirtschaft". Da diese die große Masse der Bevölkerung in negativer Weise zugunsten einer kapitalistischen Minderheit trifft, neigt sie dazu, jeden möglichen Protest seitens der Mehrheit zu beschränken und zu kriminalisieren.


Lebendige Liberalisierung, zerstörte Demokratisierung

Nachdem das Parlament schließlich im Jahre 2003 gewählt worden war, wurden viele der befristeten Verordnungen in dauerhafte Gesetze umgewandelt. So erhielt ein undemokratischer Prozess einen demokratischen Anstrich.

Es ist beachtenswert, dass Betrug, Stimmenkauf und Wahlbeeinflussung in Jordanien sehr verbreitet sind. Zusätzlich erzeugt das "one vote law", eine befristete Verordnung, die den Wahlablauf regelt, ein schwaches, leicht zu manipulierendes und Clan-bezogenes Parlament. Aufgrund der besonderen sozialen Zusammensetzung Jordaniens, in der Familienbande eine wichtige Rolle spielen, führt die Aufteilung des Landes in kleine Wahlbezirke zu einer Überbetonung der Familien und Clans als politischer Einheit. Die erste Parlamentswahl im Jahr 1989 wurde nicht auf dieser Basis durchgeführt. Das Ergebnis war ein starkes politisiertes Parlament.

Aber das Regime lernte schnell. Seit 1993 werden die Wahlen nach dem "one vote law"-System durchgeführt und im Ergebnis sieht man jetzt ein entpolitisiertes Parlament. Als das "one vote"-System auch auf andere Wahlen, wie zum Beispiel die Wahlen der Studentenvertretungen oder der Stadträte, übertragen wurde, war das Ergebnis ein Rückfall Jordaniens um Jahrzehnte. Geschaffen wurde ein System, in dem es wegen Nichtigkeiten wie der Beleidigung eines Cousins zu Unruhen kommt, aber eine wichtige Frage, wie die Privatisierung des öffentlichen Sektors, kaum Resonanz findet. Das Regime hat es geschafft, sich geneigte Parlamentsabgeordnete heranzuziehen, die mehr daran interessiert sind, Arbeitsplätze und Sozialleistungen für Verwandte zu sichern, als sich für politische und ökonomische Themen einzusetzen.

Wenn man jetzt noch die Sonderprivilegien für Abgeordnete hinzunimmt, dann wundert es nicht, dass das Parlament in keiner Weise in der Lage ist, die Executive zu überwachen und das Budget zu kontrollieren. Zurzeit gibt es 10 Universitätsplätze zur freien Verfügung bzw. Weitergabe durch jeden Abgeordneten. Jeder Abgeordnete kann zollfrei ein Auto importieren und dieses Recht auch verkaufen. All das hat dazu geführt, dass die Regierung alle staatlichen Institutionen beherrscht. Die Durchführung ihres neo-liberalen Unterfangens ist damit sehr leicht geworden.


War es der Fehler der Wirtschaftberater?

Viele würden die Schuld an dieser Situation den königlichen Beratern geben. Sie seien das Hauptproblem in Jordanien. Die Berater anzuklagen ist aber lediglich der Feigheit geschuldet, die gesamte politische Administration für die ökonomischen und politischen Fehler verantwortlich zu machen. Berater arbeiten nicht unabhängig und, wie der Name schon sagt, sie beraten, sie entscheiden nicht.

Das jordanische Gesetz verbietet jedwede Kritik des Königs oder der königlichen Familie. Wörtlich spricht das Gesetz von "Zungenverlängerung". Wer also seine "Zunge verlängert" indem er den König kritisiert, wandert ins Gefängnis. Manchmal geht man sogar ins Gefängnis, weil man jemanden kritisiert hat, der gar nicht selbst der königlichen Familie angehört. Toujun Faisal, eine bekannte Oppositionspolitikerin und ehemalige Abgeordnete, hat im Gefängnis gesessen, weil sie Ali Abu-Ragheb, den für die neo-liberalen Verordnungen während der Suspendierung des Parlaments verantwortlichen Premierminister kritisierte. Das Gericht befand sie schuldig der "Beleidigung der Integrität des Staates", einem Vergehen gemäß dem Strafgesetzbuch, das jeden gegen jede Kritik immunisiert. Wenn man also die Berater beschuldigt, dann kostet das vergleichsweise wenig. Darüber hinaus zeigt es die Angst in einem Land, das sich demokratisch nennt.

Basem Awadalla, der meist angegriffene neo-liberale Berater, war nie ein Newcomer im Regime. Vor seinen goldenen Jahren als Planungsminister und Finanzminister (2001 bis 2008) war er Wirtschaftsberater des Premierministers von 1991 bis 1999 und danach der Direktor der Wirtschaftsabteilung des Hofes. Neoliberalismus war also nichts Neues für ihn.

Bemerkenswert ist, dass viele Minister, die im Amt die neo-liberale Politik umsetzen, genau diese Politik kritisieren, sobald, sie ihr Amt verlassen. Daran kann man erkennen, dass sie selten die Politik formulieren sondern diese lediglich ausführen.

Manchmal kommt es zu Interessenskonflikten innerhalb des Regimes, weil der Kuchen dann doch nicht nach jedermanns Geschmack geteilt worden ist. Selten sind es inhaltliche Auseinandersetzungen oder gar unterschiedliche Denkschulen; meist geht es ausschließlich um Pfründe und um Macht. Die alte Garde der Staatsbürokratie griff Basem Awadalla und sein neo-liberales Team an, weil letztere begonnen hatten, die wichtigen politischen Ämter zu besetzen. Kaum einer erinnerte sich, dass die neo-liberale Agenda ursprünglich genau von dieser alten Garde, die sie jetzt kritisierte, eingeführt worden war. Schließlich hatte eben jene alte Garde die Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF im Jahre 1989 akzeptiert, die zur Entwertung des Dinars und den Aufständen im Süden geführt hatten.

Sobald die Konflikte zwischen den rivalisierenden Gruppen innerhalb des Regimes ein gewisses Maß überschreiten, schreitet der König ein. Aber nicht etwa durch einen Politikwechsel, sondern lediglich durch den Austausch von Köpfen. Also, keine Wirtschaftspolitik, sondern Krisenmanagement, heißt die Losung. Hauptsache, die neo-liberale Richtung wird eingehalten.


Die angemessene Perspektive auf Jordanien

Es ist nicht angebracht, Jordanien als politisch und wirtschaftlich unabhängiges Land zu betrachten. US-Einrichtungen wie beispielsweise USAID finanzieren und planen die zentralen Sektoren in Jordanien: Gesundheit, Bildung, Planung, Wasser und Energie. Nicht vernachlässigen darf man die engen Beziehungen der USA zu vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen. USAID unterhält in nahezu jedem jordanischen Ministerium Verbindungsbüros.

Jordanien hat das jordanisch-amerikanische Freihandelsabkommen unterzeichnet. Klar ist, dass die Waage dieses freien Handels niemals auf die jordanische Seite ausschlägt. Das Bild wird ergänzt durch die enge militärische Kooperation zwischen Jordanien und den USA, besonders nach dem 11. September 2001. Viele Berichte weisen darauf hin, das Jordaniens Sicherheitsapparat Teil der geheimen US-Gefängnisse, der illegalen Deportationen von Gefangenen und der Folterungen außerhalb der USA ist. Man kann sich den Einfluss der USA auf die jordanische Politik und Wirtschaft gut vorstellen.

Dann gibt es da ja noch den Einfluss, den die Weltbank und der IWF spielen. Die Strukturanpassungsmaßnahmen haben, wie überall im Süden, im Ergebnis zu mehr Armut und Arbeitslosigkeit und einer allgemeinen Destabilisierung der Wirtschaft geführt.

Dann gibt es da noch den Einfluss Israels. Das Friedensabkommen mit Israel bedeutet nicht nur das Ende des jordanischen Boykotts israelischer Waren und Dienstleistungen, es verpflichtet Jordanien auch, sich für das Ende von Boykottmaßnahmen gegen Israel seitens Dritter einzusetzen. Im Grunde ist Jordanien zu einem Moderator für die israelische Wirtschaft geworden. Das Friedensabkommen spricht in vielen Artikeln von der Absicht, einen regionalen Rahmen, einen Rahmen der erweiterten regionalen Wirtschaftszusammenarbeit zu schaffen. Bedenkt man den militärisch-politischen Status und die unbeschränkte amerikanische und europäische Unterstützung für Israel, dann wird schnell klar, wer in einem solchen Rahmen die Führungsrolle übernehmen wird.

Neue Einflussfaktoren in der jordanischen politisch-ökonomischen Szenerie sind mit Sicherheit die neuen internationalen Konzerne. Die Jordan Telecom, die mit die höchsten Umsätze unter den Staatsbetrieben machte, ist an die France Telecom, der wichtigste Zementhersteller, Jordan Cement, ist an das französische Unternehmen La Farge, die Potassium und Phosphat Minen sind an internationale Investoren, der Zentralflughafen und Teile des Hafens in Aqaba sind alle verkauft worden und gehören jetzt internationalen Konzernen.

Isam Kadamani, ein regimetreuer, der Liberalisierung positiv gegenüber eingestellter Wirtschaftskolumnist, der für die regierungsnahe Zeitung al-Rai' schreibt, sagte einmal in einem Artikel, dass Jordanien ein Unternehmen sei und der König der Vorstandsvorsitzende. Das ist die Mentalität, die das Land seit zwanzig Jahren beherrscht. Der Staat ist in den Augen solcher Leute mehr ein Mittel, um Profit zu erwirtschaften, als das Instrument der sozialen Wohlfahrt. Eine Einschränkung sei allerdings angemerkt: Jordanien ist in Wirklichkeit eine Tochtergesellschaft der "USA-Frankreich-Weltbank-IWF-Holding".


Die Früchte der Liberalisierung

Ein ökonomisches Modell, das maßgeschneidert für die herrschende Klasse und die internationalen Konzerne ist, macht es leicht, sich die Zukunft vorzustellen. Betrachten wir die Fakten:

Die Haupteinnahmequelle für die jordanische Regierung ist die Mehrwertsteuer. Sie macht etwa 50% der gesamten Jahreseinkünfte aus. In anderen Worten, während der Staat von der Masse der Bevölkerung nimmt, fährt er gleichzeitig mit hoher Geschwindigkeit seine Sozialleistungen zurück, besonders in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Energie.

Die Regierung subventioniert Energie (Erdöl-Derivate, Strom, etc.) nicht mehr. Ebenso wenig subventioniert der Staat Grundnahrungsmittel. Die Inflationsrate stieg 2008 auf 14% gegenüber 5,4% im Jahre 2007. Der gesetzliche Mindestlohn steht dagegen immer noch bei 212 US-Dollar monatlich für einen vollen Arbeitstag. Das ist etwas mehr als 1 US-Dollar pro Stunde. Und es darf nicht vergessen werden, dass viele Arbeitgeber gar nicht den Mindestlohn zahlen. Manche Arbeiter verdienen nur etwa 113 US-Dollar pro Monat.

Betrachtet man die Staatsverschuldung, so ist sie von rund 9 Mrd. US-Dollar in 1989 auf mittlerweile 12,2 Mrd. US-Dollar im ersten Drittel 2009 angestiegen und das, obschon die drastischen Wirtschaftsreformen mit dem Anspruch verkauft wurden, die Staatsverschuldung senken zu helfen.

Gegenwärtig sind Anzeichen zu erkennen, dass auch die verbleibenden beiden Bereiche, das Gesundheitswesen und die Bildung privatisiert werden sollen. Im Rahmen eines Pionierprojekts ist das neuere der beiden öffentlichen Krankenhäuser der Hauptstadt Amman aus der Verantwortung des Gesundheitsministeriums herausgenommen und unter die Verwaltung eines unabhängigen Verwaltungsrates gestellt worden, der freie Hand in Bezug auf die Behandlung und deren Bezahlung hat. Die erste Maßnahme dieses Verwaltungsrates war es, die Behandlungskosten heraufzusetzen. Dieses Projekt wird als erster Schritt zur Privatisierung des gesamten Gesundheitssektors betrachtet.

Dem höheren Bildungssystem ergeht es ähnlich. In den letzten Jahren ist die staatliche Unterstützung für die staatlichen Universitäten zurückgefahren worden. Ein "Parallelsystem" erlaubte, Studenten zu fünffach höheren Gebühren anzunehmen. Die regulären Studiengebühren sind mittlerweile angehoben worden. Vor einigen Monaten ist ein Gesetz erlassen worden, durch das die Budgetierung der Universitäten nicht mehr Aufgabe des "Higher Education Council" ist, sondern in die Hände eines Stiftungsrates gelegt wurde, den es bei jeder Universität einzeln gibt. Mit anderen Worten: Auch hier zieht sich der Staat sichtbar zurück.

Weitere Beispiele der sieh verändernden Gesetzeslage betreffen die Einkommenssteuer und die Sozialgesetzgebung. Letztere hat besonders die Arbeiter und die Armen getroffen. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 12,1%, inoffiziell dürfte sie wohl aber eher bei 25% liegen.

Das Ergebnis von Liberalisierung, Privatisierung und Strukturanpassung war nicht eine gesunde, schuldenfreie Wirtschaft, sondern eher eine Möglichkeit für reiche Kreditgeber, Geld abzuschöpfen, die Auslandsschulden leicht abzubauen, die Inlandsverschuldung ansteigen zu lassen, die Demokratie zurückzufahren, die sozialen, politischen und ökonomischen Rechte der Bevölkerungsmehrheit einzuschränken, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken und die Versammlungsfreiheit zu behindern. Nicht zu vergessen, die Korruption und die hohen Preise. Die Armen haben allen Anlass, besorgt zu sein.


Die Antwort: Streiks und politische Initiativen

Die Aufstände vom April 1989 und die Brotunruhen von 1996 wurden bereits erwähnt. Beide Ereignisse konnten den Vormarsch der liberalen Ökonomie nicht aufhalten. Beide Aufstände blieben auf den Süden begrenzt. Sie erreichten die Hauptstadt nicht, wo die Mittelklasse dominiert. Beides waren eher spontane Unruhen; in keinem Fall gelang es den Oppositionsparteien, sich die Stimmung zu Nutze zu machen und aus den Aufständen politisches Kapital zu schlagen, weil sie dem Volk im Grunde hinterherhinken und keine Führung anbieten können.

Im Jahre 2006, so schien es, versuchten die Arbeiter die direkte Konfrontation mit der Neo-Liberalisierung. Eine Streikwelle lief über das Land und die Arbeiter, traditionell organisiert in der staatlich kontrollierten "General Union of the Workers of Jordan" (GUWJ), begannen ihre Unzufriedenheit zu zeigen. In jenem Jahr gab es zehn Streiks in der Potassium- und Phosphat-Minengesellschaft, bei "Jordan Cement" und in der staatlichen Ölraffinerie-Gesellschaft. Die zentralen Forderungen betrafen ein Anheben der Grundgehälter und die Einführung von Sozial- und Gesundheitsversicherungen sowie einen Inflationsausgleich.

Der jüngste und gleichzeitig der am stärksten unterdrückte Streik war derjenige der Hafenarbeiter. Am 25. Juli 2009 sind zwei Drittel der 3600 Hafenarbeiter der Hafengesellschaft in Aqaba in Streik getreten. Damit war der einzige Hafen, den Jordanien besitzt, lahm gelegt. Ausgelöst hatte den Streik das Bekanntwerden, dass Wohnungszuschüsse zwischen 7000 und 8000 US-Dollar nur für das höhere Management vorgesehen waren. Die Arbeiter, ohnehin meist nur Tagelöhner, sollten leer ausgehen.

Die Gewerkschaft GUWJ weigerte sich, die Streikenden zu unterstützen. Der Präsident der GUWJ Mazen Ma'ayta beschuldigte sie sogar der Sabotage. Einige Tage nach Beginn des Streikes befahl der Gouverneur von Aqaba, Zeid Zreikat, der "Special Anti-Riot Police", den Streik zu beenden. Die Streikenden wurden brutal zusammengeschlagen. Viele Arbeiter mussten in Krankenhäuser, so schwer waren ihre Verletzungen. Achtzig Streikende wurden verhaftet. Ein Arbeiter, Ahed Alawneh, wurde während der Fahrt aus einem Polizeiauto gestoßen. Er lag mehrere Tage im Koma.

Trotz dieser Unterdrückung nahmen die Arbeiter am folgenden Tag ihren Streik wieder auf. Die Regierung versuchte nun eine andere Taktik. Sie verhandelte einen Deal zwischen der Hafengesellschaft und der GUWJ, allerdings ohne das Streikkomitee einzubeziehen. Die Konzessionen der Hafengesellschaft an die Arbeiter führten zu einem vorläufigen Streikabbruch. Der Kampf der Arbeiter wird hier aber nicht enden.

Je mehr sich die neo-liberalen Strukturen in Jordanien festsetzen, desto mehr verschwinden die Arbeitnehmerrechte. Der Mindestlohn ist ein Witz, viele privatisierte Unternehmen entlassen ihre Belegschaft, viele bieten Abfindungen damit die Arbeiter freiwillig kündigen. Sozialleistungen werden immer stärker zurückgefahren und immer mehr Arbeiter werden nur noch als Tagelöhner eingestellt.

Parallel zu dieser Arbeiterbewegung sind neue Bürgerinitiativen entstanden, die versuchen, die Menschen gegen die neo-liberale Agenda zu mobilisieren und politischen Druck auf das Regime auszuüben. Die "National Campaign for Bread and Democracy" (NCBD) ist vor einem Jahr aus einer Koalition von linken Parteien, Vereinigungen und Individuen hervor gegangen, um demokratische Rechte mit sozialen und ökonomischen zu verbinden. Es gebe keine Demokratie ohne soziale Gerechtigkeit, daher der Name. In diesem Sinne hat sich die NCBD auf die Themen der angestiegenen Preise für Erdöl-Produkte und deren Auswirkungen auf die Armen, die Privatisierung des Gesundheitssektors und der Unterstützung der sich bildenden Arbeiterbewegung verschrieben. "Ihr habt uns getötet", lautet der Slogan der "National Campaign to Defend the Rights of Students". Ähnlich aufgestellt wie die NCBD konzentriert sich die Initiative auf den Kampf gegen höhere Studiengebühren und auf die Beschneidung von Studentenrechten. "La'", d.h. "Nein", eine weitere Kampagne, versteht sich als Jugendinitiative gegen die freie Marktwirtschaft in Jordanien und gegen die Politik der Verarmung als Folge der Unterordnung unter kapitalistische Zentren. Diese Initiativen organisieren Sitzstreiks, sie veröffentlichen Flugblätter und versuchen sich mit der entstehenden Arbeiterbewegung zu vernetzen. Solidaritätsdelegationen von einigen dieser Initiativen stießen zu den streikenden Hafenarbeitern und unterstützten diese auf allen Ebenen.


Hisham Bustani, politischer Aktivist, Schriftsteller, Mitglied des Excecutive Committee of the National Campaign for Bread and Democracy, ehemaliger Sekretär des Socialist Thought Forum in Jordanien.
Aus dem Englischen von Christopher Hayes.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- ...tional looking gown which was a perfect choice for Queen Rania and another more traditianal looking gown in shades of blue. In November 2004 while expecting her son Hashem, Queen Rania wore a lovely green and black gown which was a perfect choice for a pregnant women, matched with a fur wrap (4). To a private wedding reception of her brother in law, Prince Hamzah, Queen Rania choice a lovely white dress which was embroidered.

- French First Lady Carla Bruni Comes To New York, Meets Up With Queen Rania
Carla Bruni-Sarkozy ... made her first U.S. appearance as Global Ambassador for the Protection of Mothers and Children against AIDS at the Superfriends Champions Of The Global Fund Reception. She also brought along, Queen Rania of Jordan, who had spent the afternoon at the Young Women's Leadership School in East Harlem. See what the power pair wore during their humanitarian day.
Huffington Post

- Rania had spent the afternoon at the Young Women's Leadership School in East Harlem.

- Carla Bruni-Sarkozy (l), making her first U.S. appearance as Global Ambassador for the Protection of Mothers and Children against AIDS for the Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria, is joined by Queen Rania of Jordan at the home of Tom and Kathy Freston on September 21, 2009 in New York City


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 59, Herbst 2009

Gastkommentar
- Schon wieder ein Sieg der Demokratie, von Matin Baraki

Jordanien
Regierung, Opposition in Jordanien und der Gazakrieg, von André Bank und Morten Valbjørn
Ein Land - zwei Pfade? 20 Jahre ökonomische und sozialpolitische Reformen. Von Katharina Lenner
Dezentralisierungsversuche: Große Pläne - kleines Land, von Malika Bouziane
"Über-Individuen" und "Über-Stämme"
Interview mit Mustafa Hamarneh
Brotunruhen, arabische Solidarität, tribaler Islamismus, von André Bank
Neo-liberales Jordanien - Der Widerstand der Straße, von Hisham Bustani
Ungesicherte Zahl, unsichere Zukunft - Irakische Flüchtlinge in Jordanien, von Géraldine Chatelard
Hochschulbildung zwischen Liberalisierung, Export und Capacity Building, von Ala al-Hamarneh
Gesucht: Journalistische Professionalität, von Judith Pies

Deutschland/Ägypten
- Der Mord an Marwa - Ein medienkritischer Rückblick, von Hanan Badr

Söldner
- Söldner Firmen - Gefahr für die Demokratie? Von Matin Baraki

Marokko
- Zu viele Sieger bei den Kommunalwahlen, von Jan Völkel

Israel/Palästina
- Siedlungs- und Rohstoffpolitik - Geplanter Rückzug des Staates, von Dina Jadallah-Taschler
- Fatahs 6. Generalkonferenz, von Toufic Haddad

Sudan
- Al-Bugaa-Theaterfestival 2009 - Erzählen und Schweigen. Von Kai Tuchmann

Literatur
- Erich-Fried-Preis an Esther Dischereit

Wirtschaftskommentar
- EU-GCC-Freihandelsabkommen: Eine "unendliche Geschichte"? Von Anja Zorob

Zeitensprung
- Das kurze, lange Leben des Hasan al-Banna, von Lutz Rogler

Ex Libris
John R. Bradley, Inside Egypt - The Land of the Pharaohs on the Brink of a Revolution, von Edgar Göll
Stephen J. Sniegoski, The Transparent Cabal: The Neoconservative Agenda ... , von Werner Ruf
Corry Guttstadt, Die Türkei, die Juden und der Holocaust, von Havva Kökbudak

Nachrichten//Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 59, Jahrgang 15, Herbst 2009, Seite 24-28
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2009