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NAHOST/694: Nur Träume bleiben - Gazas Fischer und Nelkenzüchter verlieren ihre Existenz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2010

Nahost: Nur Träume bleiben - Gazas Fischer und Nelkenzüchter verlieren ihre Existenz

Von Mohammed Omer


Gaza-Stadt, 20. September (IPS) - Wenn der Fischer Zaki Al-Habeel aus Gaza-Stadt kurz vor Sonnenuntergang mit seinem Boot aufs Mittelmeer ausläuft, sind seine Aussichten auf einen guten Fang gering. Seitdem Israel den Aktionsradius der Berufsfischer vor der Küste des Gazastreifens auf drei Meilen beschränkt, gehen dem Palästinenser Al-Habeel und seinen mehreren tausend Kollegen immer weniger Fische ins Netz.

Tagsüber ist im Hafen von Gaza-Stadt wenig los. Nur wenige Fischerboote liegen am Pier. "Da draußen warten die Fische auf uns, doch wir dürfen nicht zu ihnen", klagt Al-Habeel. Erst bei Sonnenuntergang läuft der 33-jährige Berufsfischer, der sieben Kinder zu versorgen hat, aus dem Hafen aus. Von den Fängen früherer Tage kann er nur träumen.

Weiter als drei Meilen dürfen sich die palästinensischen Fischer nicht mehr aufs Mittelmeer hinauswagen. "Tatsächlich sind es nicht einmal drei Meilen", kritisiert Al-Habeel. Oft würden er und seine Brüder mit ihren Fischerbooten schon 1,5 Meilen vor der Küste von der israelischen Marine unter Feuer genommen. Wer hinausfahre, riskiere täglich seine Gesundheit und Schäden an den Fanggeräten, stellte er fest.

Das bestätigt auch ein im August veröffentlichter Bericht, den das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) in Zusammenarbeit mit dem Welternährungsprogramm (WFP) zusammenstellte. Danach wurden palästinensische Fischer aus 85 Prozent der Fanggebiete vertrieben, die ihnen der 1993 zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausgehandelte Oslo-Vertrag zusagt.


Auch Bauern in Gefahr

Doch nicht nur Gazas Fischer riskieren bei der Arbeit Leib und Leben. Der Bericht befasst sich auch mit der Lage der palästinensischen Farmer, die in der Pufferzone zwischen Israel und Gaza ihr eigenes Land bewirtschaften. Dabei wurden seit Januar 2009 22 Palästinenser getötet und 146 verletzt.

Der Fischer Al-Habeel betonte, dass ihm und seinen Brüdern gar nichts anderes übrig bleibe, als das Risiko in Kauf zu nehmen, ins Visier der israelischen Marine zu geraten. "Wir müssen schließlich unsere Familien ernähren." Beim letzen Beschuss seines Bootes wurde die Treibstoffleitung getroffen. Zumindest sei der kleine Treibstofftank unbeschädigt geblieben, berichtete er. Ein Ersatztank sei teuer und kaum aufzutreiben. Andere Fischer berichten von einem 22-jährigen Kollegen, der mit Schussverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Er hatte sich auf kaum mehr als zwei Meilen aufs Meer gewagt.

Auch die einheimischen Nelkenzüchter leiden unter der israelischen Totalblockade des Gazastreifens und dem Exportverbot. Für die in ganz Europa geschätzte Züchtung mit dem Namen 'Coral' gibt es kaum noch einen Markt. In einem Interview mit IPS berichtete der Nelkenfarmer Majed Hadaeid schon 2008 von seiner verzweifelten Wirtschaftslage. Auf seinen knapp 130.000 Quadratmeter großen Nelkenfeldern wuchsen jährlich 16 bis 17 Millionen Nelken in 30 verschiedenen Farben und Variationen. In diesem Jahr ging ihm das gesamte Geschäft im Wert von vier Millionen US-Dollar verloren. Übrig blieb eine Schuldenlast von 1,5 Millionen Dollar.


Warten auf eine neue Hilfsflotte

Ein schwacher Hoffnungsschimmer bleibt Hadaeid dennoch. Im Juli kündigte die europäische 'Kampagne gegen die Belagerung von Gaza' an, mehr als 9.000 Abgeordnete hätten für die Entsendung einer 'Freiheitsflotte für Gaza' 100.000 Euro gesammelt. Im Herbst soll ein irisches Schiff mit Hilfsgütern Kurs auf Gaza nehmen.

Der Nelkenzüchter Hadaeid hofft, dass diese europäische Hilfsflotte ihm und anderen Farmern hilft, zu überleben. "Wir brauchen diese Flotten, um Israel weiterhin unter Druck zu setzen", sagte er.

Der Fischer Al-Habeel erinnert sich wehmütig an einen Augusttag im Jahr 2008, als die von Mitgliedern der Bewegung 'Free Gaza' begleitete erste Hilfsflotte Gaza erreichte. "Damals konnten wir noch fast sechs Meilen weit ausfahren", berichtete er. Die Aussicht auf die Ankunft einer weiteren Hilfsflotte wird von ihm und anderen Palästinensern im Gazastreifen allgemein begrüßt.

Als Ende Mai das türkische Passagierschiff 'Mavi Marmara' mit Hilfsgütern an Bord als Blockadebrecher Kurs auf den Gazastreifen nahm, wurde es von der israelischen Kriegsmarine aufgebracht und mit Waffengewalt gestürmt. Dabei kamen neun Aktivisten ums Leben. Viele Passagiere wurden verletzt.


Türkische Flaggen an jeder Ecke

Seither steht die Türkei in Gaza hoch im Kurs. Restaurants erhielten mit neuen Namen wie 'Marmara' und 'Café Istanbul' türkisches Flair. Die türkische Flagge weht an fast jeder Straßenecke, und der Blumenhändler Samir Al-Ejjel hat neuerdings zu Ehren des türkischen Regierungschefs 'Erdogan'-Nelkensträuße im Sortiment.

Vor wenigen Tagen berichtete die israelische Tageszeitung 'Maariv', einige Israelis sowie tausende Aktivisten aus westlichen und arabischen Ländern seien dabei, eine für Gaza bestimmte Hilfsflotte aus 30 Schiffen zusammenzustellen. Al-Habeeb erwartet sie hoffnungsvoll. Ein jüngerer Kollege meinte: "Solche Hilfsflotten lassen uns hoffen, dass Rechte geschützt werden können - selbst wenn geschossen wird."

In der Vergangenheit hatten Gazas Fischer und Nelkenzüchter Europa vergeblich um Unterstützung gebeten. Jetzt setzen sie auf den Beistand von Aktivisten aus aller Welt und hoffen, bis Weihnachten wieder mehr Fisch auf dem Tisch zu haben und ihre farbenprächtigen Nelken wieder auf den europäischen Märkten verkaufen zu können. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://ochaonline.un.org/
http://www.wfp.org/
http://www.freegaza.org/
http://www.savegaza.eu/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52852

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010