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NAHOST/704: Maghreb - Todesstrafengegner gespalten, Moratorium als Minimalkompromiss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2010

Nahost/Maghreb: Todesstrafengegner gespalten - Moratorium als Minimalkompromiss

Von Cam McGrath


Kairo, 12. Oktober (IPS) - In einer Koalition wollen Menschenrechtsaktivisten in Nahost und Nordafrika gemeinsam gegen die Todesstrafe angehen. Ihre Vorstellungen liegen allerdings weit auseinander. Auf einem Treffen in Ägypten sprach sich die Mehrheit als Minimalkompromiss für ein Moratorium für Hinrichtungen aus.

Beobachter halten die Regionalbewegung, der Gruppen aus Ägypten, Algerien, dem Jemen, Jordanien, dem Libanon, Marokko und den Palästinensergebieten angehören, bislang für zu schwach. "Die Zivilgesellschaft hat zwar erreicht, dass das Thema in mehreren arabischen Staaten auf die Agenda gesetzt wurde", sagte Mervat Reshmawy, die als Beraterin in Menschenrechtsfragen tätig ist. "Leider sind die Gegner der Todesstrafe in der Region aber nach wie vor uneins darüber, ob sei eine vollständige Abschaffung fordern sollten."

Die Todesstrafe ist in allen Nahost- und Maghreb-Ländern rechtlich zulässig, wird aber nach unterschiedlichen Kriterien verhängt. In Marokko, Algerien und Tunesien wird die Höchststrafe seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr vollstreckt. Die Gerichte verurteilen jedoch weiterhin Menschen für eine Reihe von Straftaten zum Tode.

Im Irak, im Jemen und in Ägypten, wo die Todesstrafe starke Befürworter hat, werden dagegen regelmäßig Verbrecher gehenkt oder erschossen. In Saudi-Arabien wurden im vergangenen Jahr mindestens 69 Menschen, unter ihnen auch Jugendliche, öffentlich geköpft.


Todesurteile zumeist nicht mit Scharia begründbar

Unabhängige Beobachter geben zu bedenken, dass in der gesamten Region Fehlinformationen weit verbreitet sind. So meinen viele Araber, dass sich die Todesstrafe aus dem islamischen Recht, der Scharia, ableite. Radikale Muslime und Konservative stellen sich deshalb gegen jegliche Versuche zur Abschaffung der Strafe.

Dabei begrenzt das islamische Recht die Todesstrafe auf wenige Verbrechen, wie der Rechtswissenschaftler Abood Sarraj von der Universität der syrischen Hauptstadt Damaskus, zu bedenken gab. In den meisten Fällen wird die Höchststrafe verhängt, um potenzielle Straftäter abzuschrecken und den Staat vor Gefahren zu schützen. Die Kriminalitätsrate ist dennoch nicht gesunken. Zudem bleibt vielen Angeklagten ein gerechtes Verfahren verwehrt.

"Die Zahl der Straftaten, auf die der Tod steht, ist im Maghreb außergewöhnlich hoch", kritisierte der Jurist auf einem Treffen mit Menschenrechtlern in Ägypten im vergangenen Monat. "Wir sind gegen die Todesstrafe, weil sie ein reiner Racheakt ist. Davon müssen wir nun die breite Masse überzeugen."

Noch vor einem Jahrzehnt gab es im arabischen Raum fast keine Todesstrafengegner. Inzwischen laufen aber in mehreren Maghreb-Staaten Kampagnen, die Gesetzesänderungen fordern. Der Kampf ist allerdings hart. Aktivisten werden von repressiven Regierungen und konservativen Religionsgruppen unter Druck gesetzt. Nicht wenige von ihnen sind bedroht und diffamiert worden.

"Im Jemen denkt die Öffentlichkeit immer noch, dass Gegner des Todesstrafe gegen die Scharia verstoßen", sagte Taghreeb Jaber, der Regionaldirektor der Organisation 'Penal Reform International' für den Maghreb. Auch Aktivisten in Algerien erhielten Drohungen von Islamisten. "In den Golfstaaten ist es ebenfalls sehr riskant, Kampagnen durchzuführen."

Nach Ansicht von Jaber müsste die Bewegung der Todesstrafengegner aber noch an Stärke gewinnen. "Die Aktivisten sollten mehr in den Gesetzgebungsprozess eingreifen, Positionen formulieren und die zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützen."

Die 'Erklärung von Alexandria' im Mai 2008 gilt als ein Meilenstein auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe. Darin werden die arabischen Staaten aufgefordert, die UN-Resolution 62/149 zugunsten eines Moratoriums für Hinrichtungen zu befolgen.


Lage von Staat zu Staat unterschiedlich

Die unterschiedliche Rechtsprechung in den Maghreb-Ländern erschwert den Aktivisten allerdings eine gemeinsame Linie zu finden. Das Thema müsse in jedem Staat anders bewertet werden, sagte Magda Boutros von der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte im Gespräch mit IPS.

Trotz teils weit auseinander liegender Positionen waren sich die Teilnehmer der Tagung in Alexandria im September zumindest darüber einig, dass so rasch wie möglich das Moratorium durchgesetzt werden muss. "Nur so können wir weiteres Blutvergießen verhindern", sagte Mustrafa Al-Muraizeq von der Marokkanischen Organisation für Menschenrechte (OMDH). Über Strategien für eine vollständige Abschaffung der Strafe könne später diskutiert werden. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.penalreform.org/
http://www.omdh.org/newomdh/def.asp?codelangue=31&info=914
http://eipr.org/en/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53116

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010