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NAHOST/726: Ägypten - Mit eiserner Faust gegen Opposition, Ruf nach internationalen Wahlbeobachtern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. November 2010

Ägypten: Mit eiserner Faust gegen Opposition - Ruf nach internationalen Wahlbeobachtern

Von William Fisher


New York, 15. November (IPS) - Angesichts der für den 28. November angesetzten Parlamentswahlen in Ägypten geht die Regierung von Staatspräsident Hosni Mubarak immer massiver gegen politische Oppositionelle und regierungskritische Medien vor. Menschenrechtsaktivisten fordern die US-Regierung auf, Kairo von der Notwendigkeit reformierter und transparenter Wahlen zu überzeugen und sich für die Entsendung internationaler Wahlbeobachter einzusetzen.

In Ägypten wird seit drei Jahrzehnten mit Notstandsgesetzen regiert. Diese statten Ägyptens Sicherheitskräfte mit weit reichenden Sondervollmachten einschließlich willkürlicher Festnahmen und Haft ohne Gerichtsverfahren aus.

Als wichtigen regionalen Verbündeten unterstützt Washington das nordafrikanische Land, in dem im September 2011 auch Präsidentschaftswahlen anstehen, mit jährlich 1,3 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe und weiteren 250 Millionen Dollar für zivile Zwecke.

Kritiker der US-Regierung halten Präsident Barack Obama und seinen Beratern vor, im Rahmen ihrer Nahostpolitik in zu große Abhängigkeit von Ägypten zu geraten. Während der israelisch-palästinensischen Friedensgespräche soll Kairo für die Neutralität der arabischen Welt sorgen.


US-Druck gefordert

Zu den lautstärksten Kritikern der US-amerikanischen Nachsichtigkeit gegenüber Mubaraks Regierung gehört die in New York ansässige zivile Rechtshilfeorganisation 'Human Rights First' (HRF). Sie verlangt von Obama, öffentlich darauf zu bestehen, dass die ägyptischen Behörden die Verfolgung von Oppositionspolitikern beenden und internationale Wahlbeobachter ins Land lassen.

"Mit dem seit 30 Jahren bestehenden Ausnahmezustand unterdrückt die ägyptische Regierung politische Aktivisten. Im Vorfeld der Novemberwahlen bringt sie unabhängige Journalisten zum Schweigen, verfolgt Aktivisten und Kandidaten der Opposition und wehrt sich gegen internationale Wahlbeobachter", stellte Neil Hicks fest, der bei HRF als Berater für internationale Politik arbeitet.

"In Ägypten braucht man eine Sondererlaubnis, um Textbotschaften mit politischem Inhalt zu versenden", klagte er. "Bei den letzten Wahlen in Ägypten waren Wähler von der Polizei verprügelt und Wahlurnen geklaut worden. Solche Übergriffe dürfen wir nicht wieder zulassen."

Internationalen Berichten zufolge hatten ägyptische Sicherheitskräfte 65 Mitglieder der oppositionellen Muslimbruderschaft verhaftet, die Wahlplakate aufhängen wollten und damit gegen die neuerdings im Wahlkampf geforderte religiöse Neutralität verstoßen hatten. Schon Tage zuvor waren einige hunderte Muslimbrüder festgenommen worden.


Kritische Medien zum Schweigen gebracht

Auch die Medien bekommen vor den Wahlen den verstärkten Repressionskurs der Regierung zu spüren. So verbot die nationale Telekommunikationsbehörde (NTRA) Internet-Nachrichtendiensten und Handy-Providern die Versendung von Textnachrichten. Mit diesen Restriktionen sollen offenbar in der Vorwahlzeit mögliche regierungsfeindliche Aktivitäten verhindert werden.

Von Betreibern des privaten Satellitenfernsehens verlangt das ägyptische Informationsministerium eine Lizenz, bevor sie anderen TV-Kanälen Live-Sendungen oder Berichte überlassen.

In ihrem Vorgehen gegen die Meinung- und Informationsfreiheit ließen die ägyptischen Behörden kürzlich das über Satelliten ausgestrahlte religiös-konservative TV-Netz 'Al-Badr' schließen. Sie warfen dem Sender vor, religiös motivierten Hass zu verbreiten. Die Studios, die die politische Talkshow 'Al Qahira il-Youm' ('Cairo Today') produzierten, wurden dicht gemacht.

Zu der derzeitigen Entwicklung in Ägypten hat Washington bislang wenig zu sagen. Während sich die Regierung von George W. Bush mit ihrer neo-konservativen Sicht von weltweiter Demokratisierung mit ihrer Forderung nach politischen Reformen gelegentlich mit der ägyptischen Regierung angelegt hatte, verfolgt US-Präsident Obama wieder den US-amerikanischen Kurs, in Ägypten einen Partner für den Friedensprozess in Nahost zu sehen.

Doch Ägyptens Regierung macht es Washington schwer, diese Position beizubehalten. Staatspräsident Mubarak hatte versprochen, die seit 1981 bestehenden Notstandsgesetze aufzuheben. Stattdessen verlängerte er den Ausnahmezustand und veranlasste damit die US-Regierung zu einem scharfen Protest.


Washington kürzt Mittel für 'Demokratisierungsprogramme'

Obama kürzte zudem die zur Unterstützung einer demokratischen Entwicklung in Ägypten bestimmten Mittel um, wie die israelischen Tageszeitung 'Haaretz' berichtete, fast 50 Prozent. Jetzt wirft man der US-Regierung vor, den Reformdruck auf Ägypten zu mildern, um sich die Unterstützung der Regierung in der Nahostpolitik zu sichern.

Die Bush-Regierung hatte jährlich rund 45 Millionen Dollar in so genannte Demokratisierungsprogramme gesteckt, sein Amtsnachfolger Obama ließ sie zusammenstreichen. Während einige Beobachter die Programme für sinnvoll halten, bringen sie nach Ansicht anderer Analysten nichts, sondern sind nur dazu angetan, Zwietracht zwischen Washington und Kairo zu säen.

Auch der Politologe Samer Shehata, Professor für arabische Politik an der Georgetown-Universität, hält wenig von Demokratisierungsprogrammen. "Es spielt keine Rolle, was das Weiße Haus und das Außenministerium der ägyptischen Regierung öffentlich oder privat zu den Wahlen zu sagen haben", sagte er IPS: "Die Obama-Regierung hat leider kein Interesse daran, dem altersstarren Mubarak und seinem Regime auch nur ein wenig Respekt für politische Freiheiten und damit für freie und faire Wahlen abzuringen" (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.humanrightsfirst.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53481


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010