Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/741: Israels Krieg gegen Kinder (Jonathan Cook)


Counterpunch, 13.12.2010

Israels Krieg gegen Kinder

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent


Die israelische Polizei ist wegen ihrer Behandlung von Hunderten von palästinensischen Kindern - einige sieben Jahre alt - kritisiert worden. Sie wurden verhaftet und verhört, weil sie unter Verdacht standen, in Ost-Jerusalem Steine geworfen zu haben.

Im vergangenen Jahr wurden für mehr als 1200 palästinensische Minderjährige in Jerusalem strafrechtliche Verfahren wegen Steine Werfens eröffnet - nach polizeilichen Statistiken, die von der Vereinigung für Zivile Rechte in Israel (ACRI) gesammelt wurde. Das waren fast zweimal so viele verhaftete Kinder im letzten Jahr als in dem viel größeren Palästinensischen Gebiet der Westbank. Die meisten Verhaftungen geschahen im Silwan-Distrikt, nahe an Jerusalems Altstadt, wo 350 extremistische jüdische Siedler mehrere schwer bewachte illegale Enklaven unter 50.000 palästinensischen Bewohnern haben.

Ende des letzten Monats während wachsendem Zorn gegen die Verhaftungen hat in Silwan eine große Menge die Polizei daran gehindert, Adam Rishek, einen 7jährigen zu verhaften, der wegen Steine Werfens angeklagt wurde. Seine Eltern reichten eine Klage ein, die feststellte, er sei von den Offizieren geschlagen worden.

Die Spannungen zwischen den Bewohnern und den Siedlern sind, seitdem die Jerusalemer Gemeinde einen Plan öffentlich machte, ständig gewachsen. Es sollen Dutzende von palästinensischen Häusern im Stadtteil Bustan demoliert werden, um den biblisch- ausgerichteten archäologischen Park der Siedlerorganisation Eldad zu erweitern.

Der Plan wird augenblicklich auf US-Druck hin auf Benyamin Netanyahu, den israelischen Ministerpräsidenten, hinausgezögert.

Fakhri Abu Diab, ein lokaler Gemeindeführer, warnte, dass die regelmäßigen Zusammenstöße zwischen Silwans Jugend und den Siedlern, die von manchen als "Stein-Intifada" bezeichnet wird, sich zu einem richtiggehenden palästinensischen Aufstand auswachsen könnte.

"Unsere Kinder werden geopfert, damit die Siedler unsere Gemeinde übernehmen können," sagte er. ACRI folgerte in einem vor kurzem erschienenen Bericht, den er "unsicherer Raum" betitelte, dass die Polizei beim Kampf gegen das Steine Werfen rücksichtslos über die Rechte der Kinder gehe und viele Minderjährige mit tiefen emotionalen Traumatas zurücklasse. Von Menschenrechtsgruppen gesammelte Zeugenaussagen enthüllen ein Muster, wie Kinder bei nächtlichen Überfällen gefesselt und stundenlang ohne Eltern oder Anwalt verhört werden, was nach israelischem Strafrecht einen Rechtsbruch darstellt. In vielen Fällen haben Kinder von physischer Gewalt oder Drohungen berichtet. Im letzten Monat schrieben 60 israelische Rechts- und Jugendhilfeexperten , auch Yehudit Karp, eine frühere stellvertretende Justizministerin, an H. Netanyahu und verurteilten das Verhalten der Polizei.

"Ganz besonders besorgniserregend sind die Zeugenaussagen der Kinder unter 12, dem vom Gesetz festgelegten Mindestalter für strafbare Schuldenhaftung, die zum Verhör mitgenommen und grob und missbräuchlich behandelt wurden.

Anders als in der Westbank, die nach Militärrecht beherrscht wird, werden Kinder in Ost-Jerusalem, die des Steine Werfens verdächtigt werden, müssen nach dem israelischen Strafrecht behandelt werden. Israel annektierte Ost-Jerusalem nach dem Sechs-Tage-Krieg und verletzte damit das Völkerrecht. Seine 250 000 palästinensischen Bewohner wurden wie permanente israelische Bewohner behandelt. Minderjährige, alle unter 18 Jahre alt, sollten durch speziell ausgebildete Offiziere verhört werden und nur während des Tages. Die Kinder sollten in der Lage sein, einen Anwalt um Rat zu fragen, und ein Elternteil sollte anwesend sein.

Ronit Sela, eine Sprecherin der Vereinigung für zivile Rechte in Israel (ACRI) sagte, ihre Organisation sei über die große Zahl der Kinder "geschockt" gewesen, die in Ost-Jerusalem in den letzten Monaten verhaftet wurden, oft von Undercover-Polizisten. Wir hörten viele Zeugenaussagen von Kindern, die schockierende Erfahrungen mit Gewalt während ihrer Verhaftung und später beim Verhör gemacht hatten.

Muslim, 10, lebt im Bustan-Stadtteil und in einem Haus, das die israelischen Behörden zur Zerstörung freigegeben haben. Sein Fall war mit im ACRI-Bericht. In einem Interview mit "The National" sagt er, er sei allein in diesem Jahr viermal verhaftet gewesen, obwohl er unter dem Alter strafrechtlichter Verantwortung sei. Bei der letzten Gelegenheit im Oktober wurde er von drei Polizisten in Zivil gepackt, die aus einem Wage sprangen.

"Einer der Männer packte mich von hinten und begann mich zu würgen. Der zweite griff nach meinem Hemd und riss es mir vom Rücken, der dritte drehte meine Hände auf den Rücken und fesselte sie mit Plastikbändern. "Wer warf Steine?" fragte mich der eine. "Ich weiß es nicht," sagte ich. Er begann mich auf den Kopf zu schlagen, und ich schrie vor Schmerz." Muslim wurde in Verwahrung genommen und sechs Stunden später entlassen. Ein Arzt vom Ort berichtete, dass der Junge aus Wunden an seinen Knien blutete und verschiedene Körperteile geschwollen waren. Muslims Vater , der schon zwei Söhne im Gefängnis hat, sagte , der Junge wache mit Alpträumen auf und kann sich nicht mehr auf das Lernen in der Schule konzentrieren. Er ist durch dies Mishandlung zugrunde gerichtet worden.

Frau Sela sagte, die Anzahl von Verhaftungen in Silwan sei seit September sehr gewachsen , als ein privater Sicherheitswächter auf einem Siedlergrundstück den Palästinenser Samer Sirhan tot geschossen und zwei andere verletzt hatte.

Die Zusammenstöße zwischen den Siedlern und der Silwanjugend wurde im Oktober bekannt als David Beeri, Direktor der Siedlerorganisation Elad auf einem Foto gezeigt wurde, wie er zwei Jungen anfuhr, die Steine auf seinen Wagen geworfen hatten.

Einer, Amram Mansour, 12, der über die Autohaube von H. Beeris Wagen geworfen wurde, wurde kurz danach bei einem nächtlichen Überfall in der Wohnung der Familie verhaftet. Auch im Oktober beklagten sich neun rechte israelische Knessetmitglieder, dass ihr Minibus mit Steinen beworfen wurde, als sie einen Solidaritätsbesuch in Beit Yonatan, einem großen von Siedlern kontrollierten Haus in Silwan machten. Israels Gericht befahl, dass das Haus zerstört werden solle, aber Jerusalems Bürgermeister, Nir Barkat, weigerte sich, den Befehl auszuführen.

Nach dem Angriff warnte Yitzhak Aharonovitch, der Sicherheitsminister: "Wir werden das Steine Werfen durch Anwendung von verdeckter und offener Gewalt beenden, damit wieder Ruhe eintritt."

Im letzten Monat verkündete die Polizei, dass Hausarreste gegen Kinder regelmäßiger angewendet werden und den Eltern Geldstrafen bis zu 1400 $ auferlegt würden.

B'tselem, eine israelische Menschenrechtsgruppe berichtete von dem Fall "A.S.", einem 12-Jährigen, der nach einer Verhaftung nachts um 3 Uhr verhört wurde. "Ich kniete mit dem Gesicht zur Wand. Jedes Mal, wenn ich mich bewegte, schlug mich ein Mann in Zivil ins Genick. Der Mann bat mich, mich ausgestreckt auf den Fußboden zu legen und ihn um Verzeihung zu bitten. Aber ich weigerte mich und sagte ihm , dass ich mich nur vor Allah beugen würde. Die ganze Zeit fühlte ich große Schmerzen in meinen Füßen und Beinen. Ich hatte große Angst und fing an zu zittern."

In einem Statement sagte B'tselem: "Es ist kaum zu glauben, dass die Sicherheitskräfte sich ähnlich gegen jüdische Minderjährige verhalten würden."

Micky Rosenfeld, ein Sprecher der Polizei, leugnete, sie hätte die Kinderrechte verletzt. Er fügte hinzu: "Es liegt in der Verantwortung der Eltern, dieses kriminelle Verhalten der Kinder zu stoppen." Jawad Siyam, ein lokaler Aktivist in Silwan, sagte, das Ziel der Verhaftungen und die zunehmenden Siedleraktivitäten wären, "das Leben unerträglich zu machen und uns aus dem Gebiet zu vertreiben." Die 60 Experten, die an H. Netanyahu schrieben, warnten, dass die Gewalt gegen die Kinder zu "post-traumatischen Stressstörungen führe wie Schlaflosigkeit, Alpträume, Bettnässen und ständige Angst vor Polizisten und Soldaten." Sie bemerkten auch, dass Kindern unter ausgedehntem Hausarrest das Recht auf Schulbesuch verweigert würde.

Letztes Jahr drückte das UN-Komitee gegen Folter "tiefe Besorgnis" über Israels Behandlung von palästinensischen Minderjährigen aus: Israel würde die UN-Konvention der Kinderrechte verletzten, die es unterzeichnet habe.

Während der letzten 12 Monate hat "die Verteidigung für Kinder International" der UN die Detail von mehr als 100 Kindern mitgeteilt, die behaupten, sie seien physisch oder psychisch misshandelt worden, während sie in militärischer Haft waren.


Über den Autor:

Jonathan Cook lebt als Autor und Journalist in Nazareth, Israel. Seine jüngsten Bücher sind Israel and the Clash of Civilisations: Iraq, Iran and the Plan to Remake the Middle East (Pluto Press) and Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair (Zed Books). Seine Website ist über www.jkcook.net zu erreichen.

(dt. Ellen Rohlfs)



Link zum englischen Originaltext in Counterpunch:
http://counterpunch.org/12132010 html

Erstveröffentlichung einer gekürzten englischen Fassung dieses Artikels
in der Zeitung "The National", Abu Dhabi, http://thenational.ae



*


Quelle:
Counterpunch, 13.12.2010
http://counterpunch.org/12132010 html
© Jonathan Cook, 15. Dezember 2010
Internet: www.jkcook.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2010