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NAHOST/766: Kundgebungen im Gazastreifen beunruhigen Hamas (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2011

Nahost: Kundgebungen im Gazastreifen beunruhigen Hamas

Von Pam Bailey


Gaza-Stadt, 7. Februar (IPS) - Der Volksaufstand in Ägypten zeigt auch im palästinensischen Gazastreifen Wirkung. Dort könnte es nach einer kleineren Kundgebung erneut am 12. Februar zu Protesten kommen. Die Mobilisierungen beunruhigen die radikal-islamische Hamas, die in dem von Israel blockierten Palästinensergebiet das Sagen hat.

Zunächst hatte die Hamas-Regierung eine Solidaritätskundgebung zugelassen. Doch als sich eine kleine Gruppe aus Journalisten und Bloggern zu einer eigenen Demonstration zusammenfand, wurden sechs Frauen und acht Männer verhaftet. Zwei der Frauen, bekannt für ihre kritische Haltung gegenüber dem Hamas-Regime, wurden misshandelt.

Mahmud, der aus Sicherheitsgründen seinen Nachnamen nicht nennen will, erfuhr via Facebook von der Solidaritätskundgebung für die Revolution des ägyptischen Volkes. "Ich wollte Teil von etwas sein, um den Ägyptern zu helfen", erläutert der junge Mann seine Beweggründe für die Teilnahme an der Rallye.

Die Regierung hatte am 4. Februar die meisten Bewegungen des Gazastreifens für eine Demonstration mobilisiert. "Doch die meisten jungen Leute gehören keiner der Fraktionen an", meint Mahmud. "Auch ich wollte nicht Teil davon sein. Ich wollte etwas Eigenes machen."

Als Mahmud beim Platz des unbekannten Soldaten ankam, wurde er unter dem Vorwurf, gegen die Hamas-Regierung zu protestieren, von einem Zivilbeamten zu einem Jeep geführt. "Ich erwartete, dass man mich schlagen würde", sagt er. Dass das nicht der Fall war, führt er auf einen Verwandten zurück, der für die Hamas-Regierung arbeitet. Stunden später, nachdem er mit verbundenen Augen verhört worden war, kam er wieder frei.


Aufruf im Facebook

Am 28. Januar hatte eine Facebook-Seite zu einer Revolution im Gazastreifen aufgerufen und als Termin für Proteste gegen die Hamas den 11. Februar genannt. Zwar ist unklar, wer den Aufruf geschaltet hat. Doch nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur 'Maan News' hatten Fatah-Mitglieder mehrfach gefordert, über die Initiative zu berichten. Tage später wurde auf einer neuen Facebook-Seite zur Revolution in Ramallah und zur Amtsenthebung von Mahmud Abbas aufgerufen, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland.

Obwohl die Teilnehmer der inoffiziellen Demonstration misshandelt und festgenommen worden sind, will die Jugend- und Menschenrechtsaktivistin Samah Ahmad el-Rawagh an der Demonstration am 11. Februar teilnehmen. "Unser ganzes Leben lang kannten wir unseren Feind: die israelische Besatzung", betont sie. "Doch jetzt haben wir zwei Feinde: die israelische Besatzung und die Trennung zwischen Gazastreifen und Westjordanland. Wir fordern ein Ende dieser Trennung, die Festsetzung eines Wahltermins und das Recht für uns junge Leute zu wählen und die Führung auszusuchen, die uns vertritt"

"Was zuvor geschah, kann uns nicht abhalten", meint auch Ahmad el-Rawagh. Ich glaube, dass junge Menschen einen Wandel herbeiführen können. Wir sind eine junge Gesellschaft und mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Es liegt an uns."

Im Gazastreifen müssen die Menschen derzeit unter unsäglichen Bedingungen leben. Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist zu, die Treibstofflieferungen bleiben aus und hunderte von Menschen sind von medizinischer Versorgung und ihren Verwandten im Westjordanland abgeschnitten.

Die allgemeine Unsicherheit und Gewalt in Ägypten und in den südägyptischen Grenzregionen hat den illegalen Handel mit Treibstoffen und anderen Gütern zum Erliegen gebracht. Die meisten Güter gelangen von Ägypten aus durch Tunnel in den Gazastreifen. Der Schmuggel hat jedoch seit den Zusammenstößen zwischen Ägyptern und Sicherheitskräften im Norden des Sinai einen Tiefpunkt erreicht.


Gefährlicher Treibstoffmangel

Nach Aussagen von Mahmud al-Shawa, Vorstandvorsitzender des Palästinensischen Ministeriums für Energie und natürliche Ressourcen im Gazastreifen benötigt der Gazastreifen 800.000 Liter Diesel, davon allein 200.000 für das größte Stromwerk, sowie 300.000 Liter Erdöl täglich. Vor dem ägyptischen Volksaufstand ließ sich der Bedarf nur zur Hälfte decken.

Die Treibstoffmenge, die Israel bereitstellt, reicht nicht aus und ist auch viel zu teuer. Kostet ein Liter Diesel aus Ägypten nur 1,7 Schekel (rund 0,46 US-Cent), verlangt Israel für jeden Liter 6,16 Schekel (1,7 Dollar), berichtet al-Shawa. "Ich habe den (von der Hamas ernannten) Ministerpräsidenten Salam Fajjad und Präsident Mahmud Abbas aufgefordert, die Steuern zu streichen, damit die Zivilbevölkerung Treibstoff kaufen kann. Gaza steht seit mehr als vier Jahren unter israelischer Blockade, und die Menschen haben keine Arbeit."

Die Behörden mussten bereits den für den Gazastreifen an 29 Tankstellen ausgegebenen Sprit rationieren, um Panikkäufe zu verhindern und die Preise zu kontrollieren. Doch al-Shawa fürchtet, dass der Strom für die Kranken- und Waisenhäuser sowie für Bäckereien und Hühnerfarmen ausbleiben könnte. "Wir haben ein großes Problem und bitten die Weltgemeinschaft und die USA, uns zu helfen. Wenn wir nichts unternehmen, kommt es zur Katastrophe."


Grenzposten geschlossen

Bis zum 30. Januar war der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gazastreifen an fünf Tagen die Woche geöffnet, um Palästinensern und Ausländern die Möglichkeit zu geben, sich in Ägypten medizinisch betreuen zu lassen, Familienagehörige zu besuchen und Schüler zur Schule zu schicken. Jeden Tag kamen aus dem Gazastreifen rund 200 Menschen und kehrten auch dorthin zurück. Nun ist der Grenzübergang verwaist. Die ägyptische Grenzpolizei, Geheimdienstmitarbeiter und andere Beschäftigten sind alle verschwunden.

Als es Ghaza Hamad von der Grenzbehörde im Gazastreifen gelang, Kontakt zu den ägyptischen Kollegen herzustellen, wurde ihm gesagt, dass die Situation in Ägypten viel zu gefährlich für die Grenzbeamten und die Öffnung der Grenze selbst sei.

"Es gibt tausende Menschen, die den Gazastreifen weder verlassen oder in den Gazastreifen zurückkehren können. Ihre Zahl geht in die 1.000, schätzt Hamad. "Es gibt Krebs- und andere -kranke, die den Gazastreifen dringend verlassen müssen. Und diejenigen, die in Kairo und anderen Teilen Ägyptens gestrandet sind, können ihre Therapie nicht abschließen. Es ist wichtig, die Grenzen zumindest teilweise zu öffnen." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2011