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NAHOST/789: Gazas Wiederaufbau wird zur Geisel der Politik (EI)


The Electronic Intifada, 22. Februar 2011

Gazas Wiederaufbau wird zur Geisel der Politik

Von Rami Almeghari


Kontroversen haben sich zwischen der Hamas geführten Regierung und der UNRWA während der letzten paar Wochen wegen des Wiederaufbaus des vom Krieg gebeutelten Gazastreifens ergeben. Die Gazaregierung kritisiert die UNRWA, dass sie nicht mehr Druck auf Israel ausübt, dass mehr Baumaterial über Gazas Handelsübergänge gelassen wird - eine Bedingung, die die Libyen-Regierung für Hilfe gestellt hat, die sie der UNWRA für den Bau (während Israels Winter-Krieg 2008/09) zerstörter Häuser zugesichert hat. Der 22 Tage anhaltende Angriff ließ mehr als 3500 palästinensische Familien obdachlos zurück, die jetzt dringend eine Unterkunft benötigen.

Im März 2009 versprachen internationale Spender wie die UN, arabische Länder, die EU und die US vier Milliarden Dollar Hilfe, um den Gazastreifen wieder aufzubauen. Doch die Spenden kamen nie an, da die internationale Gemeinschaft von der gewählten Hamas verlangte, dass sie Israel anerkenne, auf Gewalt verzichte und die von der PLO (Hamas ist kein Mitglied der PLO) unterzeichneten Abkommen mit Israel einhält, bevor die islamistische Partei internationale Anerkennung erhält. Da die UNRWA ein Teil der UN ist, die die Hamas boykottiert, ist das Mandat der UNRWA eingeschränkt, und zwar auf Kosten der dringend um Hilfe suchenden Palästinenser im Gazastreifen.

"Wir fragen uns, was hier hinsichtlich des realen Engagement der UNRWA beim Wiederaufbau los ist," sagte Yousef al-Mansi, Minister für öffentliche Arbeit der Hamasregierung in Gaza gegenüber Electronic Intifada. Vor kurzem haben wir mit einem neuen Hausprojekt begonnen und zwar für Bewohner, die als Flüchtlinge im Gazastreifen registriert sind und für die, die als Bürger und Nichtflüchtlinge hier bekannt sind. UNRWA sollte wirklich bei diesem Wiederaufbauprozess engagiert sein.

Die herrschende Hamas-Partei behauptet, dass UNRWA zehn Millionen Dollar an Spenden von einigen arabischen Ländern wie Libyen bekommen hat, die dafür bestimmt sind, Wohnhäuser für Tausende von Gaza-Bewohnern, deren Häusern zerstört wurden, aufzubauen.

"UNRWA kann jeden Wiederaufbauprozess im Gazastreifen ausführen, zumindest für jene, die als Flüchtlinge registriert sind. Doch statt sich um den Wiederaufbau der zerstörten Häuser zu kümmern und zu helfen, dass Baumaterial nach Gaza kommt, ist es unannehmbar, dass angesichts UNRWAs großer Verantwortung gegenüber den besetzten palästinensischen Gebieten und besonders gegenüber den Flüchtlingen, ihr die Hände gebunden sind," sagte der Minister.

"UNRWA muss sein Mandat dazu benützen, über dritte Parteien Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit Israel erlaubt, dass Baumaterial nach Gaza geliefert wird", fügte er hinzu. Seit dem Sommer des letzten Jahres begann Israel, mehr zunächst verbotene Waren nach Gaza zu liefern. Doch dringend benötigtes Baumaterial wurde noch immer nicht durchgelassen.

"UNWRA hat nicht die Initiative ergriffen und hat sich an das Diktat der israelischen Regierung bezüglich der Grenzen nach Gaza gehalten. Unserem Kenntnisstand nach hat UNWRA mit einigen Ländern, unter anderem arabischen Ländern, eine Reihe von Bauverträgen unterschrieben. Wir wissen zum Beispiel, dass UNWRA Millionen von Dollar an Hilfsgeldern von der libschen Regierung bekommen hat. UNWRA behauptet, 2 Millionen US-Dollar erhalten zu haben, die uns bekannte Summe beträgt jedoch 50 Millionen US-Dollar", versicherte al-Mansi.

Al-Mansi warnte vor einem möglichen Aufstand der Leute, deren Häuser zerstört wurden, wenn nicht bald ein Wiederaufbau stattfindet.
"Jetzt sieht die Region wachsende Massenproteste des Volkes wegen der wirtschaftlichen Bedingungen in ihren Ländern. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, wenn Zehntausende Gazaer, die ihre Häuser verloren haben, auch aufstehen. Wir in der Regierung haben trotz der israelischen Blockade und dem Mangel an wirklicher Unterstützung versucht, diesen Leuten während der letzten beiden Jahre zu helfen. Ich befürchte, dass diese betroffenen Leute entweder gegen die UNRWA oder gegen den Rafah-Übergang oder gegen die israelische Gazagrenzlinie ausbrechen könnten," warnte al-Mansi.

Das Ministerium erklärt, es hätte mit einigen arabischen Nichtregierungsorganisationen (NROs) zusammengearbeitet, die ein Büro in Gaza haben, und Hunderte vom Krieg betroffener Häuser wieder aufgebaut. Vor kurzem startete das Ministerium ein Wohnungsprojekt, das tausend Häuser in verschiedenen Regionen Gazas errichten soll. Electronic Intifada berichtete vor einiger Zeit über ein ähnliches Projekt, das von Ministerium und Nichtregierungsorganisationen unternommen wurde.

In den vergangenen vier Jahren der israelischen Belagerung verließen sich Palästinenser in Gaza vor allem auf die Schmuggeltunnel an der Gaza-Ägyptengrenze, um die wichtigsten Waren, die die Blockade so knapp machten, zu erhalten, auch Zement, Stahl oder anderes Aufbaumaterial.


UNRWA konzentrierte sich auf den Wiederaufbau von Schulen

Im Rahmen seines Mandats und seiner Möglichkeiten unter der israelischen Blockade hat UNWRA eine Anzahl von Wohnungsprojekten im gesamten Gazastreifen durchgeführt.

"Wir konzentrieren uns augenblicklich auf den Bau von sieben von 100 UNRWA-Schulen, für die wir das Baumaterial von Israel angefordert haben. Wir erhielten aber nur das Material für den Bau von 7 Schulen", antwortete der UNRWA-Sprecher Adnan Abu Hasna zu Electronic Intifada. Wir haben schon 150 Wohnungseinheiten im Gazastreifen fertiggestellt. Aber im allgemeinen ist der Wiederaufbauprozess unter diesen Bedingungen sehr schwierig auszuführen. Wir benötigen hundert Tausende Tonnen Zement und Stahl, um den Wiederaufbau durchzuführen, fügte Abu Hassna hinzu.
Vor der Offensive gab es 640 Regierungs- und UNRWA-Schulen in Gaza. Während des Angriffs wurden 18 Schulen zerstört, einschließlich 8 Kindergärten, und 280 wurden beschädigt - dies nach einem Bericht vom Dezember 2009 von 16 internationalen Hilfs- und Menschenrechtsgruppen, einschließlich Oxfam und Amnesty International.

Auf die Frage, ob UNWRA Gelder für den Wiederaufbau erhalten habe, der noch stattfinden solle, erwiderte Abu Hasna:
"Wir wissen, dass die Leute hier in Gaza große Erwartungen an die UNRWA haben. Die UNRWA hat ein humanitäres Mandat aber keine politische Mission; dies ist unser Mandat. Was die libysche Subvention betrifft so haben wir nur 2 Millionen erhalten und die Libyer bestehen darauf, dass das Baumaterial über die Handelsübergänge aus Israel kommt." [Ob jetzt überhaupt noch etwas aus Libyen kommt ??? fragt ER, die Übersetzerin]
Abu Hasna bleibt dabei, dass die UNRWA kein politisches Mandat hat, also auch nicht in der Lage ist, Druck auf Israel auszuüben; aber im letzten Februar besuchte UN-Generalsekretär Ban ki-Moon den Gazastreifen und rief Israel dazu auf, Baumaterial über die Grenzübergänge zu lassen.

Auf die Frage, ob UNWRA auf örtliche Initiativen reagiert habe, zerstörte Häuser mit Hilfe von Materialien wie Lehm oder Sand wieder aufzubauen, sagte Abu Hasna: "Wir haben reagiert, und wir haben bereits etwa 60 Lehmhäuser im Norden Gazas errichtet. Dennoch können solche vorübergehenden Lösungen einen richtigen Wiederaufbauprozess nicht ersetzen, der erfordert, dass die Grenzübergänge geöffnet und Rohmaterialien in den Gazastreifen gelassen werden."


Gazas Bewohner warten auf eine Unterkunft

Einige unternehmende Bewohner des Gazastreifens warteten nicht auf die Regierung und auf Institutionen wie die UNRWA, sondern nahmen die Sache selbst in die Hand.
Der Ingenieur Emad al-Khaldi erklärte: "Vor ein paar Jahren suchte ich persönlich nach anderen Möglichkeiten zu bauen und benützte außer dem üblichen Zement einiges andere Rohmaterial. Ich untersuchte den Boden an verschiedenen Stellen des Gazastreifens und nahm von verschiedenen Stellen Bodenproben. Meine Idee war Sand zu pressen.
Der Versuch gelang und er baute eine Maschine, um das Material zu pressen und daraus Ziegel zu machen. Anfangs baute er ein Haus mit 15.000 Ziegel, wozu er zwei Monate brauchte. Einige internationale Organisationen wie die Internationale Arbeiter-Organisation war von meiner Idee angetan. Wir unterzeichneten einen Vertrag mit der UNWRA und bauten drei Häuser aus Sandziegeln als Pilotprojekt.

Doch hatte Al-Khaldi Schwierigkeiten, das Projekt in Zusammenarbeit mit der UNRWA fertig zu stellen. Sie halfen mir nicht, das Projekt fertig zu machen, indem genügend Unternehmer unterschrieben, die Arbeit zu beenden. Sie veränderten auch den Plan und begannen, Rohmaterial durch die Tunnel (aus Ägypten) zu holen.

Ob es nun Sand, Schlamm, Stroh, Zement oder anderes Material ist - ob dieses Material über die Tunnel oder via israelische Handelsübergänge kam - was die betroffenen obdachlosen Bewohner am meisten betrifft, die Wohnungen gemietet oder bei Verwandten oder in Zelten untergekommen sind - sie wollen ihre Häuser ein für alle mal wieder aufgebaut haben.

Rami Almeghari ist ein Journalist und Dozent an der Uni im Gazastreifen.


Übersetzung aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs (gekürzte Fassung), Redaktion Schattenblick (ergänzt)

Englischer Originaltext:
© Rami Almeghari
http://www.kibush.co.il/show_file.asp?num=45264
http://electronicintifada.net/v2/article11820.shtml


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Quelle:
The Electronic Intifada, 22. Februar 2011
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in einer Übersetzung aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011