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NAHOST/804: Libyen - Sturz Gaddafis von langer Hand geplant, Bengasi-Revolte kommt NATO gelegen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. April 2011

Libyen: Sturz Gaddafis von langer Hand geplant - Bengasi-Revolte kommt NATO gelegen

Von Jaya Ramachandran


Berlin, 15. April (IPS) - Als sich die 28 NATO-Außenminister und ihre sogenannten Partnerländer vor dem Hintergrund ihrer Militäroperationen in Libyen am 14. April in Berlin trafen, hatten sie allen Grund, für den Aufstand in Bengasi gegen Muammar al-Gaddafi dankbar zu sein. Denn Bengasi hat den Falken der ehemaligen Kolonialmächte der Region in die Hände gespielt, die auf eine 'robuste' Präsenz der NATO in Nahost und Nordafrika aus sind.

Alfred Ross, Vorsitzender der New Yorker Denkfabrik 'Institute for Democracy Studies', wirft der NATO und ihren Alliierten vor, die Welt einschließlich des UN-Sicherheitsrats (UNSC) belogen zu haben, was die Fakten im Zusammenhang mit der 'humanitären Krise' und dem Militärangriff auf Libyen angeht.

"Seit 1969, als Gaddafi das US-Militär zum Verlassen Libyens zwang, plant Washington die Rückkehr und Gaddafis Sturz", so Ross gegenüber dem unabhängigen Analyse-Dienst InDepthNews (IDN). Er wies darauf hin, dass der US-Geheimdienst CIA 1981 die Nationale Front zur Befreiung Libyens ((NFSL) gründete, um den libyschen Revolutionsführer zu stürzen. In den Jahren danach habe die NFSL mit einer Serie von Militäranschlägen begonnen und ihre eigene Libysche Nationalarmee (LNA) gegründet.

Ross unterstrich des Weiteren, dass die von der CIA ausgerüstete NFSL und ihr Sprecher Ibrahim Sahad die Demonstrationen im vergangenen Februar angeführt hatten, die dann zur 'humanitären Krise' führen sollten. Dies erkläre auch, warum anders als in Tunesien und Ägypten die Demonstranten in Libyen so schnell bewaffnet waren.


Angriffspläne seit Januar

Bereits am 2. November 2010 hatten Briten und Franzosen ein Militärabkommen geschlossen. Sie begannen Ende Januar 2011 mit der Planung der Angriffe, wie Ross etlichen militärischen Webseiten entnehmen konnte. Die Website-Inhalte deuten auf einen militärischen Plan hin, eine "südliche Diktatur "zwischen dem 21. und 25. März 2011 zu attackieren. Sie enthielten ferner den Hinweis, dass der Sohn des Diktators die Macht vom Vater übernehmen könnte. Da Großbritannien und Frankreich keine Absicht verfolgten, die 'südliche Diktatur' Ägypten anzugreifen, konnte nach Ansicht von Ross nur Libyen gemeint sein.

"Die USA, Großbritannien und Frankreich versicherten den durch die CIA geschaffenen Widerstandskämpfern, im Fall eines Angriffs auf die libysche Armee über einen gut entwickelten Angriffsplan zu verfügen. Auf den militärischen Webseiten waren sogar die Kampfflugzeuge spezifiziert, die bei den Märzattacken eingesetzt würden. Die USA und ihre militärischen Verbündete schufen eine 'humanitäre' Krise, um den geplanten Angriff zu rechtfertigen", schrieb Ross in einer Mail an IDN.

Unabhängig von dem, was Ross herausgefunden hat, ist auch die Rolle Frankreichs in dem Strategiespiel von entscheidender Bedeutung. Unter der Präsidentschaft von Charles de Gaulle gab es eine gewisse Sorge über die "besonderen Beziehungen" zwischen USA und Großbritannien. Sie führte zum Abzug der mächtigen französischen Mittelmeerflotte aus dem NATO-Kommando. Drei Monate später untersagte Paris die Stationierung ausländischer Atomwaffen auf französischem Boden.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später übernahm der der derzeitige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Drei-Länder-Club Frankreich, Großbritannien und USA die Führung, indem er am 18. März 2011 die Paris-Konferenz zu Libyen einberief. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass auch Bengasi nach den arabischen Volksaufständen gegen Gaddafi revoltieren würde.

Die von NATO und ihren sechs arabischen Alliierten gestartete Operation 'Unified Protector' (OUP) nimmt für sich in Anspruch, "die von Angriffen der Pro-Gaddafi-Truppen bedrohten Zivilisten und die von Zivilisten bewohnten Gebiete zu schützen", wie dies in der UNSC-Resolution 1973 festgeschrieben ist. Sie setzen ein Waffenembargo und ein Flugverbot über dem libyschen Luftraum durch.

Die erste Militäraktion Frankreichs, der USA und Großbritanniens erfolgte am 19. März, noch vor der Übernahme der Operation durch die NATO. Zuvor mussten erst französische Einwände gegen die NATO-Beteiligung zerstreut werden.


NATO will globale militärische Rolle spielen

Die jüngste Konferenz in Berlin wird auch dadurch, dass es sich um das erste Treffen der NATO-Außenminister nach Annahme des Neuen Strategiekonzepts auf dem Gipfel in Lissabon im November 2010 handelt [...]. Das Konzept zementiert den Anspruch der NATO auf eine globale militärische Rolle, obwohl viele Politikexperten einwenden, sie sei seit dem Ende des Kalten Krieges irrelevant geworden.

Die Berlin-Konferenz fand einen Tag nach dem Treffen der Libyen-Kontakt-Gruppe im katarischen Doha statt. Am 18. März hatte die Libyen-Konferenz in Paris und am 29. März die Konferenz in London stattgefunden.

Auf einer Pressekonferenz nach dem Außenministertreffen in Berlin erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: "Wir sind uns alle einig, dass wir eine Verantwortung haben, die libyschen Zivilisten vor einem brutalen Diktator zu schützen. Die Vereinten Nationen haben dazu ihr klares Mandat gegeben. (...) Denn wir werden nicht untätig zusehen, wie ein in Misskredit gefallenes Regime sein eigenes Volk mit Tankern, Raketen und Scharfschützen angreift."

Die Außenminister begrüßten das Ergebnis der Konferenz der Libyen-Kontaktgruppe in Doha und begrüßten deren Aufruf nach einem Rücktritt Gaddafis. "Gaddafi und sein Regime haben jede Legitimität durch die umfassende und wiederholte Weigerung verloren, sich an die UNSC-Resolutionen 1970 und 1973 zu halten."

Darüber hinaus bekräftigte die NATO ihre Unterstützung für Maßnahmen zugunsten einer politischen Lösung der gegenwärtigen Krise sowie für die "Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Einheit Libyens". (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.institutefordemocracy.org/
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2011-04-15%2003:21:47&key2=1

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2011