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NAHOST/806: Ägypten - Schweigen über die Arbeit der neuen Sicherheitsbehörde löst Unbehagen aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. April 2011

Ägypten: Schweigen über die Arbeit der neuen Sicherheitsbehörde löst Unbehagen aus

Von Adam Morrow und Khaled Moussa Al-Omrani


Kairo, 21. April (IPS) - Über einen Monat ist es her, dass Ägyptens Interimsregierung auf die Forderung der Pro-Demokratie-Bewegung einging und die berüchtigte Staatssicherheitsbehörde SSI auflöste. Auskünfte über die Aufgaben und Verfahrenweisen ihrer Nachfolgeorganisation Nationales Sicherheitsbüro (NSB) sind jedoch dünn gesät. Das Informationsdefizit nährt Befürchtungen, dass außer dem Namen alles beim Alten bleiben könnte.

Regimekritiker und Mitglieder der Opposition hatten die Auflösung der SSI zunächst gelobt. Weil aber keine Details über das NSB in die Öffentlichkeit gelangen, wächst die Sorge, die neue Behörde könnte eine ähnlich repressive Rolle spielen wie ihre verhasste Vorgängerin. "Bisher besteht ein nicht zu entschuldigendes Informationsdefizit über die genaue Rolle und die Aktivitäten der neuen Sicherheitsagentur", bemängelte Amr Hashim Rabie vom Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien in Kairo.

"Die offiziellen Stellungnahmen zu der neuen Agentur sind knapp und vage", monierte auch Bahy Eddin Hassan, Leiter des Kairo-Zentrums für Menschenrechtsstudien. "Aus diesem Grund wächst die Sorge, das NSB könnte sich am Ende als eine abgespeckte Version der SSI herausstellen. Will die Übergangsregierung Kritiker wirklich überzeugen, dass die SSI ausgedient hat, muss sie genau erklären, wie die neue Agentur operieren wird."

Am 15. März hatte der frisch ernannte Innenminister Generalmajor Mansour al-Essawy die Abschaffung der SSI bekannt gegeben. Der Minister, so erklärte ein Pressesprecher, habe beschlossen, die SSI einschließlich aller Verwaltungseinheiten, Niederlassungen und Büros aufzulösen.

Der Sprecher erklärte weiter, dass al-Essawy per Dekret die Einrichtung einer neuen Sicherheitsbehörde beschlossen habe. Diese neue Einrichtung werde verfassungs-, rechts- und menschenrechtskonform operieren und sich allein dem Schutz der nationalen Sicherheit und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus widmen. "Es wird nicht in das normale alltägliche Leben der Bürger eingreifen geschweige denn gegen ihre politischen Rechte verstoßen."


Neuer NSB-Chef

Am 20. März ernannte das Innenministerium Generalmajor Hamid Abdullah zum NSB-Chef. Der Absolvent der Polizeiakademie Abdullah war Sicherheitschef der ägyptischen Helwan-Provinz und stellvertretender Innenminister für den nördlichen Teil Oberägyptens gewesen.

Die Abschaffung der SSI gehörte zu den Hauptforderungen der Revolution vom 25. Januar, die am 11. Februar zum Sturz des Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak führte. Seither werden die Regierungsgeschäfte vom Obersten Rat der ägyptischen Streitkräfte geführt, der al-Essawy im letzten Monat an die Spitze des Innenministeriums berief.

Der SSI werden schwere Menschenrechtsverletzungen in der 30-jährigen Mubarak-Herrschaft angelastet. Die Behörde diente dem Regime vor allem als ein Werkzeug des Machterhalts. Kritiker und Dissidenten wurden gnadenlos verfolgt, gefoltert und/oder umgebracht. Die SSI war auch berüchtigt dafür, den Ausgang von Wahlen zugunsten von Mubaraks Nationaler Demokratischer Partei beeinflusst zu haben.

Ägyptens SSI hieß ursprünglich 'Sonderbehörde' und war 1913 von den britischen Besatzern zur Überwachung politischer Dissidenten eingeführt worden. Nach der Revolution von 1952 wurde sie unter dem damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser 'dekolonisiert', blieb aber als Sonderbehörde bestehen. Unter dem Staatschef Anwar Sadat wurde sie dann in den 1970er Jahren in SSI umbenannt.

Um wichtige SSI-Dokumente vor der Zerstörung zu bewahren, stürmten Mitglieder der Pro-Demokratie-Bewegung etliche Büros der Staatssicherheitsbüros und stellten Unterlagen sicher. Gleich nach dem jüngsten Volksaufstand Anfang des Jahres gelangten Informationen an die Öffentlichkeit, wonach die SSI auch beim Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria Ende des Jahres eine Rolle gespielt hatte, der 24 Menschen das Leben kostete. Regierungsvertreter machten zunächst das Terrornetzwerk Al Kaida und später eine palästinensische Islamistenpartei für das Attentat verantwortlich.

Derzeit sitzen etliche hochrangige SSI-Mitarbeiter einschließlich Ex-Innenminister Habib al-Adli und auch Mubarak in Untersuchungshaft. Ihnen allen wird unter anderem vorgeworfen, mit brutaler Gewalt gegen die 18-tägigen friedlichen Proteste vorgegangen zu sein.


Ehemalige Sicherheitsmitarbeiter umverteilt

Am 12. April berichteten die Staatsmedien, dass drei Viertel der ehemaligen SSI-Mitarbeiter auf verschiedene Behörden verteilt wurden. Die verbliebenen 25 Prozent, die nachgewiesener Maßen nichts mit den politischen Aufgaben der Behörde zu tun hatten, sollen der neuen NSB als Mitarbeiter erhalten bleiben.

"Es ist nicht damit getan, Mitarbeiter auszutauschen. Vielmehr muss der Modus operandi der Agentur komplett verändert werden. Wir brauchen die Zusicherung, dass die neue Behörde nicht die gleichen Methoden und Techniken verwendet wie die SSI", forderte der Politexperte Amr Hashim Rabie. "So sollte sich das NSB ausschließlich auf Gegenspionage- und Anti-Terrormaßnahmen konzentrieren. Dies wiederum macht eine effektive Justiz und einen genauen Einblick in alle Verfahrensweisen erforderlich." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011