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NAHOST/911: Iran - Präsident verhindert Amtsenthebung von Said Mortasawi durch das Parlament (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Mai 2012

Iran: Der seltsame Fall des Said Mortasawi - Präsident verhindert Amtsenthebung durch das Parlament

von Jasaman Badschi



Teheran, 9. Mai (IPS) - Im Iran hat sich Präsident Mahmud Ahmadinedschad nach einem wochenlangen Machtkampf über die Leitung der größten staatlichen Wohlfahrtsorganisation gegenüber dem Parlament durchgesetzt. Direktor der Behörde ist und bleibt der seit vielen Jahren äußerst umstrittene Jurist Said Mortasawi, dem schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden.

Die jüngsten Entwicklungen in dem Fall haben Spekulationen ausgelöst, welche Rolle Mortasawi für Präsident Ahmadinedschad und Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei spielt. Die Tragweite des Falls wurde nicht zuletzt durch den Ruf nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Mortasawis Vorgesetzten, Arbeits- und Wohlfahrtsminister Abdolresa Scheicholeslami, offensichtlich, der durchblicken ließ, von Ahmadinedschad zur Ernennung Mortasawis genötigt worden zu sein.

Das Parlament kann Mortasawi nicht seines Amtes entheben, weil es dazu nicht befähigt ist. Wohl aber verfügt es über das Mandat, Minister abzuberufen, was im Fall Scheicholeslamis nicht mehr geschehen ist, nachdem der ehemalige Parlamentspräsident Gholamali Haddad Adel öffentlich erklärt hatte, dass Mortasawi aus freien Stücken sein Amt niederlegen werde. Doch Mortasawi hat inzwischen vor Journalisten erklärt, dass die Abgeordneten Lügen über ihn verbreiteten. Die Ereignisse haben das Ansehen und die Aussichten von Haddad Adel, Präsident des neuen Parlaments zu werden, sehr geschmälert.


Von Journalisten gefürchtet

Der 45-jährige Mortasawi hat eine steile Karriere hinter sich. Er wurde im Alter von 20 Jahren Richter, obwohl ihm jede praktische Erfahrung fehlte, und kletterte rasch die Karriereleiter nach oben. In den Reformjahren 1997 bis 2005 sorgte er als Chefrichter für Presseangelegenheiten dafür, dass viele Reformzeitungen schließen mussten und Journalisten und Blogger festgenommen wurden.

2002‍ ‍wurde Mortasawi Staatsanwalt von Teheran. In dieser Funktion hat er die Festnahme und Folterung der kanadischen Fotojournalistin iranischer Herkunft, Sahra Kasemi, zu verantworten, die in der Haft an den Folgen einer Gehirnverletzung starb. Die Folterspuren veranlassten das Parlament zu dem vergeblichen Versuch, Mortasawi aus dem Amt zu entfernen.

Damals warf der prominente Reformer und Abgeordnete Mohsen Armin die Frage auf, imwieweit Mortasawi von höchster Stelle protegiert wird. Auch bei den Konservativen war Mortasawi nicht gut gelitten. Sie warfen ihm ethisches und finanzielles Fehlverhalten vor. Als 2008 der illegale Verkauf der begehrten Zulassungen für die private Asad-Universität gerichtlich verhandelt wurde, beschuldigte der Abgeordnete und Hardliner Aliresa Sakani Mortasawi, die Beweismittel vernichtet und somit jede Aufklärung des Falls verhindert zu haben.

Gleich nach den Wahlen 2009 wurde Mortasawi für die Festnahme und Überstellung von friedlichen Demonstranten in das überfüllte und wegen der Misshandlung von Häftlingen verrufene Kahrisak-Gefängnis verantwortlich gemacht. Fünf der jungen Männer kostete der Aufenthalt in der Haftanstalt das Leben.

Selbst Chamenei, der im Ruf steht, einer der größten Unterstützer Mortasawis zu sein, räumte damals Verstöße ein, ordnete die Schließung des Gefängnisses an und versprach die strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die für den Tod der jungen Demonstranten verantwortlich waren.

Mortasawi wurde lediglich zum Vize-Staatsanwalt abgestuft. Diesen Posten büßte er erst 2010 ein, nachdem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Vorfälle im Kahrisak-Gefängnis untersucht hatte. Der Jurist wurde wegen "Beihilfe zu Mord", "Bürgerrechtsverletzungen" und der "Entwürdigung der iranischen Sicherheitskräfte" unter Anklage gestellt.

Dass er Gegenstand einer strafrechtlichen Verfolgung wurde, hinderte Ahmadinedschad nicht, Mortasawi zum Leiter einer Arbeitsgruppe gegen den Drogenhandel zu machen. Im März 2012 wurde er zum Direktor der Organisation für soziale Sicherheit ernannt, der wichtigsten Wohlfahrtsbehörde des Landes. Doch diese Beförderung ließ das Parlament auf die Barrikaden gehen, zumal Mortasawi keinerlei Erfahrungen in diesem Bereich vorweisen kann.


Protegé der Mächtigen

Dass er den Posten nun doch behalten kann, gibt Gerüchten Auftrieb, wonach er sich der direkten Unterstützung Chameneis erfreuen darf. Dafür spricht nach Ansicht von Beobachtern auch die Intervention von Haddad Adel zugunsten des Wohlfahrtsministers Scheicholeslami. Hadded Adels Tochter ist mit Chameneis Sohn verheiratet.

Nach Ansicht des iranischen Dissidenten Akbar Gandschi genießt Mortasawi als einer von vielen Handlangern Chameneis dessen Schutz. Andere argumentieren, dass sich Mortasawi im Verlauf seiner beruflichen Laufbahn so viele Informationen angeeignet habe, die die Regierung veranlassen, ihn mit Glacéhandschuhen anzufassen. Die oppositionelle Webseite 'Jaras' mutmaßt sogar, dass Mortasawi belastendes Geheimmaterial auf CD gepresst hat und in die USA bringen ließ, um sie gegebenenfalls zu veröffentlichen.

Ein Universitätsprofessor, der sich Anonymität ausbat, hält eine Verwicklung Chameneis in die Verbrechen Motasawis und dessen Ernennung zum Leiter der Organisation für soziale Sicherheit für unwahrscheinlich. "Menschen wie Ahmadinedschad und Mortasawi haben es zu ihrem Geschäft gemacht, Dossiers über andere einschließlich Chamenei anzulegen", sagte er.

Chamenei halte sich möglicherweise im Fall Mortasawi bedeckt, weil er dessen Enthüllungen fürchten müsse, so der Professor. "Ahmadinedschad hingegen hat mit der Ernennung Mortasawis zum Sozialversicherungschef ein wandelndes Dossier unter seine Fittiche gebracht." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012