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NAHOST/923: Kadima zum halben Preis? - Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung in Israel (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Kadima zum halben Preis?
Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung in Israel

von Ralf Hexel, Mai 2012



• Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung stärkt Premier Netanyahu und verschafft ihm neuen Handlungsspielraum. Kadimas Regierungseintritt stärkt moderate Kräfte und schwächt die Hardliner.

• Einen echten Politikwechsel wird es nicht geben. Kadima hat in der Opposition politisch versagt und wird als Regierungspartei noch weniger in der Lage sein, eine andere Politik durchzusetzen.

• Die Einigung zwischen Mofaz und Netanyahu war in erster Linie innenpolitisch motiviert. Daher wird es vor allem dort und weniger in der Außenpolitik zu moderaten Veränderungen kommen.

• Im Friedensprozess kann es neue israelische Gesprächsangebote geben, aber echter Fortschritt und eine Überwindung des derzeitigen Stillstands sind kaum zu erwarten.

• Es ist unklar, ob sich Mofaz in der Iranfrage den Moderaten oder den Hardlinern in Netanyahus Sicherheitskabinett anschließt.


1. Die Bildung einer nationalen Einheitsregierung in Israel

Am 08.05.2012 trat die oppositionelle Kadima-Partei (28 Abgeordnete) unter Führung des früheren Generalstabschefs und Verteidigungsministers Shaul Mofaz völlig überraschend der rechts-religiösen Regierungskoalition von Premier Benjamin Netanyahu (66 der 120 Abgeordneten) bei. Netanyahu steht jetzt einer Regierung aus sieben Parteien vor, die eine Mehrheit von 94 Abgeordneten besitzt und zu Recht als nationale Einheitsregierung bezeichnet wird. Dieser steht, angeführt von der Avoda-Vorsitzenden Shelly Yachimovich (8 Abgeordnete) eine kleine sowie zersplitterte Opposition aus sechs Parteien mit 26 Abgeordneten gegenüber. Bis zur nächsten Knessetwahl im Oktober 2013 besitzt Netanyahu nun erheblichen Spielraum, da er von keinem seiner Regierungspartner mehr allein gestürzt werden kann. Mit diesem Schachzug hat er erneut bewiesen, welch vortrefflicher politischer Taktiker er ist.

Aber wird Netanyahu den neugewonnenen Spielraum nutzen, um dem Stillstand im Nahost-Friedensprozess neue Impulse zu verleihen? Wird sich seine Politik gegenüber dem Iran ändern? Oder wird er an seiner Politik der Erhaltung des Status Quo festhalten? Dies hängt wesentlich von Shaul Mofaz ab, der am 27. März Tzipi Livni als Vorsitzender der Kadima ablöste und am 9. Mai von der Knesset als neuer stellvertretender Ministerpräsident vereidigt wurde.

Keine vorgezogenen Wahlen, dafür eine nationale Einheitsregierung

Als die Knesset am 7. Mai zusammenkam, gab es keine Zweifel, dass es an diesem Tag zu ihrer Auflösung und zu vorgezogenen Wahlen am 04.09.2012 kommen würde. Abseits der heftigen parlamentarischen Debatte wurde jedoch von Netanyahu, Verteidigungsminister Ehud Barak und Shaul Mofaz der Deal mit Kadima eingefädelt. Um 02.00 Uhr morgens gaben Netanyahu und Mofaz Kadimas Regierungsbeitritt und die unterzeichnete Koalitionsvereinbarung bekannt. Netanyahus bisher wichtigste Koalitionspartner, Außenminister Avidgdor Lieberman (Yisrael Beiteinu) und Innenminister Eli Yishai (Shas), hatten vorab zugestimmt.

Die äußerst knapp gehaltene Koalitionsvereinbarung beinhaltet vier politischen Prioritäten: 1) bis Ende Juli 2012 wird ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedet, das ultra-orthodoxe Männer in den Militärdienst einbezieht; 2) die Verabschiedung eines verantwortungsvollen Staatshaushalts, der den sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen gerecht wird; 3) eine Reform des Regierungssystems mit dem Ziel, stabilere Regierungen zu ermöglichen bis Ende des Jahres 2012; 4) den Friedensprozess in einer verantwortungsbewussten Weise voranzubringen. Ferner wurde vereinbart, dass Mofaz Vize-Premier und Mitglied des wichtigen Sicherheitskabinetts wird. Zudem wird Kadima der Vorsitz von zwei der wichtigsten Parlamentsausschüsse - Außenpolitik/Verteidigung und Wirtschaft - sowie eines weiteren, noch nicht benannten Ausschusses zugesichert.

Netanyahu und Mofaz wollten keine vorgezogenen Wahlen

Mofaz und Netanyahu hatten jeweils eigene Gründe für ihre Entscheidung, eine Einheitsregierung zu bilden und vorgezogenen Wahlen zu vermeiden. Netanyahus politische Führungsposition ist unangefochten, seit Monaten hat er blendende Umfragewerte und Neuwahlen hätte er deutlich gewonnen. Dennoch ist er in den vergangenen Monaten zunehmend unter Druck geraten. Ursache hierfür sind drei Urteile des Obersten Gerichts und in Teilen auch die soziale Protestbewegung.

Bei den Entscheidungen des Obersten Gerichts handelt es sich um das Tal-Gesetz und um zwei Urteile zur Evakuierung und dem Abriss von Siedlungsaußenposten. Das seit 2002 gültige Tal-Gesetz, das ultra-orthodoxe Männer, wenn sie die Thora Vollzeit studieren wollen, vom Militärdienst befreit, wurde vom Gericht als grundgesetzwidrig annulliert. Die Knesset wurde aufgefordert, bis zum 1. August ein Gesetz zu verabschieden, dass volle Gleichheit beim Militärdienst herstellt. Die beiden ultra-orthodoxen Parteien in Netanyahus bisheriger Koalition, Shas (11 Abgeordnete) und Vereinigtes Thora-Judentum (5) hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass sie einem solchen Gesetz nicht zustimmen würden, was ein Ende der Regierung zur Folge gehabt hätte.

Bei den Urteilen zu Siedlungsaußenposten in der Westbank, die nach israelischen Gesetzen verfassungswidrig sind, geht es um die Außenposten Ulpana und Migron. In beiden Fällen wurde gesetzeswidrig auf privatem palästinensischem Land gebaut. Trotz einer Reihe von Versuchen der Regierung, die Urteile zu umgehen, entschied das Gericht, dass beide Außenposten evakuiert und abgerissen werden müssen. Die Frist für Ulpana ist der 1. Juli und für Migron der 1. August diesen Jahres. Gegen die Durchführung gibt es heftige Widerstände auch im Likud selbst, darunter bei mehreren Ministern, sowie bei Netanyahus bisher wichtigsten Koalitionspartnern, Yisrael Beiteinu (15) und der Siedlerpartei Jüdisches Haus (3).

Da Kadima sowohl für eine Reform des Wehrdienstgesetzes, als auch für die Räumung der Außenposten eintritt, hat Netanyahu notwendigen politischen Spielraum gewonnen, um diese Probleme zu lösen. Falls es zu den Siedlungsabrissen kommen sollte, wird es zwar eine Regierungskrise geben, aber er wird diese mit Hilfe von Mofaz wahrscheinlich überstehen.

Die soziale Protestbewegung ist insofern von Belang, als damit zu rechnen ist, dass die Proteste mit Beginn der warmen Jahreszeit wieder an Dynamik gewinnen. Die Regierung wird erneut mit konkreten sozio-ökonomischen Forderungen konfrontiert werden. Soziale Proteste im Wahlkampf sind aber nicht in Netanyahus Interesse. Es wird für ihn mit Kadima in der Regierung leichter sein, mit dem Protest umzugehen und im Herbst die schwierigen Entscheidungen bei der Verabschiedung des Staatshaushalts 2013 zu treffen.

Mofaz' Beweggründe mit Netanyahu zusammenzugehen sind augenfälliger. Seiner Partei wurden in allen relevanten Umfragen kaum noch mehr als 12 Sitze bei Neuwahlen prognostiziert. Er nutzte die sich ihm bietende Chance, einen dramatischen Absturz von 28 auf 12 Mandate zu vermeiden. Nach seiner erst vor wenigen Wochen erfolgten Wahl zum Kadima-Vorsitzenden gibt ihm der Zeitaufschub die Möglichkeit, Kadima zu konsolidieren, auf seinen Kurs zu bringen und die Öffentlichkeit mit seinen Positionen vertraut zu machen.

Heftige Kritik von Öffentlichkeit und Opposition

Eine durchgeführte Blitzumfrage ergab, dass die Mehrheit der Israelis glaubt, dass nicht die Interessen des Landes die Grundlage von Netanyahus und Mofaz' Entscheidung waren sondern parteipolitische Überlegungen. Die Medien waren gänzlich überrascht und reagierten gespalten. Einerseits wurde der jenseits aller politischen Gremien erzielter Coup von vielen Journalisten als schwere Schädigung des Vertrauens der Menschen in die Glaubwürdigkeit der Politik bezeichnet. Während die drei hinter verschlossenen Türen verhandelten, ließen sie die gesamte Knesset wie in einem politischen Theaterstück über Neuwahlen debattieren. Andererseits machten die Journalisten - mit bitterer Ironie - keinen Hehl aus ihrem Respekt für das machttaktische Geschick von Netanyahu. Amit Segal von Israels TV-Channel 2 sprach beispielsweise vom "Deal des Jahrhunderts", denn Netanyahu habe Mofaz für den "halben Preis" und die anderen 27 Abgeordneten "umsonst" bekommen.

Die Vertreter der Opposition reagierten mit heftiger Kritik. Shelly Yachimovich sprach von einem Bündnis von Feiglingen und dem lächerlichsten Zickzack in der israelischen Politik. Sie meinte vor allem Mofaz, der Netanyahu noch in den vergangenen Wochen immer wieder aggressiv attackierte und ihn öffentlich als Lügner bezeichnete hatte. Zahava Gal-On, die Vorsitzende der Meretz-Partei, sieht in der Art des Zustandekommens der neuen Regierung eine schwere Beschädigung des Vertrauens der Bürger in die Politiker des Landes. Die Reaktionen der Bürger belegen dies. Ständige Positionswechsel führender Politiker und die Aushebelung demokratischer Institutionen haben zu einem Besorgnis erregenden Vertrauensverlust in die Demokratie geführt.


2. Wer gewinnt, wer verliert?

In den Medien wurde nach der Regierungsbildung intensiv über Gewinner und Verlierer debattiert. Als Gewinner galten Mofaz sowie Premier Netanyahu. Als Verlierer wurden oft die im Aufwind befindliche Arbeitspartei gesehen und der frühere TV-Starjournalist Yair Lapid, dessen erst wenige Tage zuvor gegründete Partei Yesh Atid aus dem Stand mit 11 Mandaten dasselbe Ergebnis wie Kadima vorausgesagt wurde. Netanyahu betreffend ist disee Einschätzung stimmig. Er hat die moderate Kadima an seine Seite geholt und die Machtbalance in der Regierung zu seinen Gunsten verändert. Auch in Bezug auf Yair Lapid ist die Einschätzung wohl zutreffend. Auf ihn wurden - ohne dass er überzeugende Alternativen anzubieten hatte - große Hoffnungen projiziert. Für ihn wird es schwer im Gespräch zu bleiben. In Bezug auf die Arbeitspartei und Kadima lohnt es sich genauer hinzuschauen. Für Kadima gibt es nun prinzipiell zwei Szenarien. Wenn Mofaz seinen Ankündigungen treu bleibt und innen- und sicherheitspolitische Akzente in der Koalition setzt, kann das zu einer Konsolidierung der Partei führen. Er wird zwar keine 28 Knessetmandate mehr erreichen können, aber Kadima hätte als Zentrumspartei eine echte Funktion und Daseinsberechtigung in dieser Regierung und in der israelischen Politik. Wenn er jedoch nur machttaktisch agiert und es nicht schafft seine politische Agenda zur Geltung zu bringen und einen spürbaren Politikwechsel herbeizuführen, verliert Kadima seine politische Existenzberechtigung und wird zu einem Anhängsel des Likud.

Die Arbeitspartei hat seit der Wahl von Shelly Yachimovich zur neuen Vorsitzenden imponierende Fortschritte bei ihrer personellen und inhaltlichen Erneuerung gemacht. Die in Umfragen vorausgesagten 17-20 Knessetsitze belegen das gewonnene Vertrauen der Menschen in die Partei. Aber ein solcher Wahlerfolg wäre für die noch in einem inneren Reformprozess befindliche Partei möglicherweise zu früh gekommen. Der interne Streit, ob die Partei Ofer Eini bei seiner Wiederwahl zum Vorsitz des Gewerkschaftsdachverbandes Histadrut unterstützen soll, zeigte, dass die innere Spaltung noch nicht überwunden ist. Es könnte sich für die Partei als großer Vorteil erweisen, dass die Wahlen jetzt wie geplant im Oktober 2013 stattfinden. Bis dahin kann sich Yachimovich als Oppositionsführerin in der Öffentlichkeit profilieren. Die Arbeitspartei hat jetzt die Chance, das zu tun, woran Kadima scheiterte: mit klar definierten Zielen und Inhalten eine politische Alternative zur Regierungskoalition zu formulieren. Bei der Formulierung einer solchen Alternative geht es für die Arbeitspartei auch darum, die eigene Oppositionspolitik mit den Forderungen der sozialen Protestbewegung zu verbinden und dieser eine stärkere politische Plattform zu verleihen bzw. anzubieten.

Das Gewicht der beiden ultra-orthodoxen Parteien in der neuen Regierung wird dagegen geringer. Shas (11 Sitze) und Vereinigtes Thora-Judentum (5) waren bisher ein wichtiger Machtfaktor. Es konnten keine wichtigen Entscheidungen ohne sie getroffen werden. Nun ist Netanyahu nicht mehr auf ihre Unterstützung angewiesen. Der Ausgang des Streits um das Tal-Gesetz wird darüber entscheiden, ob beide Parteien in der Regierung verbleiben. Die Mehrzahl der Beobachter geht aber davon aus, dass ein neues Gesetz zu keiner drastischen Veränderung der bisherigen Praxis führen wird, sondern dass ein Kompromiss mit den ultra-orthodoxen Parteien gefunden wird, der mittel- und langfristig zu mehr Gerechtigkeit beim Militärdienst führt.

Auch für Avigdor Lieberman und seine Yisrael Beiteinu werden Einfluss und Druckpotenzial gegenüber Netanyahu abnehmen. Lieberman hat jedoch stets unter Beweis gestellt, dass er pragmatisch und ein kluger Taktiker ist. Die Koalition wird er kaum verlassen, in der Siedlungsfrage könnte es jedoch zwischen ihm und Mofaz zu ernsthaften politischen Auseinandersetzungen kommen. Mofaz hat mehrmals deutlich gemacht, dass die Entscheidungen des Obersten Gerichts respektiert werden müssen. Lieberman ist dagegen der Meinung, dass Ulpana kein illegaler Außenposten sei.

Neben Netanyahu und Mofaz profitiert zudem Ehud Barak von Kadimas Regierungsbeitritt. Er kann weitere 18 Monate Verteidigungsminister bleiben, obwohl seine Atzmaut-Partei bei Umfragen weit unterhalb der 2%Hürde liegt und bei vorgezogenen Wahlen nicht wieder ins Parlament eingezogen wäre. Gemeinsam mit Netanyahu und nun Mofaz, bildet Barak nun weiterhin in strategischen Fragen das Entscheidungszentrum der Regierung.

Wie geht es weiter im Friedensprozess und in der Iranpolitik?

Mofaz ist eine Ausnahme unter Israels Spitzenpolitikern. Er hat einen eigenen konkreten Plan für die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern vorgelegt. Sein vorgeschlagener Zwei-Stufen-Plan besteht darin, in einem ersten Schritt auf 60% des Territoriums der Westbank einen palästinensischen Staat zu gründen und hiervon ausgehend in einer zweiten Phase die endgültigen Grenzen zwischen den beiden Staaten zu bestimmen. Wenn Netanyahu den Mofaz-Plan zur Grundlage seiner Politik im Friedensprozess machen würde, entspräche das längst nicht der Kernforderung der Palästinenser die Anerkennung der Grenzen von 1967 - ließe aber eventuell eine neue politische Dynamik entstehen.

Das gleiche gilt für Netanyahu, der sich prinzipiell zur Zwei-Staaten-Lösung bekennt, aber stets verlauten ließ, jedes Eingehen auf palästinensische Forderungen würde sofort ein Auseinanderbrechen seiner Regierungskoalition bedeuten. Eine Aussage die nun obsolet ist. Dass ein solches Angebot für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schwer annehmbar und durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Netanyahu und Mofaz würden aber beweisen, dass sie nicht nur rhetorisch sondern auch mit konkreten Schritten bereit sind, den Frieden voranzubringen. Nach der Regierungsbildung betonte Netanyahu aber sogleich, dass die Ursache des derzeitigen Stillstands nicht fehlender politischer Wille seiner Regierung sei, sondern die Verweigerungshaltung der palästinensischen Seite. Dementsprechend finden sich in seinem am 13. Mai an Mahmud Abbas übergebenen Brief auch keinerlei neue Vorschläge sondern nur die Erklärung, dass die neue israelische Regierung eine neue Chance für Frieden sei und die bilateralen Gespräche unverzüglich wieder aufgenommen werden müssten.

In der Medienberichterstattung spielte die Überwindung des Stillstands im Friedensprozess keine dominierende Rolle. Im Mittelpunkt steht, ob Mofaz sich in der Iran-Frage dem Kurs der Hardliner Netanyahu und Barak anschließen wird, obwohl er sich in den vergangenen Monaten stets gegen ein schnelles militärisches Handeln - notfalls ohne Mitwirken der USA - ausgesprochen hatte.

Auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz machten Netanyahu und Mofaz zur Iranfrage - der derzeitig wichtigsten in der israelischen Politik - keine Aussagen. Gegner eines Militärschlages befürchten nun, dass Mofaz seine Meinung ändern und Netanyahus Kurs stärken könnte. In den ausländischen Kommentaren war dies ein zentrales Motiv für Netanyahu, den im Iran geborenen Mofaz in seine Regierung zu holen. Ohne auf die gewichtigen innenpolitischen Auseinandersetzungen einzugehen, titelte u.a. Spiegel Online noch am selben Tag: "Netanjahu schmiedet Kriegskoalition". Folgt man jedoch dem politischen Diskurs in Israel, waren es vorwiegend innenpolitische Gründe seitens Netanyahus. Wenn es ihm aber gelingt, Mofaz auf seinen Kurs zu bringen, verleiht das jeder von seinem Kabinett getroffenen Entscheidung in der Iranfrage ein weit höheres Maß an Legitimation. Denn an der sicherheitspolitischen Kompetenz des früherer Generalstabschefs und Verteidigungsministers gibt es in Israel keinerlei Zweifel.

Reuven Pedatzur, renommierter israelischer Militärexperte, kommt deshalb zu dem Schluss, dass Netanyahu nun, da Kadima seiner Regierung angehöre, tun könne, was er wolle, da es in der Iranfrage keine echte Opposition mehr gäbe. Er "müsse nur noch Mofaz davon überzeugen, mit ihm übereinzustimmen."


3. Fazit

Die Schaffung einer nationalen Einheitsregierung stärkt die Machtposition von Premier Netanyahu und eröffnet ihm neuen Spielraum im Umgang mit den zentralen innen- und außenpolitischen Herausforderungen. Die Arbeitspartei wird führende Oppositionspartei und kann in dieser Rolle beweisen, dass sie eine glaubhafte Alternative zur Regierungskoalition ist. Ein echter Politikwechsel ist von der neuen Regierung weder in der Innen- noch in der Außenpolitik zu erwarten. Die Kadima-Partei wird auch unter der Führung von Shaul Mofaz nicht in der Lage sein, nun in der Regierung jene Rolle zu spielen, bei der sie in der Opposition komplett versagt hat.

Da die Einigung zwischen Netanyahu und Mofaz vor allem innenpolitisch und wahltaktisch motiviert war, ist damit zu rechnen, dass es in erster Linie in der Innenpolitik moderate politische Änderungen geben. Das gilt für die Reform des Gesetzes zum Militärdienst ebenso, wie für die Umsetzung der Urteile des Obersten Gerichts zu den Siedlungsaußenposten. Die Evakuierung und der Abriss einer bestimmten Zahl von Außenposten könnte für Netanyahu ein kalkulierbares politisches Risiko sein, mit dem er aber einem zentralen Ziel seiner Politik, der Bewahrung der großen Siedlungsblöcke in israelischer Hand, näher käme.

Im Friedensprozess mit den Palästinensern ist keine Überwindung des derzeitigen Stillstands zu erwarten. Der Mofaz-Friedensplan, wenn er Grundlage des Regierungshandelns werden sollte, ist zu weit von den grundlegenden Forderungen der Palästinenser entfernt. Neue Ernst zu nehmende Initiativen wird es frühestens falls Barack Obama gewinnt - nach den Präsidentschaftswahlen in den USA geben.

In der Konfrontation mit dem Iran ist schwer absehbar, wie sich Mofaz positionieren wird. In der politischen Auseinandersetzung mit Tzipi Livni um den KadimaVorsitz hat er sich gegen einen einseitigen israelischen Militärschlag ausgesprochen und die Kooperation mit den USA betont. In der Vergangenheit hatte er aber auch schon Militäraktionen gegen den Iran befürwortet. Von ihm hängt ab, ob die Moderaten oder die Hardliner in Netanyahus Sicherheitskabinett gestärkt werden.

Wenn es Mofaz nicht gelingt, in der Regierungskoalition das Profil und die Agenda von Kadima zur Geltung zu bringen, verliert die Partei ihre politische Daseinsberechtigung und wird zu einer light-Version des Likud. Eine Spaltung der Partei wäre wohl die Folge. Es ist ein mögliches Szenario, dass Shaul Mofaz bei den Wahlen 2013 in den Likud, dem er bis 2005 angehörte, zurückkehrt.


Über den Autor

Ralf Hexel ist langjähriger Mitarbeiter der FES und seit 2008 Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Herzliya, Israel.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2012