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NAHOST/936: Palästinenser beantragen aufgewerteten UN-Beobachterstatus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012

Nahost: Palästinenser beantragen aufgewerteten UN-Beobachterstatus - Israel erwägt Vergeltungsmaßnahmen

von Mya Guarnieri

Eine Demonstration in Susya gegen die Zerstörung - Bild: © Mya Guarnieri/IPS

Eine Demonstration in Susya gegen die Zerstörung
Bild: © Mya Guarnieri/IPS

Ramallah, Westjordanland, 20. August (IPS) - Ein Jahr nach den gescheiterten Bemühungen um die Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen wollen die Palästinenser nun einen weiteren Vorstoß wagen, um ihrem Ziel eines unabhängigen Staates näher zu kommen. So wird die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) am 27. September bei der UN-Vollversammlung um den Status eines 'beobachtenden Nicht-Mitgliedsstaates' ansuchen. Durch diesen Status hätten die Palästinenser Zugang zu den UN-Unterorganisationen und könnten den Internationalen Strafgerichtshof anrufen.

In Reaktion auf die palästinensischen Pläne hat der Abgeordnete des israelischen Parlaments (Knesset), Danny Danon, seinem Land empfohlen, Gebiet C zu annektieren, das mehr als 60 Prozent des Westjordanlands ausmacht und über 200 israelische Siedlungen und Außenposten umfasst. Danon, ein Mitglied der Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, unterstützt ein entsprechendes Gesetz.

Der Knesset-Abgeordnete Uri Ariel plädiert dafür, in Gebiet C das israelische Zivilrecht anzuwenden. Ein solcher Schritt käme einer De-facto-Annexion gleich. Nach Angaben der 'Jerusalem Post' genießt der Vorschlag die Unterstützung von mehr als der Hälfte der Likud-Parlamentarier. Im vergangenen Monat nahmen mehrere Parteiabgeordnete an einer Konferenz teil, auf der sogar die Annexion des gesamten Westjordanlands diskutiert wurde.

Entgegen der Aktivitäten der Knesset-Mitglieder zugunsten einer Annektierung ließ Regierungssprecher Mark Regev erklären, das Gerede über eine israelische Annexion von Gebiet C sei Unsinn.


Israelischer Siedlungsbau beschleunigt

Fest steht, dass sich die israelische Regierung alle Mühe gibt, in Gebiet C Tatsachen zu schaffen. Nach Angaben der israelischen Nichtregierungsorganisation 'Peace Now' wurde im letzten Jahr im Rahmen der israelischen Siedlungspolitik mit dem Bau von 1.850 neuen Einheiten begonnen. Das entspricht einem Zuwachs von 20 Prozent. Im laufenden Jahr wurde die Ausweitung der Siedlungen um weitere 1.400 Einheiten genehmigt.

Während der israelische Staat die Ansiedlung von Israelis in Gebiet C fördert, bemüht er sich andererseits darum, die dort lebenden Palästinenser loszuwerden. Zwischen Januar und Juni 2012 wurden in Ostjerusalem und Gebiet C die Wohneinheiten und Infrastrukturen von 384 Palästinensern und Beduinen zerstört. Das habe zur Vertreibung von 615 Palästinensern und Beduinen - mehrheitlich Kinder - geführt, berichten die Vereinten Nationen. Sie haben für das laufende Jahr einen 'signifikanten Anstieg' sowohl der Zerstörungen als auch der Vertreibungen festgestellt. "Durchschnittlich ist es in diesem Jahr zu monatlich 103 Vertreibungen gekommen. 2011 waren es 91, 2010 51, 2009 52 und 2008 26 gewesen."

Sowohl der israelische Staat als auch die israelischen Siedler greifen immer häufiger zu rechtlichen Mitteln, um gegen die palästinensische Bevölkerung in Gebiet C vorzugehen. So klagen sie gegen 'illegale' palästinensische Strukturen und ganze Dörfer, die noch aus der Zeit vor der israelischen Besatzung stammen.

Nach Angaben von Tamar Feldman von der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel sehen sich derzeit 14 palästinensische Dörfer in den südlichen Hebronbergen mit rechtlichen Verfahren überzogen, die der israelische Staat oder ultrarechte Organisationen wie 'Regavim' eingeleitet haben.

Im Fall der Palästinenserdörfer Zanuta und Susya - beide sind unmittelbar von der Zerstörung bedroht - hatte Regavim mit einer Klage Richter gezwungen, in den Fällen, in denen Demolierungsbefehle auf Eis gelegt worden waren, ein Urteil zu fällen. Bedroht sind weitere zwölf Dörfer, die in der Feuerzone 918 liegen. Sollte der Staat Recht bekommen, werden 1.500 Palästinenser das Gebiet verlassen müssen. Pläne zur Umsiedlung der betroffenen Familien oder Entschädigungszahlungen sind nicht vorgesehen.

Im Jordan-Tal und in den südlichen Hebronbergen gebe es unzählige solcher 'Feuerzonen' und 'Naturreservationen', für die Zutritts- und Wohnbeschränkungen gelten, wie Feldman berichtet. "Die wenigsten der Feuerzonen sind in den letzten 15 Jahren - wenn überhaupt - als solche genutzt worden", sagt sie. "Das gilt auch für Feuerzone 918. Dass der Staat das Gebiet auf einmal als militärisches Trainingsgelände beansprucht, ist schon sehr merkwürdig."

Palästinensische Gebiete als Feuerzonen und Naturschutzgebiete auszuzeichnen, palästinensische Infrastrukturen niederzuwalzen und die Bewegungsfreiheit für Palästinenser einzuschränken dient im Grunde zwei Zielen: den Bevölkerungsanteil der Palästinenser möglichst klein zu halten oder diesen das Leben unerträglich zu machen.

Feldman zufolge ist die Enteignung von Palästinensern und die Umwandlung von deren Gebieten in Feuerzonen oder Naturschutzgebiete nach internationaler Rechtauffassung problematisch. Es sei nicht vorgesehen, ein Gebiet innerhalb eines besetzten Territoriums für Zwecke zu nutzen, von der die Besatzungsmacht profitiere.

Doch der jüngste Bericht der Levy-Kommission empfiehlt der israelischen Regierung alle Siedlungen und Außenposten zu legalisieren. Beobachtern zufolge stellt der Levy-Bericht den Versuch dar, die rechtlichen Grundlagen für die israelische Annexion zu schaffen.


Kurzer Aufschrei der Empörung

Wie Jeff Halper, Mitbegründer und Leiter des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen, im Gespräch mit IPS erklärte, "sind viele Siedlungen auf palästinensischem Privatland gebaut worden. Der Oberste Gerichtshof erlaubt jedoch die Enteignung des Landes nicht. Bei einer Annexion würde palästinensisches Land zu israelischem Land." Auf diese Weise ließe sich der gordische Knoten aus Rechtsstreitigkeiten und Kritik an der israelischen Siedlungspolitik einfach zerschlagen. "Sollte Israel Gebiet C annektieren, würde sich die Welt einen Tag lang aufregen, würde schimpfen und aufschreien. Dann wäre alles wieder normal", befürchtet er.

Auch wenn Israel Ostjerusalem und die Golanhöhen 1980 und 1981 ohne größeren Widerstand annektieren konnte, halten einige Analysten die Übernahme von Gebiet C für unwahrscheinlich. Dazu meint der Politikwissenschaftler Neve Gordon, dass der politische Preis einer solchen Entscheidung Israel zu hoch sei. "Derzeit ist das Land zufrieden mit der De-facto-Annexion von Teilen des Westjordanlandes." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://peacenow.org.il/eng/
http://www.acri.org.il/en/
http://www.icahd.org/
http://www.ipsnews.net/2012/07/israeli-group-maps-palestinian-removals/
http://www.ipsnews.net/2012/08/palestinians-step-again-towards-nationhood/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012