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NAHOST/939: Israel - Krieg mit Iran, Bevölkerungsmehrheit lehnt israelischen Alleingang ab (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. September 2012

Israel: Krieg mit Iran - Bevölkerungsmehrheit lehnt israelischen Alleingang ab

von Jillian Kessler-D'Amours


Demonstration in Jerusalem gegen den Krieg mit dem Iran - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Demonstration in Jerusalem gegen den Krieg mit dem Iran
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Jerusalem, 4. September (IPS) - Parviz Barkhordar liebt sowohl Israel als auch den Iran. Eine solche Aussage klingt in den Ohren der meisten Menschen widersprüchlich - aber für Barkhordar ist es das keineswegs. "Ich wurde im Iran geboren, war aber immer Jude - persischer Jude im Iran", sagt Barkhordar gegenüber IPS. "Ich bin im Iran aufgewachsen, und die Menschen dort waren immer gut zu uns. Die meisten Juden dort lebten komfortabel und sicher."

Barkhordar wurde in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren. Mit 16 Jahren siedelte er nach Israel um. Er studierte dort Elektrotechnik an der Technion-Universität von Haifa. Nach seinem Abschluss kehrte er für ein Jahr in den Iran zurück, dann ging er in die USA. 1995 zog er dann endgültig nach Israel.

In seiner neuen Heimat leitet Barkhordar ein wöchentliches Programm im privaten Radio 'Radisin', das ausschließlich auf Farsi ausgestrahlt wird. Radio Radisin gibt es seit nunmehr vier Jahren. Es hat seinen Sitz in der Nähe von Tel Aviv. Zu empfangen ist der Sender online und per Satellit, sodass auch viele Iraner Barkhordars Sendung hören und im Radio anrufen.

"Sie beschweren sich über die aktuelle Situation im Iran - vor allem darüber, wie teuer alles ist. Sie sagen, dass die Preise über Nacht steigen. Wenn sie morgens aufwachen, wissen wie nicht, wie teuer das Brot ist", erzählt Barkhordar.


'Brücke zwischen den Nationen'

Radio Radisin will die Menschen beider Länder einander näher bringen. "Wir wollen eine Brücke zwischen den Nationen sein. Über das Regime reden wir im Radio nicht, da wir wissen, dass das Regime nicht die Nation ist. Wir lieben unsere Brüder und Schwestern im Iran. Wir sind mit unserem Herzen bei ihnen."

Die Inhalte und der Ton von Radio Radisin unterscheiden sich erheblich von den übrigen Medien in Israel. Seit mehreren Monaten dominieren Schlagzeilen und Nachrichtenberichte von der "iranischen Bedrohung", und die Frage wird diskutiert, ob Israel die atomaren Anlagen Irans bombardieren sollte oder nicht. Viele Analysten gehen davon aus, dass Israel den Iran noch vor den US-Präsidentschaftswahlen angreifen wird, wenn eine öffentliche Verurteilung die US-Führer teuer zu stehen käme.

Ende August richtete die israelische Regierung einen Brief an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem sie erklärte, dass die "Gleichgültigkeit gegenüber den iranischen Hasstiraden und der Aufwiegelung [gegenüber Israel] gefährlich" sei und dass nun etwas getan werden müsse. Im Gegenzug sagte der stellvertretende iranische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, dass die Drohungen Israels, die Nuklearanlagen des Irans angreifen zu wollen, gegen die UN-Charta verstießen.


Nicht ohne die USA

Die israelische Bevölkerung sieht einem möglichen Angriff mit gemischten Gefühlen entgegen, die Mehrheit ist jedoch gegen einen israelischen Alleingang. In einer Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts vom Juli sprachen sich 61 Prozent der jüdischen Israelis dagegen aus, dass Israel den Iran ohne die Unterstützung der USA angreife. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Israel akzeptieren müsse, dass es den Iran nicht davon abhalten könne, Atomwaffen zu entwickeln. Deshalb müsse man sich darauf einstellen, bald nicht mehr die einzige Nuklearmacht im Nahen Osten zu sein.

Die israelische Regierung hat zwar nie offiziell zugegeben, Nuklearwaffen zu besitzen. Doch geht man davon aus, dass dies der Fall ist. Dafür spricht auch, dass sich Israel bis heute weigert, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen.

"Die israelische Regierung versucht die eigene Bevölkerung zu terrorisieren und sie glauben zu machen, dass es keine anderen Optionen gibt. Aber die gibt es - und ein Krieg ist das schlimmste Szenario, das wir uns vorstellen können", sagt der Antikriegsaktivist Guy Butavia auf einer kleinen Demonstration gegen den israelisch-iranischen Krieg vor dem Haus des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Jerusalem.

"Wichtig ist nicht nur, den Druck von innen aufzubauen, sondern auch von außen", sagt Butavia. "Der Druck von innen wird nicht viel ausrichten. Auch die USA und Europa müssen sich in dieser Frage positionieren."

Anfang August begann das Heimatfront-Kommando der israelischen Streitkräfte, kostenlose Gasmasken an die Bevölkerung zu verteilen. Beobachter werten dies als schlechtes Zeichen: Das erste Mal, dass Gasmasken kostenlos verteilt wurden, war im Jahr 1990, kurz vor dem ersten Golfkrieg im Irak.

"Ich glaube nicht, dass irgendetwas passieren wird - das ist doch nur Medienpanik", sagt Yitzik, ein 69 Jahre alter Mann, der an einem der Verteilerzentren eine Gasmaske abholt. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. "Die Israelis wollen keinen Krieg - wir wollen Frieden. Und soweit ich das sehen kann, wollen die Menschen im Iran auch Frieden." Seiner Ansicht nach geht es eher darum, die politischen Muskeln spielen zu lassen. Auf das Wohlergehen der Bevölkerungen in den beiden Ländern werde dabei keine Rücksicht genommen. "Ich denke, dass Bibi [Netanjahu] das macht, um seinen Sitz zu retten."

Parviz Barkhordar ist davon überzeugt, dass die politischen und militärischen Führer in Israel die richtige Entscheidung treffen. "Sobald der Iran die Atombombe hat, wird er nicht nur Israel bedrohen, sondern auch jedes andere freie Land auf dieser Erde, das versuchen wird, dem Iran zu sagen, was er tun soll." Barkhordar hofft, dass bei einem Angriff auf die nuklearen Einrichtungen im Iran keine Zivilisten sterben werden. "Unschuldige wollen wir nicht angreifen." (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.radisin.com/
http://www.ipsnews.net/2012/09/israelis-brace-dubiously-for-war-with-iran/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2012