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NAHOST/950: Iran - Präsident politisch geschwächt, vom Ajatollah droht keine Gefahr (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2012

Iran: Präsident politisch geschwächt - Vom Ajatollah droht keine Gefahr

von Yasaman Baji



Teheran, 26. Oktober (IPS) - Im Iran sieht sich Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad erneut mit Kritik an seiner Wirtschaftspolitik konfrontiert, und Forderungen nach seinem Rücktritt machen die Runde. Dazu wird es politischen Beobachtern zufolge die oberste Autorität im Lande, Ajatollah Ali Chamenei, nicht kommen lassen.

Ahmadinedschads Amtszeit läuft Mitte 2013 aus. Sie mit einem Absetzungsverfahren zu kürzen, könnte Befürchtungen zufolge das ohnehin schon hochpolarisierte und feindliche Klima weiter aufheizen. Mehr als 100 Abgeordnete ('Majlis') haben Ahmadinedschad aufgefordert, ihnen Rede und Antwort zu der drastischen Abwertung der Landeswährung zu stehen. Die galoppierende Inflation in Verbindung mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit lässt viele Parlamentarier fürchten, dass die Preise für Importe und die Betriebskosten von Fabriken und landwirtschaftlichen Unternehmen ansteigen werden.

Sollte Ahmadinedschad dem Aufruf der Abgeordneten nicht Folge leisten oder diese mit seinen Erklärungen nicht zufriedenstellen, könnte die Angelegenheit vor Gericht verhandelt werden, das wiederum noch vor den Wahlen im Juni ein Amtsenthebungsverfahren in die Wege leiten könnte. Doch das ist unwahrscheinlich. Das räumen Presseberichten zufolge sogar die Abgeordneten ein, die Ahmadinedschad vorgeladen haben.

Die Forderung, den Staatschef seines Amtes zu entheben, ist nicht neu. Im Sommer wurde berichtet, dass zwei ehemalige Mitglieder von Ahmadinedschads Kabinett - der frühere Außenminister Manouchehr Mottaki und der ehemalige Innenminister Mostafa Pourmohammadi - einen entsprechenden Brief an Chamenei geschrieben hatten.


"Probleme wie überall auf der Welt"

Doch das höchste geistliche Oberhaupt des Irans hält sich mit Kritik am Staatschef zurück. Ebenso wenig lässt er sich hinreißen, Stellung zu der schwierigen Wirtschaftslage zu beziehen, mit der sich das Land derzeit konfrontiert sieht. Selbst in den beiden Wochen der größten Kursschwankungen leugnete er während eines Besuchs in der Provinz die Existenz der Wirtschaftskrise. Er räumte lediglich ein, dass es "wie überall auf der Welt" Probleme mit der Arbeitslosigkeit und Inflation gebe. "Da ist aber nichts, was das Land und seine Vertreter nicht lösen könnten."

Chameneis Äußerungen und das Festhalten am Präsidenten sind in der Öffentlichkeit auf Unverständnis gestoßen. Prominente Politiker wie der stellvertretende Parlamentspräsident Mohammadreza Bahaonar haben versucht, eine passende Antwort zu finden. "Eine Amtsenthebung des Präsidenten wäre mit höheren Kosten verbunden, als ein weiteres Jahr des Abwartens und Nichtstuns", sagte er kürzlich.

Eine Ansicht, die Ahmad Tavakoli, ein weiterer Abgeordneter, nicht ohne weiteres stehen lassen will. "Ahmadinedschads Ära ist vorüber, und die Fortsetzung seiner Amtszeit ist nicht gut", sagte er unlängst.

Der Journalist Ali, der aus Sicherheitsgründen seinen Nachnamen nicht nennen will, vertritt die Meinung, dass es sich Chamenei gar nicht leisten könne, dem Staatspräsidenten die Gunst zu entziehen. Dann nämlich müsste er sich für die Kosten rechtfertigen, die er dem Volk durch seine Entscheidung, Ahmadinedschad bei den umstrittenen Wahlen von 2009 zu unterstützen, aufgebürdet habe. "Chamenei behält lieber die derzeitige Situation bei, als zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hat."

Dem 58-jährigen Politikaktivisten Reza zufolge treibt Angst Chamenei an, Ahmadinedschad die Stange zu halten. Schließlich sei der Präsident bekannt dafür, dass er Korruptionsdossiers über politische Akteure führe. Möglichweise existiere ein solches Dossier auch über die Familie des Religionsführers, deren finanzieller Hintergrund bereits Anlass zu zahlreichen Spekulationen gegeben hat. "Chamenei erkauft sich mit der Unterstützung des Präsidenten dessen Schweigen."

Die Bemühungen des Ajatollahs, auf der einen Seite die immer lauter werden öffentliche Kritik gegen die Wirtschaftspolitik der Ahmadinedschad-Regierung zu beschwichtigen und auf der anderen Seite eine Amtsenthebung des Präsidenten zu verhindern, weisen politischen Kommentatoren zufolge auf einen 'dritten' Weg: das Bestreben, die Kontrolle über die Staatsgeschäfte zu übernehmen und aus Ahmadinedschad einen Scheinpräsidenten zu machen, der den Großteil seiner Zeit im Ausland verbringt.


Neue Umtriebigkeit des obersten Führers

Lange Zeit hatte sich der Religionsführer darauf beschränkt, nur zu offiziellen Anlässen in Erscheinung zu treten. Doch seit dem Ende der Proteste nach den Wahlen 2009 unternimmt Chamenei auffallend viele Kurztrips. Anfang des Jahres zum Beispiel besuchte er die Familie eines ermordeten Atomwissenschaftlers. Im August reiste er während des Saudi-Arabien-Besuchs Ahmadinedschads in den von einem schweren Erdbeben heimgesuchten Osten Aserbaidschans.

Als noch bedeutsamer werden allerdings seine Treffen mit Wirtschaftsakteuren und Vertretern der Industrie- und Handelskammer gewertet. Er soll sich ihre Probleme anhören und Abhilfe versprechen. Ein erst kürzlich gewählter Abgeordneter, der sich Anonymität ausbat, erklärte, dass er eine Hilfsanfrage für seinen Bezirk direkt an den Religionsführer und nicht an den Präsidenten geschickt habe.

Nach Ansicht eines Universitätsprofessors in Teheran ist Chameneis Umtriebigkeit eine Reaktion auf Ahmadinedschads überzogene Inanspruchnahme exekutiver Privilegien und Versuche, insbesondere das Parlament zu entmachten. Der Wissenschaftler wirft aber auch dem geistlichen Führer des Landes vor, sich in die Angelegenheiten der Exekutive einzumischen und damit gegen die Verfassung zu verstoßen. "Chamenei ist genauso wie Ahmadinedschad dafür verantwortlich, dass der Rechtsstaat geschwächt wurde und andere Institutionen nicht ihre Kontrollaufgaben wahrnehmen können."

Chamenei weist derartige Vorwürfe weit von sich. So äußerte er beispielsweise im April 2011, als er den Präsidenten daran gehindert hatte, den Geheimdienstchef Heydar Moslehi zu feuern, "dass das Büro des Führers nicht beabsichtigt, in die Entscheidungen und Aktivitäten der Regierung einzugreifen, solange diese im Staatsinteresse handele." Doch derzeit mag diesen Aussagen niemand Glauben schenken. Dazu meint Maryam, eine pensionierte Lehrerin: "Er will einen schwachen Präsidenten, damit er in allen Bereichen die Kontrolle ausüben kann. Und das ist inzwischen der Fall. Warum sollte er das ändern wollen?" (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/iran-khamenei-likely-to-hold-onto-weakened-ahmadinejad/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2012